Die Last der Vergangenheit

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Julian

Das monotone Brummen des Motors war das Einzige, was die Stille in meinem Auto durchbrach. Ich war auf dem Weg nach Herzogenaurach, um mich mit der Nationalmannschaft zu treffen. Eigentlich sollte ich aufgeregt sein. Immerhin war es das erste Mal seit langer Zeit, dass ich wieder für die Nationalmannschaft nominiert worden war. Ich sollte mich freuen.

Doch die Wahrheit war, dass ich den ganzen Weg über nur an eine Sache denken konnte. Kai.

Ich lehnte meinen Kopf gegen die Rücklehne des Sitzes und starrte auf die Autobahn vor mir, die wie ein graues Band durch die Landschaft führte. Was sollte ich tun, wenn ich ihn wiedersehe? Die Fragen in meinem Kopf drehten sich im Kreis, ohne dass ich eine klare Antwort darauf fand. Wie sollte ich mich verhalten? Sollte ich einfach so tun, als wäre alles wie früher? So, als wäre nichts passiert? So, als hätten wir uns nicht jahrelang auseinandergelebt?

Aber das wäre eine Lüge.

Es gab kein Zurück mehr zu dem, was wir früher waren. Wir hatten uns verändert. Oder zumindest hatte ich mich verändert. Und Kai... Kai war jetzt verheiratet.

Ich schüttelte den Kopf, als ob ich damit die Gedanken vertreiben könnte, doch sie blieben. Kai und ich hatten früher eine Freundschaft gehabt, die mehr war als nur Teamkameradschaft. Wir waren uns so nah gewesen, dass wir uns blind auf dem Platz verstanden hatten. Und außerhalb des Platzes? Da waren wir unzertrennlich.

Aber das war alles Vergangenheit.

Es war schwer, den Moment zu bestimmen, in dem wir uns verloren hatten. War es mit seinem Wechsel zu Chelsea passiert? Oder vielleicht schon früher, als unsere Karrieren immer größer und hektischer wurden? Es hatte keinen klaren Bruch gegeben – keinen Streit, keine Entfremdung durch Meinungsverschiedenheiten. Wir hatten uns einfach auseinandergelebt. Das Leben hatte uns in verschiedene Richtungen gezogen.

Aber jetzt, da ich ihn bald wiedersehen würde, kamen all diese Erinnerungen zurück. Und mit ihnen die Gefühle, die ich so lange versucht hatte, zu ignorieren.

Der Tag, an dem ich Kai das letzte Mal gesehen hatte, kam mir immer wieder in den Sinn: Seine Hochzeit mit Sophia.

Ich konnte es mir bis heute nicht erklären, aber dieser Tag war seltsam schwer für mich gewesen. Ich hätte glücklich für ihn sein sollen. Und das war ich auch – auf eine Art. Aber als ich ihn dort stehen sah, in seinem eleganten Anzug, die Hand seiner zukünftigen Frau haltend, die in einem wunderschönen weißen Kleid neben ihm strahlte... war da etwas in mir, das mich zerriss.

Warum war das so? Warum hatte mich dieser Tag so sehr beschäftigt, dass ich Wochen danach noch daran denken musste? Es war nicht normal. Oder vielleicht war es das doch? Immerhin war Kai jemand gewesen, der mir sehr nahegestanden hatte. Vielleicht machte mich einfach nur die Tatsache traurig, dass wir uns so voneinander entfernt hatten.

Oder vielleicht war es etwas ganz anderes. Etwas, das ich nicht benennen konnte.

Ich atmete tief durch und versuchte, meinen Fokus auf die Straße zurückzubringen. Die Landschaft zog an mir vorbei, aber meine Gedanken blieben hartnäckig bei Kai. Es war, als hätte die Nominierung für die Nationalmannschaft alte Wunden aufgerissen, die ich nie wirklich geheilt hatte.

Sollte ich distanziert sein, wenn wir uns wiedersehen? Es wäre einfacher. Einfacher, als so zu tun, als wäre nichts passiert. Aber das fühlte sich falsch an. Ich wollte nicht so tun, als wären wir Fremde. Wir waren früher so viel mehr gewesen.

Doch die Realität war, dass wir uns verändert hatten. Er war verheiratet. Er hatte ein anderes Leben. Und ich? Ich war immer noch allein. Nicht, dass ich mich wirklich beschwerte – mein Leben lief gut. Aber manchmal fragte ich mich, ob ich irgendwo auf dem Weg etwas verloren hatte.

Und dann war da diese Hochzeit. Diese verdammte Hochzeit. Ich hatte Kai an diesem Tag angelächelt, hatte ihm gratuliert, ihn umarmt und ihm alles Gute gewünscht. Aber tief in mir drin hatte es mich zerrissen, und ich wusste nicht einmal, warum.

Was war das? War es einfach die Trauer darüber, dass sich unsere Wege so sehr getrennt hatten? War es Eifersucht, dass er ein Leben hatte, das so anders war als meins? Oder war es etwas, das ich mir nicht eingestehen wollte?

Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare, während ich den Blinker setzte und auf die Abfahrt zur Raststätte zusteuerte. Ich brauchte eine Pause. Meine Gedanken waren viel zu durcheinander, und ich wusste, dass ich in diesem Zustand nicht einfach so bei der Mannschaft auftauchen konnte.

Die Raststätte war leer, bis auf ein paar Lkw-Fahrer, die in der Ferne ihre Pause machten. Ich parkte mein Auto und lehnte mich zurück. Die Stille im Auto war fast erdrückend, und ich wusste, dass ich nicht einfach hier sitzen konnte, ohne mich irgendwann mit meinen Gedanken auseinanderzusetzen.

Kai und ich hatten früher alles miteinander geteilt. Wir hatten uns nie etwas verschwiegen. Aber jetzt? Jetzt hatte ich das Gefühl, dass es so viel gab, was unausgesprochen geblieben war. Und ich wusste nicht, ob ich den Mut hatte, diese Dinge anzusprechen.

Ich nahm mein Handy und öffnete eine alte Nachricht von Kai. Eine, die wir uns vor Ewigkeiten geschrieben hatten. Es war nichts Besonderes, nur ein kurzer Austausch nach einem Spiel. Aber es fühlte sich an, als wäre es aus einem anderen Leben. Ein Leben, das ich manchmal vermisste.

Ich hatte keine Ahnung, wie das Wiedersehen verlaufen würde. Vielleicht würden wir einfach so tun, als wäre alles normal. Vielleicht würden wir ein paar Witze machen, über alte Zeiten reden und uns gegenseitig versichern, dass alles gut war. Aber es fühlte sich nicht gut an. Nicht für mich.

Ich schaltete mein Handy wieder aus und starrte auf das Lenkrad. Es war dumm, sich so viele Gedanken zu machen. Aber gleichzeitig konnte ich nicht aufhören. Kai hatte so viel von meinem Leben ausgemacht, und jetzt war er ein Fremder. Wie sollte ich damit umgehen?

Nach einer Weile zwang ich mich dazu, das Auto wieder zu starten. Ich konnte nicht ewig hier sitzen und grübeln. Das Wiedersehen mit der Mannschaft stand bevor, und ich musste mich darauf konzentrieren.

Als ich auf die Autobahn zurückfuhr, versuchte ich, mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren: den Fußball. Aber es war schwer, den Gedanken an Kai aus meinem Kopf zu verdrängen.

The last Match- Jule & KaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt