Die Nacht war bereits hereingebrochen, als Elena sich heimlich aus ihrem Gemach schlich. Seit Tagen hatte sie den Gedanken nicht loslassen können. Die Verantwortung, die auf ihren Schultern lag, war unermesslich. Sie diente der Königin nicht nur als Zofe, sondern auch als Vertraute – und in ihrem Herzen wusste sie, dass sie weit mehr für Isabella tun wollte. In letzter Zeit war die Gefahr rund um das Schloss größer geworden, Intrigen und Verrat lauerten in den Schatten. Elena fühlte sich unvorbereitet, sollte ein ernster Angriff auf Isabella erfolgen. Diese Sorge hatte sie fest entschlossen, sich an jemanden zu wenden, der ihr helfen konnte: dem Leibwächter der Königin.
Als sie den Trainingshof im Schutz der Dunkelheit erreichte, stand Gerion, der erfahrene Leibwächter, in der Nähe des Waffenlagers. Er überprüfte routiniert die Schwerter und Dolche, die dort lagerten. Gerion war ein Mann, dessen Körper von unzähligen Schlachten gezeichnet war, ein Veteran, der jahrelang in den Diensten der Krone stand. Elena trat vorsichtig näher, das Klirren der Klingen war das einzige Geräusch, das die Stille der Nacht durchbrach.
„Gerion“, sprach sie leise, doch bestimmt, und der Leibwächter sah auf. Seine Augen musterten sie für einen Moment, bevor er einen Gruß andeutete.
„Elena“, sagte er. „Es ist ungewöhnlich, dich zu dieser Stunde hier zu sehen.“
„Ich muss dich um einen Gefallen bitten“, begann sie, nervös, aber entschlossen. „Ich möchte lernen, wie man kämpft. Wie man mit dem Schwert umgeht – damit ich die Königin beschützen kann.“
Gerions Augenbrauen hoben sich leicht, doch er schwieg für einen Moment, bevor er antwortete. „Warum möchtest du das lernen? Es ist nicht deine Aufgabe, die Königin mit einer Waffe zu verteidigen.“
Elena ballte ihre Hände zu Fäusten. „Das mag sein. Aber wenn es dazu kommt, dass ich sie beschützen muss, will ich vorbereitet sein. Ich will nicht einfach nur zusehen, wie andere ihr Leben für sie riskieren. Ich möchte an ihrer Seite kämpfen.“
Gerion nickte langsam, seine Augen musterten sie prüfend. „Ich verstehe deinen Wunsch“, sagte er schließlich. „Aber das, was du verlangst, ist nicht einfach. Es erfordert Disziplin, Training und – vor allem – die Bereitschaft, dein eigenes Leben zu riskieren.“
„Ich bin bereit“, antwortete Elena fest.
Gerion sah sie einen Moment lang stumm an, dann seufzte er. „Sehr gut“, sagte er. „Aber es gibt Bedingungen. Wir werden das Training im Geheimen durchführen. Niemand darf davon wissen, nicht einmal die Königin. Und du wirst hart arbeiten müssen, härter als du es dir vorstellen kannst. Denn wenn du einmal ein Schwert in die Hand nimmst, gibt es kein Zurück.“
Elena nickte, Erleichterung durchflutete sie. „Danke, Gerion. Ich werde tun, was immer nötig ist.“
Gerion legte eine Hand auf den Griff eines der Schwerter, das in der Waffenkammer lag, und hielt es ihr hin. „Dann fangen wir an“, sagte er, während er das Schwert in ihre Hände legte. „Zeig mir, wie du es hältst.“
Der Rest der Nacht verging in einem Wirbel aus Bewegungen, schnellen Anweisungen und korrigierten Haltungen. Elena spürte, wie ihre Arme von der Anstrengung zitterten, doch sie gab nicht auf. Gerion war unnachgiebig, aber fair, und je länger sie trainierten, desto mehr merkte er, dass sie ein natürliches Talent besaß.
„Du hast eine Gabe“, sagte er anerkennend, als die ersten Sonnenstrahlen den Trainingshof erleuchteten. „Für jemanden ohne Erfahrung lernst du erstaunlich schnell.“
Elena lächelte schwach, wischte sich den Schweiß von der Stirn und hob erneut das Schwert. „Ich werde nicht aufgeben“, sagte sie entschlossen.
„Das sehe ich“, erwiderte Gerion mit einem leichten Lächeln. „Aber es wird noch viel mehr brauchen, als nur Talent, um im Ernstfall bestehen zu können.“
In den kommenden Wochen trainierten Elena und Gerion heimlich weiter. Jede freie Minute, die Elena hatte, verbrachte sie mit dem Schwert in der Hand. Sie lernte die Bewegungen, das Gefühl des Stahls in ihrer Hand, die Anspannung der Muskeln, wenn sie einen Angriff parierte. Und obwohl der Leibwächter stets ernst blieb, konnte Elena spüren, dass er beeindruckt von ihrer Entschlossenheit war.
Eines Abends, nachdem sie wieder ein hartes Training beendet hatten, saßen sie beide auf den Stufen des Trainingshofs und sahen in den sternenübersäten Himmel.
„Es gibt etwas, das du verstehen musst, Elena“, sagte Gerion schließlich. „Kämpfen bedeutet nicht nur, die Königin zu beschützen. Es bedeutet auch, dass du bereit sein musst, alles aufzugeben. Dein Leben, deine Freiheit – und manchmal sogar dein Herz.“
Elena blickte ihn an, spürte das Gewicht seiner Worte. „Ich verstehe“, sagte sie leise.
Gerion nickte, doch er sagte nichts weiter. Die Ruhe der Nacht umgab sie, und für einen Moment dachte Elena an Isabella, wie sie wohl reagieren würde, wenn sie von ihren geheimen Trainingsstunden erfahren würde. Die Vorstellung, die Königin zu schützen, erfüllte sie mit Stolz – doch gleichzeitig spürte sie auch eine tiefe Verantwortung, die schwerer wog als alles, was sie je zuvor erlebt hatte.
In den kommenden Tagen bemerkte Elena, dass die politischen Spannungen im Schloss zunahmen. Eine neue Gruppe von Beratern und Adligen war eingetroffen, und es wurde deutlich, dass einige von ihnen keine Freunde der Königin waren. Intrigen flammten auf, und obwohl Elena nicht immer die Details verstand, spürte sie die Bedrohung, die über dem Hof schwebte.
Eines Morgens, während sie Isabella half, ihre königlichen Gewänder anzulegen, zögerte Elena einen Moment und blickte die Königin an. „Eure Majestät“, begann sie vorsichtig, „habt Ihr Vertrauen in alle Eure Berater?“
Isabella, die sich im Spiegel betrachtete, warf Elena einen scharfen Blick zu. „Warum fragst du das?“
„Es… es gibt Gerüchte“, sagte Elena leise. „Gerüchte über Verrat.“
Die Königin drehte sich langsam zu ihr um, ihre Augen suchten Elenas Gesicht nach Antworten. „Ich bin mir der Gefahr bewusst“, sagte Isabella nach einer Weile. „Aber danke, dass du mir gegenüber so offen bist. Sei vorsichtig, Elena. In diesen Zeiten kann man niemandem vertrauen.“
Elena schluckte schwer. Die Königin war kalt und undurchdringlich wie immer, aber in ihren Augen lag ein Hauch von Sorge. Sie spürte, dass die Zeit kommen würde, in der sie mehr als nur Worte brauchte, um Isabella zu schützen.
Als Elena den Raum verließ, schwor sie sich, dass sie bereit sein würde, wenn dieser Moment kam – und dass sie alles tun würde, um die Königin zu beschützen, selbst wenn es bedeutete, ihr Leben zu riskieren.