Ein Hauch Wahrheit

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Julian

Es war spät, und der Raum war fast leer. Die meisten Jungs hatten sich schon in ihre Zimmer zurückgezogen, und die Luft im Gemeinschaftsraum war stiller geworden. Nur das gelegentliche Knarren der Stühle und das leise Summen des Lichts begleiteten uns, während Kai und ich die letzten Minuten in Ruhe verbrachten.

Wir waren die Letzten, die noch hier saßen. Der Abend war großartig gewesen. Es war wie früher, als wir unbeschwert miteinander lachen konnten. Aber jetzt, wo alle gegangen waren, spürte ich, dass die Stille uns wieder einholte. Die leichten Gespräche, die Lacher – all das verblasste und machte Platz für etwas Tieferes, etwas, das ich seit Langem mit mir herumgetragen hatte.

„Hey", sagte ich schließlich und sah Kai an. Es war ein Moment der Entscheidung. Die Spannung, die wir die letzten Tage so vorsichtig umgangen hatten, schien wieder auf uns zu lasten. „Hast du Lust, noch eine Runde draußen zu drehen?"

Kai sah mich kurz an, als wäre er überrascht, aber dann nickte er. Er zögerte nicht, als er aufstand. „Klar. Lass uns gehen."

Wir verließen den Raum und traten nach draußen in die kühle Nachtluft. Der Himmel war klar, und die Sterne leuchteten hell über uns. Der leichte Wind trug den Geruch von feuchtem Gras und entferntem Laub mit sich, und ich spürte, wie die Frische der Nacht mich ein wenig aufweckte.

Wir liefen schweigend nebeneinander her, unsere Schritte hallten leise über den Weg. Es war diese Art von Stille, die nicht unangenehm war, aber die andeutete, dass etwas gesagt werden musste. Ich wusste, dass es an der Zeit war.

„Weißt du, Kai", begann ich schließlich, und meine Stimme klang leiser, als ich es erwartet hatte. Die Worte kamen langsamer, als ich wollte. „Ich hab in letzter Zeit viel nachgedacht... über uns. Über das, was damals passiert ist."

Kai blieb still, aber ich konnte sehen, wie er mich kurz von der Seite ansah. Es war, als hätte er gewusst, dass dieses Gespräch irgendwann kommen musste.

„Es war hart für mich", fuhr ich fort, ohne ihn anzusehen. Es fiel mir schwer, das alles auszusprechen, aber ich wusste, dass es notwendig war. „Als du und ich... als wir auseinandergegangen sind. Es war nicht nur, dass wir keine Freunde mehr waren. Es war, als hätte ich einen Teil von mir verloren."

Meine Stimme brach leicht, und ich hielt kurz inne, um die richtigen Worte zu finden. Die Erinnerungen an diese Zeit stiegen wieder auf, und ich fühlte, wie der Kloß in meinem Hals größer wurde. „Es war nicht nur das, weißt du? Zu der Zeit hatte ich auch Stress mit meinen Eltern. Ich hatte das Gefühl, dass ich... dass ich niemanden mehr hatte."

Ich konnte sehen, wie sich Kais Blick veränderte. Seine Augen weiteten sich leicht, und ich spürte, dass ihn meine Worte trafen.

„Ich weiß, das klingt vielleicht übertrieben", sagte ich schnell, um die Situation zu entschärfen. „Aber es war damals einfach zu viel. Du warst mein bester Freund, und plötzlich warst du weg. Und dann... stand ich da, ohne zu wissen, wohin mit mir. Es war eine wirklich dunkle Zeit für mich."

Es tat weh, das alles auszusprechen, aber gleichzeitig fühlte es sich auch befreiend an. Ich hatte diese Worte jahrelang in mir getragen, ohne sie jemals laut auszusprechen. Und jetzt, da sie draußen waren, merkte ich erst, wie viel Last sie mir genommen hatten.

Kai blieb für einen Moment still. Ich konnte sehen, wie er mit den Worten rang, aber er ließ mich nicht allein mit dieser Stille. „Julian..." Seine Stimme war sanft, fast zaghaft. „Ich hatte keine Ahnung, dass es dir so schlecht ging."

Ich nickte leicht, obwohl ich wusste, dass er mich kaum sehen konnte. „Ja, es war nicht einfach. Und es war nicht nur das. Es war alles auf einmal. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte."

Kai blieb stehen, und ich tat es ihm gleich. Wir standen nebeneinander in der Stille der Nacht, die Dunkelheit um uns herum, und ich spürte, dass jetzt der Moment war, in dem wir endlich ehrlich zueinander sein mussten.

„Ich... ich wusste nicht, wie sehr ich dir gefehlt habe", sagte Kai schließlich, und seine Stimme klang brüchig. Er schien selbst von seinen Worten überrascht. „Es war für mich auch nicht leicht, Julian. Ich dachte immer, ich könnte einfach weitermachen, weißt du? Aber es war nicht so. Es war nie so."

Seine Worte berührten etwas in mir. Es war nicht nur das, was er sagte, sondern wie er es sagte. Es war ehrlich. Und ich konnte sehen, dass es ihm genauso schwergefallen war wie mir.

„Warum hast du nie was gesagt?", fragte ich leise. „Warum haben wir nie versucht, es zu klären?"

„Ich weiß es nicht", gab er zu und ließ seinen Blick in die Dunkelheit wandern. „Ich dachte, wir hätten uns einfach auseinandergelebt. Aber jetzt... ich weiß nicht. Vielleicht hatte ich einfach Angst, zuzugeben, wie sehr ich dich vermisst habe."

Die Stille, die danach folgte, war schwer, aber nicht unangenehm. Es war die Art von Stille, die entsteht, wenn zwei Menschen endlich die Dinge sagen, die sie so lange verschwiegen haben.

Ich konnte die Tränen in meinen Augen fühlen, aber ich hielt sie zurück. Es war zu viel, zu schnell, aber gleichzeitig war es das, was ich brauchte. Was wir beide brauchten.

Ohne groß darüber nachzudenken, legte ich meinen Arm um Kais Schulter. Es war eine natürliche Geste, etwas, das ich früher oft gemacht hatte, als wir noch so eng befreundet waren. Und Kai lehnte sich in die Umarmung.

Wir standen einfach da, Arm in Arm, während die Nacht um uns herum immer stiller wurde. Es war ein Moment der Vergebung, ein Moment der Wiederannäherung. Nichts war perfekt, nichts war gelöst, aber das war nicht der Punkt. Es ging darum, dass wir wieder zueinander gefunden hatten.

„Ich hab dich echt vermisst", sagte ich schließlich leise. Die Worte kamen fast von selbst. „Mehr, als ich zugeben wollte."

„Ich auch", murmelte Kai, und ich konnte spüren, wie er tiefer in die Umarmung sank. „Ich auch."

Wir standen noch eine Weile so da, bevor wir uns langsam voneinander lösten. Es war nicht mehr so schwer wie vorher. Die Anspannung, die all die Jahre zwischen uns gelegen hatte, war nicht verschwunden, aber sie war weniger erdrückend.

„Lass uns ins Camp zurückgehen", sagte ich schließlich, als der Wind kühler wurde. „Wir haben noch Zeit, alles zu klären."

Kai nickte. „Ja. Noch genug Zeit."

Und so gingen wir zurück. Arm in Arm hatten wir den ersten Schritt gemacht, um das, was wir verloren hatten, vielleicht wiederzufinden.

The last Match- Jule & KaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt