Kapitel 27

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POV Oma Renate

Der frostige Wind wehte durch die Straßen unseres kleinen Ortes. Der Winter in der DDR war hart, die Luft oft so kalt, dass es beim Atmen schmerzte. Der Ofen in der Küche prasselte leise, und ich war froh, dass wir Holz hatten, um es warm genug zu halten.

Heute bringt Jürgen seine Freunde mit hatte angekündigt. Den Bernd kannte ich ja schon lange – die beiden sind seit dem Kindergarten wie Brüder.

Aber heute sollte ich zum ersten Mal den neuen in seiner Klasse kennenlernen – Stefan, hieß er. Jürgen hatte schon ein paar Mal von ihm erzählt, aber ich war gespannt, wie er wirklich war.

Draußen liegt eine leichte Schicht Neuschnee auf den Wegen, die von den Schritten der Schüler auf ihrem Heimweg zertrampelt wird. Ich blicke aus dem Küchenfenster und sehe schon von Weitem Jürgen und seine beiden Freunde die Straße entlangkommen.

Als ich die Tür öffne, kommen die Jungs gerade herein. Der kalte Wind schiebt sie ins Warme, und Jürgen schiebt seine Mütze vom Kopf und grinst mich an. „Hallo, Mama,“ sagt er und gibt mir einen schnellen Kuss auf die Wange.

Er ist schon fast so groß wie sein Vater und hat die gleichen dunkelblonden Haare, die ihm in dichten Strähnen ins Gesicht fallen. In letzter Zeit wirkt er erwachsener, ernster. Es ist, als ob er die Welt plötzlich mit anderen Augen sieht.

Bernd, der seit dem Sandkasten immer ein Teil der Familie war, kam fröhlich auf mich zu und umarmte mich. „Hallo, Frau Brandt.“ Er war wie ein zweiter Sohn für mich, und er wusste, dass er hier stets willkommen war.

„Ach, Bernd, du weißt doch, du bist hier immer willkommen. Bist ja fast schon mein zweiter Sohn,“ sagte ich und wuschelte ihm durch die Haare, was ihn zum Grinsen brachte.

Stefan stand etwas zurückhaltender da und sah unsicher aus. Er schien etwa in Jürgens Alter zu sein, mit dunklem Haar und klaren, ruhigen Augen. Seine Haltung war aufrecht, ein wenig reserviert, als wüsste er noch nicht recht, wie er sich verhalten sollte.

Jürgen legte ihm eine Hand auf die Schulter und stellte ihn vor: „Das ist Stefan, Mama. Seine Familie ist neu in der Stadt.“

Stefan nickte höflich und streckte mir die Hand entgegen. „Guten Tag, Frau Brandt. Danke, dass ich heute kommen durfte.“

„Ach, Stefan, es ist schön, dich kennenzulernen. Komm rein, mach es dir gemütlich. Ich hoffe, du hast Hunger, ich habe extra viel gemacht.“ Ich warf Jürgen einen schelmischen Blick zu.

Lachend setzten wir uns an den Esstisch, und ich brachte die dampfenden Schüsseln mit Kartoffelsuppe und Wurst, etwas, das ich mir in diesen Zeiten gut leisten konnte. Typisch für die DDR war die Suppe sättigend und deftig, und das Brot daneben schön knusprig.

„Nun, Stefan,“ begann mein Mann Karl nach einer Weile, während wir aßen. „Erzähl uns doch ein wenig über dich. Jürgen hat schon von dir erzählt, aber ich weiß noch kaum etwas.“

Stefan lächelte schüchtern und blickte auf seinen Teller. „Ja, also ... wir kommen eigentlich aus Russland,“ begann er vorsichtig. „Meine Mutter und ich – und meine kleine Schwester. Wir sind seit ein paar Monaten hier. Meine Mutter hat jemanden kennengelernt. Wir leben bei ihm.“

Ein russischer Junge – für uns DDR-Bürger, die wir mit sowjetischen Einflüssen überall lebten, war das natürlich nicht unüblich. Doch oft war das Verhältnis zu den sowjetischen Familien ... nun ja, es war manchmal schwierig. Die kulturellen Unterschiede waren groß.

Karl nickte und schnitt sich eine Scheibe Brot ab. „Und wie kommst du hier so zurecht? Ist ja ein bisschen anders hier, kann ich mir vorstellen.“

Stefan lächelt zaghaft und nickt. „Manchmal ist es schwierig, aber meine Mutter ist Lehrerin für Russisch und Deutsch, also ist zumindest die Sprache kein Problem.“

Der letzte PassWo Geschichten leben. Entdecke jetzt