Zorn

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Nova hörte seinen eigenen Herzschlag in den Ohren. Schnell und dröhnend, zusammen mit seinen angestrengten Atemzügen, die er stoßweise hervorpresste um wieder zu Atem zu kommen. Sein Körper schmerzte und er spürte jeden Muskel. Und jeden Schlag, jeden Tritt, einfach alles. Noch immer rauschte das Adrenalin durch sein Blut und verebbte langsam. Der metallische Geschmack in seinem Mund war grauenhaft und als er mit der Zunge über seine Zähne fuhr, steckte tatsächlich etwas dazwischen. Vielleicht eine Sehne oder eine Ader oder doch ein Stück Fleisch oder Haut. Angewidert verzog er das Gesicht und versuchte das Stück mit seinen Fingern zu lösen. 

Dann drehte er sich um und sah zum ersten mal auf das Chaos, das er angerichtet hatte. Die vier Männer lagen auf dem Boden, ohnmächtig oder tot, das wusste er nicht und Nova scherte sich auch nicht darum nachzusehen. Stattdessen griff er nach dem Jackett das einer von ihnen über den Stuhl gelegt hatte und wischte sich damit das Blut ab. 

Vier. Obwohl er sich sicher war, dass die ein oder andere seiner Rippen mindestens geprellt und sein Körper mit Schnitten, Flecken und Blut übersäht war, siegte doch das Gefühl des Triumphes. Je mehr das Adrenalin verschwand, umso schlimmer wurden die Schmerzen. Bei jeder Bewegung traf ihn ein stechender Schmerz, der von seinen Rippen ausging und ihn zischend fluchen ließ. 

,,Du hast schon schlimmeres überlebt.", redete er sich selbst zu und hievte sich zu dem Körper, neben dem eine Pistole, eine Glock, auf dem Boden lag. Ein anderer hatte ein Messer gezogen, ein kleines Klappmesser, das sich jedoch ebenfalls als überaus nützlich erweisen konnte, weshalb er es in die Tasche seiner Hose gleiten ließ. Eine Chance wie diese, würde er nie wieder bekommen. Rache für das, was man ihm genommen hatte und für das, wozu man ihn gemacht hatte. All die Dinge, zu denen er gezwungen worden war und all die verlorenen Träume, die er als Junge gehabt hatte. 

All das würde er sich zurückholen und den Mann dafür bezahlen lassen. Sich von Zorn leiten zu lassen war nicht gut. Es ließ einen nachsichtig werden und benebelte die Gedanken, zumindest hieß es das immer, doch Nova war sich noch nie einer Sache so bewusst gewesen wie jetzt.

Sehun Kento würde heute sterben. 

Die Pistole lag schwer und kalt in seiner Hand, ein willkommenes Gefühl, während er durch den Gang tappte. Er musste dafür sorgen, dass Luc von hier verschwand und dann konnte er sich endlich einer anderen Sache widmen. Einer Sache, die er schon vor Jahren hätte erledigen sollen. Was danach passierte war im Moment nicht wichtig und er versuchte nicht daran zu denken, wie es wohl wäre eine gewöhnliche Beziehung mit Luc zu führen, ohne Angst zu haben, dass an jeder Ecke jemand lauerte, der ihnen schaden wollte. Trotz der Umstände, schlich sich ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht, nur für den Bruchteil einer Sekunde, denn dann erinnerte er sich wieder daran, wo er war und was er tun musste. 

Nova wusste, dass die Männer, die den Raum bewacht hatten, in den man Luc gesperrt hatte, mit ihm gekommen waren, denn eine solche Gelegenheit ließ nur selten jemand aus. Was jedoch hieß, dass sein Dad nicht mehr dort war, denn der ging nirgendwo alleine hin. Der Schlüssel in seiner anderen Hosentasche klirrte bei jedem Schritt den er machte leise mit. Wieder und wieder ging er den Plan durch. Luc befreien, seinen Dad ausfindig machen und die Sache ein für alle Mal zu erledigen. Koste es was es wolle. Noch nie zuvor hatte er eine solche Wut verspürt wie jetzt. Wie glühendes Magma floss sie durch seine Adern und erhitzte seinen Körper, nährte seinen Zorn und trieb ihn an. Nie in seinem Leben hatte er damit gerechnet, tatsächlich einen gottverdammten Finger abbeißen zu können. Es war zwar nur Levs kleiner Finger gewesen, bei dem Gedanken daran wurde ihm übel, doch trotzdem war es hilfreich gewesen. 

