Sophie war noch im Bad, und obwohl sie nicht gern zeigte, wie sehr sie all das belastete, war mir klar, dass das, was sie heute erfahren hatte, eine Seite in ihr aufgerissen hatte, die sich nicht so schnell schließen ließ. Diese Art von Schmerz – von Verrat und der kalten Erkenntnis, dass die Menschen, die einem am nächsten waren, eine Fassade gebaut haben – frisst sich tiefer in einen, als irgendein anderes Leiden.
Die meisten Leute haben ihre Geheimnisse, das war für mich nichts Neues. Aber wenn es die eigenen Eltern sind, die einen anlügen, die etwas verschweigen, das man selbst besser wissen sollte? Das ist ein anderes Spiel. Das reißt dir den Boden unter den Füßen weg und hinterlässt nichts als ein Loch – ein Loch, das du zu stopfen versuchst, indem du auf der Jagd nach Antworten immer tiefer gräbst, egal wie dreckig und kalt es am Ende sein mag.
Ich nahm einen langen Schluck meines Whiskeys, spürte den brennenden Geschmack auf meiner Zunge und schloss die Augen. Sie hatte mich fast gebeten, die Sache ruhen zu lassen, heute Abend nichts mehr zu sagen, und das war vermutlich das Klügste, was sie tun konnte. Sie ahnte vielleicht nicht einmal, wie gefährlich der Weg war, den sie damit eingeschlagen hatte, aber ich spürte die Schwere ihres Entschlusses. Sophie war zäh, das musste ich ihr lassen. Verdammt zäh. Nur wenige würden diesen Sturm in sich tragen und dennoch den Kopf so weit oben halten wie sie.
Ein leises Geräusch aus dem Flur ließ mich aufblicken. Sie stand dort, im weichen Licht der Lampe, ein Blick in ihren Augen, der irgendwo zwischen Erschöpfung und Trotz schwankte. Für einen Moment hielt sie meinem Blick stand, und ich sah dieses Glühen, diesen Funken Dunkelheit, der sie trotz all ihrer Zerbrechlichkeit so stark machte.
>>Alles okay?<< fragte ich ruhig, obwohl ich wusste, dass die Antwort tiefere Abgründe hatte, als sie jemals preisgeben würde.
Sie zog leicht die Mundwinkel hoch, ein Lächeln, das fast bedauernd wirkte. >>Ich weiß nicht, was okay überhaupt noch heißt<<, murmelte sie, bevor sie sich an die Kücheninsel lehnte und zu mir aufsah. Sie war schön, auch wenn diese Schönheit jetzt etwas Frostiges, Bitteres an sich trug.
Ich stellte mein Glas ab und kam ihr langsam näher, ließ die Stille zwischen uns ein paar Augenblicke länger sprechen.
Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände, meine Daumen strichen unwillkürlich über ihre Wangenknochen. Sie war weich und stark zugleich, dieses Kontrastprogramm, das mich seit unserem ersten Treffen verfolgte, mir den Schlaf raubte und jede Barriere, die ich über die Jahre aufgebaut hatte, allmählich zum Einsturz brachte. Ich sah in ihre Augen, versuchte in ihnen zu lesen, doch was mich darin erwartete, war mehr als ich zu ertragen glaubte.
>>Vertraust du mir?<<, fragte ich, und die Worte fühlten sich wie ein bitterer Test an. Ihre Augen flackerten nicht einmal, sie zögerte nicht, nicht eine Sekunde.
>>Ja<< Dieses eine Wort, gesprochen mit solch unerschütterlichem Vertrauen, traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. In ihr ruhte dieses glasklare Vertrauen, das so viel mehr war als ein bloßes Wort – es war ein Sprung, ein freier Fall. Und ich war der Abgrund, in den sie sich stürzte, ohne zu wissen, was darunter lag.
>>Verdammt, Sophie<<, murmelte ich, und sie hielt meinem Blick stand. >>Ich wünschte, du wüsstest, wie tief das hier geht. Wie dunkel die Wahrheit ist, die du so fieberhaft suchst<< Meine Stimme klang rau, als hätte ich jedes Wort herausschneiden müssen.
Ihr Vertrauen tat weh – mehr, als ich bereit war zuzugeben. Denn die Wahrheit, die sie suchte, war ein abgründiges Geheimnis, eine unaufhaltsame Welle, die alles mit sich reißen würde, was sie kannte. Eine Wahrheit, die mich als den Mann zeigte, der den ersten Stein geworfen hatte, als alles ins Rollen kam.
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Shattered Innocence - Ich bin dein Verderben
RomanceSophie wuchs als kleines Mädchen in der beschaulichen Kleinstadt Chelsea, Michigan auf, nachdem sie von dem liebevollen Pastorenehepaar Claire und Joseph Mitchell adoptiert wurde. Ihr Leben war behütet, doch geprägt von strengen kirchlichen Werten...