Über den eigenen Schatten

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Kai

Als ich Julian in meinen Armen hielt, spürte ich, wie mir das Herz schwer wurde. Jede seiner Tränen schien direkt in meine Brust zu schneiden, und es war, als würde der Schmerz, den er fühlte, sich auf mich übertragen. Ich hatte Julian noch nie so gebrochen gesehen – und das tat weh. Es tat mehr weh, als ich es jemals für möglich gehalten hatte.

Jeder Moment, den wir hier verbrachten, machte mir nur klarer, dass ich ihn nie so hätte allein lassen dürfen. Aber ich hatte es getan. Ich hatte mich von meiner eigenen Angst und Unsicherheit leiten lassen, statt das Richtige zu tun. Statt an seiner Seite zu stehen, als er mich am meisten gebraucht hatte. Jetzt war der Schaden angerichtet, und ich wusste nicht, wie ich das jemals wieder gutmachen konnte.

Der Druck, den ich auf meinen Schultern spürte, schien mit jeder Sekunde, die verstrich, schwerer zu werden. Julian schluchzte leise gegen meine Schulter, und ich hielt ihn fest, unsicher, was ich sagen sollte. Worte schienen jetzt nicht das Richtige zu sein. Also hielt ich ihn einfach, bis seine Tränen weniger wurden und nur noch das leise Schluchzen in der Luft hing.

Es war ein Moment der Schwäche, den ich noch nie so intensiv bei ihm erlebt hatte. Julian, der immer so stark gewirkt hatte, der sich niemals unterkriegen ließ, saß jetzt vor mir – vollkommen verloren. Und ich konnte es nicht ertragen, ihn so zu sehen. Das Bild von ihm, wie er alleine in diesem Raum saß, weinend und verletzt, brannte sich in meinen Kopf.

„Julian", flüsterte ich schließlich, nachdem die Stille zwischen uns schwer geworden war. Meine Stimme klang brüchig, und ich spürte, wie mein eigener Schmerz mich überwältigte. „Es tut mir leid."

Er hob den Kopf von meiner Schulter und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Seine Augen waren rot und geschwollen, und als er mich ansah, konnte ich den tiefen Schmerz in seinem Blick sehen. Es war der Schmerz, den ich ihm zugefügt hatte. „Es ist nicht deine Schuld, Kai", murmelte er, obwohl seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern war.

Aber das war es. Es war meine Schuld. Ich hatte ihn allein gelassen, als er mich gebraucht hatte. Ich hatte versucht, meine eigenen Gefühle zu ignorieren, indem ich Abstand suchte, doch damit hatte ich ihn nur noch mehr verletzt. Ich hatte mich selbst belogen, indem ich geglaubt hatte, dass Abstand die Lösung sei. Aber es war keine Lösung. Es war das Gegenteil.

„Doch", sagte ich und versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Es ist meine Schuld. Ich... Ich hätte nicht weglaufen sollen. Ich hätte für dich da sein sollen, aber ich habe mich davor gedrückt. Und jetzt..." Ich brach ab, weil die Worte mir zu schwer fielen. Es war schwer, das alles auszusprechen, vor allem, weil ich wusste, dass ich der Grund für den Großteil seines Schmerzes war.

Julian sah mich an, und für einen Moment war es, als könnten wir beide spüren, wie tief die Wunde wirklich war. Wir hatten beide Fehler gemacht, aber meiner wog schwerer, das wusste ich jetzt.

„Es hat mich kaputtgemacht, Kai", sagte er schließlich, und seine Stimme zitterte. „Nicht nur die Verletzung. Nicht nur der Fußball. Es warst du. Du hast mich im Stich gelassen, als ich dich gebraucht habe."

Diese Worte trafen mich mit voller Wucht. Ich spürte, wie sich mein Herz zusammenzog, und mir wurde klar, dass ich das nicht ungeschehen machen konnte. Ich hatte ihm so viel genommen, und jetzt saß er vor mir, so verwundbar und gebrochen, dass ich kaum wusste, wie ich damit umgehen sollte.

Aber eines wusste ich: Ich konnte ihn nicht noch einmal allein lassen. Nicht jetzt, nicht nach allem, was passiert war. Es spielte keine Rolle mehr, wie schwer es für mich sein würde. Julian war mir zu wichtig. Zu lange hatte ich versucht, diese Gefühle zu unterdrücken, sie wegzuschieben, als ob sie nicht existieren würden. Aber das hatte uns beide nur in diesen Abgrund gestürzt.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte, die richtigen Worte zu finden, obwohl sie sich in meinem Hals festsetzten. „Julian... ich weiß, dass es nicht leicht ist, aber... vielleicht sollten wir wirklich reden. Ich meine, richtig reden."

Er sah mich verwirrt an. „Was meinst du?"

„Nach dem Spiel", sagte ich, und meine Stimme klang fester, als ich es erwartet hatte. „Ich komme mit zu dir. Wir müssen das alles klären, was zwischen uns steht. Wir können nicht einfach so weitermachen, als wäre nichts passiert."

Julian schwieg für einen Moment und sah mich an, als würde er versuchen, meine Worte zu durchdringen. Dann senkte er den Blick, und ich konnte sehen, dass er kämpfte. „Ich weiß nicht, Kai", murmelte er schließlich. „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe."

„Ich weiß, dass es schwer ist", sagte ich und legte vorsichtig eine Hand auf seine Schulter. „Aber ich kann dich nicht noch einmal gehen lassen, ohne dass wir darüber reden. Wir können das nicht einfach ignorieren. Nicht mehr."

Er sah mich an, und ich konnte sehen, dass er innerlich rang. Es war nicht nur das, was in den letzten Monaten zwischen uns passiert war – es war alles. Die Verletzung, die verlorenen Träume, die Einsamkeit, die er gespürt hatte. Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde. Aber ich war bereit, es zu versuchen.

„Bitte", fügte ich leise hinzu. „Lass mich nicht noch einmal den Fehler machen, dich allein zu lassen."

Für einen Moment herrschte Schweigen, dann nickte Julian schließlich langsam. Es war kein überzeugtes Nicken, aber es war ein Zeichen, dass er zumindest bereit war, es zu versuchen. Und das war alles, was ich im Moment brauchte.

Die restliche Halbzeit verbrachte ich in einer Art Trance. Mein Kopf war gefüllt mit Gedanken, die sich alle um Julian drehten, um das, was passiert war, und um das, was noch kommen könnte. Das Spiel, das gerade stattfand, interessierte mich kaum. Es war, als wäre das alles nur Hintergrundgeräusch, unwichtig im Vergleich zu dem, was gerade wirklich zählte.

Nach dem Spiel, als der Trubel in der Kabine langsam nachließ und sich alle auf den Weg machten, fühlte ich, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Ich wusste, dass das, was als Nächstes kommen würde, der schwierigste Teil war. Aber ich war bereit. Julian war bereit.

Wir mussten reden. Und vielleicht, nur vielleicht, würden wir einen Weg finden, all das wieder zusammenzusetzen, was zwischen uns zerbrochen war.

Als ich mich schließlich auf den Weg zu Julian machte, der bereits auf mich wartete, wusste ich, dass es keine leichte Unterhaltung werden würde. Aber es war eine, die wir beide führen mussten.

The last Match- Jule & KaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt