Alte Wunden

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Kai

Das leise Klirren von Besteck, das auf Porzellan traf, war das einzige Geräusch im Raum. Sophia saß mir gegenüber, ihr Blick auf ihren Teller gerichtet, während sie in aller Ruhe aß. Es war ein vertrautes Bild, fast schon Routine. Abende wie dieser, an denen wir zusammen aßen, waren immer ruhig. Wir redeten nicht ständig, und das war auch in Ordnung. Manchmal musste man nicht reden, um sich nah zu sein.

Das Training bei Arsenal war anstrengend gewesen, aber ich war zufrieden mit meiner Leistung. Die Mannschaft lief gut, die Vorbereitung auf die kommenden Spiele lief nach Plan. Es gab also nichts Großes, worüber ich mich beschweren konnte – zumindest nicht, wenn es um den Fußball ging.

„Wie war dein Tag?", fragte Sophia plötzlich, und ich blickte von meinem Teller auf. Ihre Augen, dunkel und sanft, sahen mich über den Rand ihres Glases hinweg an.

„Ganz gut", antwortete ich kurz und nahm einen weiteren Bissen. Es war nichts Besonderes passiert. Das Training war gut verlaufen, die Jungs hatten hart gearbeitet, und es war einer dieser Tage gewesen, die einfach funktionierten.

Sie nickte und lächelte leicht, bevor sie sich wieder auf ihr Essen konzentrierte. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass wir nicht immer viel redeten. Unser Leben war von Terminen und Trainings geprägt, und wenn wir zusammen waren, genossen wir oft einfach die Ruhe. Es war ein Zeichen von Vertrauen.

Mein Handy lag neben meinem Teller. Ich warf einen kurzen Blick darauf, und mein Herz setzte für einen Moment aus, als ich die Nachricht sah. Die Nominierung für den Kader der Nationalmannschaft. Es war nichts Ungewöhnliches – seit meinem Wechsel zu Chelsea und jetzt bei Arsenal war ich regelmäßig ein Teil des Teams. Doch diesmal war etwas anders.

Als ich die Liste überflog, blieb mein Blick an einem Namen hängen, den ich schon lange nicht mehr in diesem Zusammenhang gesehen hatte.

Julian Brandt.

Plötzlich fühlte sich das Essen in meinem Mund schwer an. Julian. Der Name brachte all die Erinnerungen zurück, die ich lange Zeit nicht mehr bewusst zugelassen hatte. Früher, bei Leverkusen, waren wir unzertrennlich gewesen. Wir hatten nicht nur auf dem Platz harmoniert, sondern auch abseits des Fußballs eine enge Freundschaft gehabt.

Aber in den letzten Jahren hatte sich alles verändert. Julian war nach Dortmund gegangen, ich war nach London. Wir hatten uns auseinandergelebt, und irgendwann hatten wir einfach aufgehört, regelmäßig miteinander zu sprechen. Es war nicht so, als wäre da ein großer Streit gewesen. Es war eher so, als hätten wir uns einfach... verloren.

Sophia hatte es bemerkt. Sie sah, wie ich auf mein Handy starrte, und hob eine Augenbraue. „Was ist?"

„Nichts", murmelte ich schnell und legte das Handy beiseite. Aber es war nicht nichts. Julian war wieder im Kader der Nationalmannschaft. Und das war alles andere als nichts.

Sophia sah mich einen Moment lang an, bevor sie sich wieder auf ihr Essen konzentrierte. Sie kannte mich gut genug, um zu wissen, dass es keinen Sinn hatte, weiter nachzubohren. Ich war oft mit meinen Gedanken woanders – besonders, wenn es um die Nationalmannschaft ging. Und obwohl sie mich nicht drängte, wusste ich, dass sie merkte, dass etwas in mir vorging.

Ich starrte auf meinen Teller, das Essen darauf schien plötzlich belanglos. Julian. Wie lange war es her, dass wir wirklich miteinander geredet hatten? Es musste Jahre her sein. Damals, als wir beide bei Leverkusen waren, hatten wir praktisch alles miteinander geteilt. Wir hatten die Höhen und Tiefen des Fußballs gemeinsam erlebt, hatten uns gegenseitig in schwierigen Zeiten unterstützt und uns über Erfolge gefreut. Wir waren mehr als nur Teamkollegen gewesen.

Doch das alles war Vergangenheit. Die letzten Jahre hatten wir kaum noch Kontakt gehabt. Vielleicht ein paar Nachrichten hier und da, wenn einer von uns ein besonders gutes Spiel hatte oder etwas Wichtiges passierte. Aber das war es. Wir hatten uns auseinandergelebt, und jetzt war er plötzlich wieder da.

Ich nahm einen Schluck Wasser, um die Gedanken in meinem Kopf zu sortieren. Warum machte mir das so zu schaffen? Es war nicht so, als hätten wir uns im Streit getrennt. Es war einfach das Leben, das uns in verschiedene Richtungen geführt hatte.

„Ist alles okay?", fragte Sophia leise. Ihre Stimme war sanft, aber in ihrem Blick lag Besorgnis.

„Ja", antwortete ich, aber die Worte klangen hohl. Es war nicht okay. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Freude, ihn wiederzusehen? Angst, weil sich vielleicht alles verändert hatte? Wir hatten früher eine enge Verbindung gehabt, aber jetzt fühlte es sich an, als wäre eine riesige Kluft zwischen uns. Was, wenn wir nichts mehr gemeinsam hatten?

„Du wirkst abgelenkt", sagte sie und legte ihre Gabel beiseite. Ich konnte sehen, dass sie sich Sorgen machte. Sie wusste, wie sehr mich die Nationalmannschaft und meine Karriere beschäftigten, aber sie wusste auch, dass es manchmal mehr war als nur der Fußball. Es waren die Menschen, die damit verbunden waren.

„Ich habe gerade gesehen, dass Julian wieder im Kader ist", sagte ich schließlich und sprach die Worte aus, die in meinem Kopf herumschwirrten. „Er ist zurück in der Nationalmannschaft."

Sophia nickte langsam, als würde sie versuchen, das Gewicht meiner Worte zu verstehen. Sie kannte meine Vergangenheit mit Julian. Sie wusste, dass wir früher beste Freunde gewesen waren. „Das ist doch gut, oder?", fragte sie vorsichtig.

„Ja, natürlich", sagte ich schnell und zwang mich zu einem Lächeln. Aber es fühlte sich nicht gut an. Es fühlte sich... kompliziert an.

„Ihr habt euch einfach auseinandergelebt", sagte sie nach einer Weile und legte ihre Hand auf meine. „Das passiert. Aber es bedeutet nicht, dass ihr nicht wieder Freunde sein könnt."

Ich nickte, doch ihre Worte beruhigten mich nicht wirklich. Was, wenn es nicht so einfach war? Was, wenn zu viel Zeit vergangen war? Was, wenn wir uns zu sehr verändert hatten?

Ich stand auf und ging zum Fenster. Draußen regnete es leicht, die Tropfen klatschten sanft gegen die Fensterscheibe. Julian und ich hatten früher über alles gesprochen. Es gab keine Geheimnisse zwischen uns. Aber das war Jahre her. Jetzt wusste ich nicht einmal mehr, wie es ihm wirklich ging.

Ich sollte mich freuen, ihn wiederzusehen. Ich sollte froh sein, dass wir wieder zusammen in der Nationalmannschaft spielen würden. Aber die Wahrheit war, dass ich Angst hatte. Angst davor, dass es nicht mehr so sein würde wie früher. Angst davor, dass wir uns nichts mehr zu sagen hätten.

Ich drehte mich wieder zu Sophia um, die mich mit sanftem, verständnisvollem Blick ansah. Ich war froh, dass sie da war. Sie gab mir den Rückhalt, den ich brauchte. Aber in diesem Moment fühlte ich mich seltsam allein.

„Es wird schon gut werden", sagte sie leise, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Ihr werdet euch wiedersehen, und es wird nicht so schlimm sein, wie du denkst."

Ich nickte und setzte mich wieder an den Tisch. Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht machte ich mir zu viele Gedanken. Aber es war schwer, das abzuschalten. Julian war nicht irgendwer. Er war mein bester Freund gewesen.

Und jetzt war er wieder da.

The last Match- Jule & KaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt