29 | Abendessen

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Es war ein Tag, der kein Ende zu nehmen schien. Nur noch zwei Tage bis zur Wahl, und Bürgermeister Johnson überhäufte mich mit so viel Arbeit, dass das Wort "Erschöpfung" eine neue Bedeutung gewann. Wäre Atmen kein Reflex, hätte ich nicht einmal dafür Zeit gefunden. Von einer Location zur nächsten hetzte ich, um sicherzustellen, dass alles perfekt vorbereitet war – ein wahres Hin und Her zwischen den Wahllokalen, die auf Hochglanz poliert wurden, und der Location für die Feierlichkeiten, die fast fertig war. Wenn Johnson gewinnt, wird es vermutlich eine dieser pompösen Feiern geben, die ihn ins beste Licht rücken.

Natürlich gab es immer das Risiko, dass noch eine Überraschung geschieht – es ist schließlich Politik. Doch Johnson's Chancen standen gut. Sein Gegner, Anthony Blair, zählt zu der jüngeren Elite und genießt erstaunlich hohes Ansehen. Aber er ist noch grün hinter den Ohren, sagen die meisten, noch nicht ganz bereit, um gegen die Wölfe dieser Stadt zu bestehen.

Und trotzdem, wenn ich ehrlich bin, gefällt mir Blair's Wahlprogramm besser. Es hat etwas Menschliches, etwas Echtes. Johnson dagegen... je länger ich für ihn arbeite, desto mehr sehe ich, wie viel Fassade dahintersteckt. Er schmeichelt sich bei den Reichen ein, gibt Versprechen, die leer sind, und sein eigentliches Ziel scheint mehr aus glänzenden Oberflächen als echtem Fortschritt zu bestehen. Vielleicht war ich naiv, vielleicht war es das ewige Schauspiel in dieser Stadt, das ich nicht sofort durchschaut hatte, aber jetzt? Jetzt sehe ich das alles deutlich.

Johnson hat eine Maske, und ich sehe, wie die Risse darin tiefer werden.

Ich ertappte mich dabei, wie mein Blick immer wieder zu meinem Handy glitt, als würde ich darauf warten, dass eine Nachricht aufleuchtet. Gestern Abend... die Erinnerung an Tristan brachte ein unfreiwilliges Lächeln auf meine Lippen. Da war eine Seite an ihm, die ich nicht erwartet hatte, eine Seite, die ruhig und beschützend war, fast schon verletzlich, und die doch jeden Moment in Härte umschlagen konnte. Und das war ein Detail, das ich nicht verdrängen konnte, so sehr ich es auch versuchte. Ich dachte an seine Worte, an den Schwur, den er mir gegenüber ausgesprochen hatte.

Aber ein Gedanke ließ mich nicht los. Tristan hatte mir versichert, dass ich nicht allein sei, dass er alles tun würde, um mir Klarheit zu verschaffen, und doch war da etwas in seinem Blick, das ich nicht lesen konnte. Eine Distanz, ein Geheimnis vielleicht, das mich umso mehr anzog, obwohl ich wusste, dass es gefährlich war, diesem Gefühl nachzugeben.

Mein Handy vibrierte und riss mich aus meinen Gedanken. Es war eine Nachricht von ihm: „Alles gut bei dir?"

Ich lehnte mich gegen die kühle Wand und antwortete, „Läuft. Johnson hält mich auf Trab. Ich komme irgendwann wieder zum Luft holen... irgendwann."

Seine Antwort kam sofort: „Wenn er dich noch weiter antreibt, wird er sich früher oder später mit mir anlegen müssen."

Ein leichtes Lächeln zog über mein Gesicht. „So ernst?", tippte ich zurück, aber bevor seine Antwort kam, schob sich eine Gestalt in mein Sichtfeld – Johnson persönlich, mit diesem kalkulierten Lächeln auf den Lippen, das mich mehr als unbehaglich machte.

>>Sophie<<, begann er in diesem selbstgefälligen Tonfall, den er nie ablegen konnte. >>Ich hoffe, alles läuft reibungslos. Ich verlasse mich auf Sie<<

>>Natürlich<<, antwortete ich, meine Stimme kühl und professionell, während ich mein Handy schnell in die Tasche steckte. >>Alles ist organisiert und auf Kurs.<<

Er nickte und musterte mich einen Moment zu lang. >>Gut. Ich möchte, dass wir bis zum Schluss den Eindruck erwecken, dass alles unter Kontrolle ist<< Ein seltsames Glitzern erschien in seinen Augen, als er sich vorbeugte. >>Ich habe mich entschieden, Ihnen am Wahltag eine etwas persönlichere Aufgabe zu übertragen<<

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 07 ⏰

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Shattered Innocence  - Ich bin dein VerderbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt