Die Wahl der Königin

82 5 0
                                    

Die Sonne stand hoch am Himmel, als das Schlosspersonal sich in den großen Saal versammelte. Ein Gerücht hatte sich wie ein Lauffeuer unter den Dienern verbreitet: Die Königin selbst würde heute eine besondere Auswahl treffen. Niemand wusste genau, um was es ging, doch alle wussten, dass es wichtig sein musste, wenn Isabella persönlich involviert war.

Elena spürte die Nervosität in der Luft. Die jüngeren Dienerinnen standen still, ihre Augen auf die imposanten Türen des Thronsaals gerichtet, hinter denen die Königin sich aufhielt. Es hieß, sie wolle eine neue Zofe auswählen, eine Dienerin, die ihr in jeder Hinsicht treu zur Seite stehen würde. Die Position einer Zofe war eine Ehre, aber auch eine Bürde – und niemand wusste, was genau diese Rolle mit sich bringen würde.

Elena war hin- und hergerissen. Einerseits verspürte sie eine seltsame Anziehung zu Isabella, die Königin, die kalt und distanziert wirkte, aber gleichzeitig eine Macht ausstrahlte, der man sich nicht entziehen konnte. Andererseits hatte sie Angst davor, was es bedeutete, in die Nähe dieser Herrscherin zu kommen. Marta, die neben ihr stand, flüsterte leise: „Ich hoffe, sie wählt mich nicht aus.“

Elena nickte nur stumm. Die Spannung war fast greifbar, als die Türen sich öffneten und die Hofdamen der Königin den Saal betraten, gefolgt von Wachen, die den Weg freimachten. Schließlich erschien Königin Isabella selbst.




Isabella betrat den Raum mit einer Selbstsicherheit, die den Atem der Anwesenden stocken ließ. Ihre majestätische Erscheinung, die dunklen Gewänder und das streng nach hinten gekämmte Haar ließen keinen Zweifel daran, dass sie hier die uneingeschränkte Macht war. Ihre Augen glitten über die Menge, kühl und unnahbar, als würde sie jede Einzelne von ihnen durchleuchten.

Elena fühlte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. In dem Moment, in dem sich Isabellas Blick auf sie richtete, konnte sie nicht anders, als sich kleiner zu fühlen, als wäre sie durchschaut worden. Doch die Königin ließ sich nichts anmerken und ging schweigend zu ihrem Thron.

„Wie ihr alle wisst,“ begann die Stimme der Königin, fest und klar, „wird es Zeit, dass ich eine neue Zofe in meine Dienste nehme. Diese Aufgabe ist nicht für jede geeignet. Es erfordert absolute Hingabe, Loyalität und Diskretion.“

Ein leises Murmeln ging durch die Menge. Viele der jungen Frauen starrten zu Boden, wagten es nicht, der Königin in die Augen zu sehen. Doch Elena konnte nicht wegsehen. Isabellas Präsenz war zu stark, zu fesselnd.

Die Königin erhob sich und schritt langsam durch die Reihen der Dienerinnen. Ihr Blick wanderte von einer zur nächsten, als würde sie jede von ihnen sorgfältig abwägen. Die Anspannung wuchs mit jedem Schritt, den sie näher kam.

Als Isabella an Elena vorbeiging, blieb sie stehen. Einen Moment lang sagte sie nichts, doch ihre Augen waren auf Elena gerichtet. Die Luft um sie herum schien kälter zu werden, und Elena spürte, wie ihr Herz wild klopfte. Die Königin betrachtete sie mit einem Ausdruck, den Elena nicht deuten konnte – war es Neugier, Misstrauen oder etwas ganz anderes?

„Dein Name?“, fragte Isabella schließlich, ihre Stimme sanft, aber fest.

„Elena, Eure Majestät,“ antwortete Elena, so ruhig, wie sie es konnte.

Isabella neigte leicht den Kopf. „Du wirst meine Zofe.“

Elena konnte es kaum fassen. Die anderen Dienerinnen starrten sie an, einige überrascht, andere neidisch. Marta griff leicht nach Elenas Hand und drückte sie. „Viel Glück,“ flüsterte sie, doch ihre Stimme war von Sorge erfüllt.



Am nächsten Morgen wurde Elena zu den Gemächern der Königin gerufen. Die prachtvollen Hallen des Schlosses wirkten plötzlich noch überwältigender, als sie sich den königlichen Räumen näherte. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie an der schweren Holztür stand, hinter der Isabella auf sie wartete. Zwei Wachen standen still daneben und musterten sie mit kühlem Blick.

„Die Königin erwartet dich,“ sagte eine der Hofdamen, die plötzlich neben ihr erschien und die Tür öffnete.

Elena trat ein und wurde sofort von der Stille des Raumes empfangen. Die königlichen Gemächer waren, wie sie es erwartet hatte, prächtig, aber dennoch kühl. Es war nicht die Art von Raum, in der man sich wohlfühlte. Es war vielmehr ein Ort der Macht, ein Ort, an dem Entscheidungen getroffen wurden, die über Leben und Tod bestimmten.

In der Mitte des Raumes saß Isabella, in einen Sessel zurückgelehnt, mit einem Buch in der Hand. Sie sah nicht auf, als Elena eintrat, doch sie wusste, dass sie da war. Jede Bewegung der Königin war durchdacht, jede Geste zeugte von einer Kontrolle, die Elena beeindruckte und einschüchterte.

„Du wirst ab sofort in meinen Diensten stehen, Elena,“ sagte Isabella, ohne den Blick von ihrem Buch zu heben. „Deine Aufgaben werden einfach, aber von größter Wichtigkeit sein. Du wirst mich auf allen Wegen begleiten, meine Befehle ausführen und stets an meiner Seite sein.“

Elena nickte, auch wenn die Königin es nicht sehen konnte. „Ja, Majestät.“

Isabella legte das Buch beiseite und richtete ihre kalten Augen auf Elena. „Ich habe dich aus einem bestimmten Grund ausgewählt. Du hast etwas an dir, das die anderen nicht haben. Etwas, das mich neugierig macht.“

Elena konnte nicht anders, als bei diesen Worten nervös zu werden. Was meinte die Königin damit? Sie wollte etwas sagen, doch sie wusste nicht, ob es klug war, Fragen zu stellen. Isabella war eine Herrscherin, die es gewohnt war, dass man ihr gehorchte – und nicht, dass man sie hinterfragte.

„Ich erwarte von dir absolute Loyalität,“ fuhr Isabella fort. „Enttäusche mich nicht.“



Die nächsten Tage verbrachte Elena damit, ihre neuen Aufgaben zu erlernen. Sie half Isabella beim Ankleiden, begleitete sie bei ihren offiziellen Terminen und sorgte dafür, dass alles, was die Königin benötigte, sofort bereitstand. Anfangs war es überwältigend, in der Nähe einer so mächtigen Frau zu sein, doch allmählich gewöhnten sich ihre Nerven an die ständige Anspannung.

Was sie jedoch nicht loslassen konnte, war das seltsame Gefühl, das in ihr aufkam, wenn sie Isabella ansah. Es war mehr als nur Respekt. Da war etwas Tieferes, etwas, das sie sich nicht erklären konnte. Die Kälte, die Isabella ausstrahlte, faszinierte sie, und je mehr Zeit sie in ihrer Nähe verbrachte, desto stärker wurde dieses Gefühl.

Eines Abends, als Elena dabei war, Isabellas Gewänder für den nächsten Tag vorzubereiten, fragte sie sich, was für ein Mensch die Königin wirklich war. Was versteckte sich hinter dieser kühlen Fassade? Gab es jemals jemanden, der die wahre Isabella kannte?

„Du denkst zu viel nach,“ sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr.

Erschrocken drehte sich Elena um und sah Isabella, die in der Tür stand und sie aufmerksam beobachtete. „Ich kann es sehen,“ fügte sie hinzu, während sie den Raum betrat. „Deine Gedanken verraten dich.“

Elena spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. „Es tut mir leid, Majestät.“

Doch Isabella lächelte leicht, ein seltener Ausdruck, der ihre sonst so kühle Maske für einen Moment durchbrach. „Du wirst dich an mich gewöhnen,“ sagte sie. „Und ich an dich.“

Mit diesen Worten verließ die Königin den Raum, und Elena blieb allein zurück, verwirrt und fasziniert zugleich.

Die Königin und ihre ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt