Elena stand früh am Morgen auf, das Sonnenlicht fiel sanft durch die großen Fenster ihres Zimmers. Für heute hatte Isabella ihr einen freien Tag gegeben – eine seltene Geste der Königin, die Elena mit einer Mischung aus Vorfreude und Unsicherheit erfüllte. Es war schon lange her, dass sie den Tag allein verbringen konnte, ohne die ständigen Pflichten und die Nähe des Hofes.
Nachdem sie sich angezogen hatte, beschloss Elena, die Gelegenheit zu nutzen und einen Spaziergang durch die Stadt rund um das Schloss zu machen. Die Straßen waren belebt, Marktstände waren aufgereiht, und das Lachen und Reden der Menschen füllte die Luft. Es war ein willkommener Wechsel zu den stillen Hallen des Palastes, wo das Leben der Höflinge von Regeln und Etikette beherrscht wurde.
Elena schlenderte gemächlich durch die Gassen, ließ ihren Blick über die Stände mit bunten Stoffen, feinen Gewürzen und handgefertigten Schmuckstücken schweifen. Sie genoss das Treiben und die Freiheit, die sie heute verspürte. Es war eine willkommene Abwechslung zu den starren Verpflichtungen des Hofes.
Doch während sie durch die Straßen ging, spürte sie plötzlich eine vertraute Präsenz. Elena drehte sich um und ihr Herz setzte einen Schlag aus – Valeria. Die Gräfin, mit ihrem markanten, verführerischen Lächeln, lehnte lässig an einem der Stände, ihre Augen fest auf Elena gerichtet.
"Elena," sagte Valeria und trat auf sie zu. "Was für ein Glück, dich hier zu treffen. Ich dachte, du verbringst all deine Tage im Dienste der Königin."
Elena schluckte und zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist… nur ein freier Tag“, sagte sie zögernd. „Ich wollte etwas Zeit in der Stadt verbringen.“
Valeria lächelte, ihre Augen blitzten auf. „Ein freier Tag? Wie perfekt! Dann solltest du ihn nicht allein verbringen. Ich könnte dir die besten Ecken dieser Stadt zeigen.“ Ihre Stimme war samtig weich, und sie kam näher, als ob sie Elena in ein Netz aus Charme und Verführung locken wollte.
Elena zögerte, spürte jedoch, wie die Verlockung von Valerias Nähe sie einnahm. „Ich wollte eigentlich nur ein wenig Zeit für mich haben…“, begann sie, aber Valeria ließ sie nicht ausreden.
„Komm schon, du verdienst ein bisschen Gesellschaft, Elena. Es ist langweilig, allein durch die Straßen zu laufen. Ich verspreche dir, es wird dir gefallen.“ Valeria trat noch näher an sie heran, ihre Hand leicht auf Elenas Arm gelegt. Ihr Griff war warm, und für einen Moment spürte Elena die Spannung zwischen ihnen.
Doch innerlich regte sich Widerstand. Valeria war charmant und verführerisch, aber Elena wollte nicht, dass es in diese Richtung ging. Sie hatte ihre Loyalität und Gefühle gegenüber Isabella, und das wusste sie tief in ihrem Inneren.
„Danke, Valeria“, sagte Elena mit einem gezwungenen Lächeln und trat einen Schritt zurück. „Aber ich würde lieber allein weitergehen.“
Valeria ließ sich jedoch nicht so leicht abschütteln. „Oh, hab keine Angst. Wir könnten zusammen so viel Spaß haben. Die Straßen hier haben einige versteckte Juwelen, die ich dir nur zu gerne zeigen würde. Vielleicht finden wir etwas, das sogar deine Herrin, die Königin, erfreuen könnte.“ Ihre Worte klangen wie ein lockerer Vorschlag, doch die dahinter liegende Bedeutung war unverkennbar.
Elena spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sie wusste, dass Valeria sie absichtlich in eine Situation bringen wollte, die weit über eine harmlose Unterhaltung hinausging. Doch sie durfte sich nicht darauf einlassen. Sie hatte zu viel zu verlieren – ihre Loyalität, ihre Position bei der Königin… und ihre Gefühle.
„Ich weiß dein Angebot zu schätzen“, sagte Elena und bemühte sich, ihre Stimme ruhig zu halten. „Aber ich denke, ich werde den Tag doch lieber allein genießen.“ Mit diesen Worten wandte sie sich von Valeria ab und ging rasch weiter, ohne zurückzublicken.
Valeria ließ sie nicht ohne Weiteres ziehen. „Elena“, rief sie ihr nach, ihre Stimme fast flehend. „Du weißt, dass es immer mehr gibt, als das, was du zu sehen scheinst. Eines Tages wirst du erkennen, dass du mehr für dich selbst willst, als nur ein Leben im Dienste der Königin. Ich bin mir sicher, dass du es irgendwann verstehen wirst.“
Elena spürte die Kälte in Valerias Worten, die sich wie ein Schatten über ihre Schultern legte. Doch sie blieb standhaft und setzte ihren Weg fort, bis die Geräusche des Marktes und Valerias Stimme allmählich in der Ferne verblassten.
Als Elena später am Tag ins Schloss zurückkehrte, fühlte sie sich erschöpft. Nicht nur von dem Spaziergang, sondern auch von dem unerwarteten Aufeinandertreffen mit Valeria. Die Begegnung hatte sie mehr aufgewühlt, als sie zugeben wollte. Ihre Gedanken kreisten unentwegt um die Worte der Gräfin, und sie spürte, dass Valeria sie nicht so schnell in Ruhe lassen würde.
Als sie durch die stillen Korridore des Schlosses ging, überlegte sie, ob sie Isabella von dem Vorfall erzählen sollte. Sie wusste, dass die Königin Valeria nicht traute und dass sie eifersüchtig sein könnte. Doch Elena wollte keine Geheimnisse vor Isabella haben – nicht nach allem, was zwischen ihnen passiert war.
Am Abend, als sie endlich die königlichen Gemächer erreichte, fand sie Isabella in ihrem Arbeitszimmer, vertieft in Dokumente und Berichte. Die Königin sah müde aus, doch als sie Elena erblickte, hellte sich ihr Gesicht auf.
„Elena“, sagte Isabella sanft und legte die Papiere beiseite. „Wie war dein freier Tag?“
Elena zögerte, bevor sie antwortete. „Es war… interessant. Ich bin Valeria begegnet.“
Sofort verfinsterte sich Isabellas Miene. „Valeria?“, wiederholte sie, ihre Stimme hart. „Was wollte sie?“
„Sie hat mich in der Stadt angesprochen“, erklärte Elena. „Sie hat versucht, meine Aufmerksamkeit zu bekommen… mehr als das, ehrlich gesagt. Sie wollte, dass ich den Tag mit ihr verbringe. Aber ich habe es abgelehnt.“
Isabella stand abrupt auf, ihre Augen funkelten vor Zorn. „Diese Frau ist gefährlich“, sagte sie mit schneidender Stimme. „Sie versucht, dich zu beeinflussen. Ich wusste, dass sie dich ins Visier genommen hat, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so dreist ist.“
„Ich habe ihr gesagt, dass ich lieber allein sein möchte“, versicherte Elena ihr schnell. „Ich habe mich nicht von ihr verführen lassen.“
Isabella trat näher und nahm Elenas Hand. „Ich vertraue dir, Elena. Aber Valeria ist jemand, der niemals aufgibt. Sie wird es weiter versuchen, und ich kann es nicht ertragen, dass sie in deiner Nähe ist.“
„Ich werde vorsichtig sein“, versprach Elena, ihre Stimme leise. Sie konnte die Sorge in Isabellas Augen sehen, und es schmerzte sie, dass sie diese Gefühle in ihrer Königin ausgelöst hatte. „Ich werde mich nicht von ihr beeinflussen lassen.“
Isabella schüttelte den Kopf, doch ihre Miene wurde weicher. „Ich will nicht, dass du in Gefahr gerätst. Valeria ist nicht nur eine verführerische Frau – sie ist eine Schlange, die auf ihre Chance wartet.“
„Ich weiß“, sagte Elena leise. „Ich werde mich von ihr fernhalten.“
Isabella nickte, ließ Elenas Hand los und strich ihr sanft über die Wange. „Danke, dass du mir das gesagt hast. Du weißt, wie viel du mir bedeutest, Elena. Ich werde immer auf dich aufpassen.“
Elena fühlte die Wärme in Isabellas Worten und spürte, wie sich die Anspannung des Tages allmählich legte. Doch in ihrem Herzen wusste sie, dass Valerias Schatten noch immer über ihnen lag. Der Kampf um Loyalität und Vertrauen war noch lange nicht vorbei.