Vor der Eisentüre die zu dem Raum führte, in dem man Luc untergebracht hatte blieb er stehen. Ein seltsames Gefühl machte sich in ihm breit. Unbehagen als wäre etwas nicht so, wie es hätte sein sollen. Hastig probierte er alle Schlüssel durch, bis endlich einer passte und stieß dann die Türe auf. Der Raum war leer. In der Mitte stand bloß ein leerer Stuhl. 

Frustriert trat er das Möbelstück um und fluchte leise, als ein stechender Schmerz in seiner Seite pulsierte und krümmte sich. Angst packte ihn, legte ihre kalten Klauen um seinen Hals und schnürte die Luft ab. Nova konnte nicht atmen und die plötzliche Kälte ließ ihn für einen Moment erstarren. Er fühlte sich wie damals, als er dabei zusehen musste, wie man die Leiche seiner Mutter begrub. Hilflos und verzweifelt. Was wenn Luc bereits..? 

Nein. Daran durfte er nicht denken. Daran wollte er gar nicht denken und wenn sein Dad halbwegs rational dachte, dann würde Luc auch nichts geschehen, denn das würde nur darin resultieren, dass Nova keinen Grund mehr hatte auch nur ansatzweise über sein handeln nachzudenken. Er atmete tief durch und spuckte auf den Boden, als der metallische Geschmack in seinem Mund schlimmer wurde. Die Sehne steckte noch immer zwischen seinen Zähnen und er erschauderte angewidert, als seine Zunge darüber fuhr. Ekelhaft. Und ausgerechnet auch noch ein Stück von Lev...

Ein erstickter Laut, der ein Lachen sein sollte, entwich seiner Kehle und sein Blick fiel auf die Pistole in seiner Hand, die im Licht der Neonröhren glänzte. Er drehte sie herum und atmete dann ein weiteres Mal tief durch. 

Sehun Kento würde heute sterben.


Es überraschte ihn keineswegs, dass die Gänge unbewacht und die anderen Räume ebenfalls leer waren, immerhin gab es hier unten nichts wichtiges zu beschützen und ihn sofort auf seinem Rachefeldzug aufzuhalten wäre nicht ansatzweise so amüsant, wie dabei zuzusehen, wie diese Sache ausging. 

Als Nova den Aufzug erreichte, kam die Erinnerung an die Zeit im Casino hoch. Auch wenn er sich nicht mehr wirklich daran erinnerte, wie Luc ihn auf sein Zimmer gebracht hatte, hörte er dennoch das Geräusch des ankommenden Aufzugs noch immer in seinen Ohren. Das einzige, woran er sich noch erinnerte. 

In das oberste wie auch das unterste Geschoss des Hochhauses gelangte man nur mit Fingerabdruck, damit keine unangenehmem Gäste reinplatzten. Er hoffte inständig, dass man seinen Abdruck noch nicht aus dem System gelöscht hatte. Wie ironisch wäre es, ihn hier unten zu lassen, mit dem Wissen, dass er hilflos war und nichts ausrichten konnte? 

Glücklicherweise kam es dazu gar nicht erst, denn das grüne Licht leuchtete auf, als er seinen Daumen auf die kleine schwarze Fläche drückte. Selbst das Blut an seinen Händen machte nichts aus. Als er das erste Mal hier unten gewesen war, war er fünfzehn gewesen. Nicht, weil er dabei zusehen sollte, wie man mit Leuten umging, die sich seinem Dad widersetzten sondern weil er einer von denen war die sich widersetzten. Es war das erste Mal gewesen, dass er bestraft worden war, für das was er getan oder besser gesagt nicht getan hatte. Nova schluckte den Kloß in seinem hals hinunter, als er sich daran erinnerte. Er war so jung gewesen und traumatisiert von dem, was er gesehen und man ihm zu diesem Zeitpunkt bereits angetan hatte. Damals hatte er sich zum ersten Mal dagegen gewehrt, als man versuchte ihn anzufassen und das war nicht ganz so gut für den anderen ausgegangen. Natürlich war sein Dad davon wenig begeistert gewesen. Und mit den Konsequenzen hatte er zurecht kommen müssen. 

Erneut wallte Zorn in ihm auf.

Sehun Kento würde heute sterben.


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