26 | Bärenhunger

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Das grelle Licht meines Handydisplays blendete mich in der dämmrigen Stille des Büros.

„Hey, wo bist du? Ich hab den ganzen Tag nichts von dir gehört."  Tristan. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen, doch das flaue Gefühl in meiner Magengegend wollte nicht verschwinden.

Ich tippte eine schnelle Antwort. „Die Arbeit hat heute länger gedauert. Ich mache gleich Feierabend." Kaum hatte ich die Nachricht abgeschickt, erschien seine Antwort.

„Soll ich dich abholen?"

Ich atmete tief durch, meine Finger schwebten zögernd über der Tastatur. Ein Teil von mir sehnte sich nach seiner beruhigenden Nähe, nach dem Gefühl von Sicherheit, das ich bei ihm empfand. Aber die letzten Tage hatten ihre Spuren hinterlassen. Ich brauchte Zeit für mich, um all das zu verarbeiten – die unheimlichen Gespräche, Johnsons Andeutungen über meine Mutter, Redmonds Worte, die wie Stachel in meinem Kopf zurückgeblieben waren.

„Nein, danke. Die letzten Tage waren etwas viel. Ich brauche einen Abend für mich."

Er ließ einige Minuten vergehen, bevor er schrieb. „Okay, ich verstehe. Melde dich, wenn du Zuhause bist."

Ich drückte das Handy an meine Brust und atmete tief ein. Der Gedanke an meine leere Wohnung brachte eine gewisse Ruhe mit sich. Ich wollte endlich zur Ruhe kommen, ohne ständige Blicke, Andeutungen oder Fragen. Meine Gedanken schwirrten durcheinander, und die Stille des leeren Büros wurde plötzlich drückend.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war viel später, als ich gedacht hatte. Die Kollegen waren längst gegangen, und nur das leise Summen der Klimaanlage erfüllte die Luft. Johnson war schon am Nachmittag verschwunden – wie üblich. Sein Verschwinden hatte etwas fast Gespenstisches an sich, als würde er nur auftauchen, wenn es ihm gerade passte, um einen dunstigen Schatten über den Tag zu werfen und dann wieder lautlos zu verschwinden.

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Der Weg nach Hause schien mir wie eine gute Entscheidung. Die frische Luft war kühl und klar, und ich hoffte, dass sie mir helfen würde, die Gedanken zu sortieren, die mich heute nicht losgelassen hatten. Die Straßen waren ruhig, und die Dunkelheit hatte etwas Beruhigendes, fast Beschützendes.

Mitten in der Stille klingelte plötzlich mein Handy, und ich zog es aus der Tasche. Clarissa. Ich lächelte kurz und nahm ab.

>>Hey, Soph! Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich heute bei Parker übernachte. Morgen in der Mittagspause – Lust, mit mir was essen zu gehen?<<

>>Klar, das klingt gut<<, sagte ich und konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. Clarissa's Anrufe brachten immer einen Hauch von Normalität in mein Leben, etwas, das ich in letzter Zeit dringend brauchte.

>>Und hey, wenn irgendwas ist, ruf mich an, okay? Jederzeit.<<

>>Mach ich. Danke, Clarissa. Hab eine gute Nacht.<<

>>Du auch! Pass auf dich auf.<<

Ich steckte das Handy zurück in die Tasche und setzte meinen Weg fort. Die Dunkelheit war angenehm, und die frische Luft ließ die Spannung des Tages langsam von mir abfallen. Doch in meinen Gedanken hallten immer noch die letzten Gespräche nach. Die unausgesprochenen Drohungen in Johnsons Worten, Redmonds Bemerkungen über meine Eltern.

Mit den Gedanken bei diesen Erinnerungen und der Anspannung im Nacken achtete ich nicht auf den Weg vor mir – und stieß mit jemandem zusammen.

>>Oh Gott, Entschuldigung!<<, stammelte ich und blickte nach oben, bereit, mich weiter zu entschuldigen, als ich das Gesicht erkannte. Cole.

Shattered Innocence  - Ich bin dein VerderbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt