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Es ist ein sonniger Tag, als ich mit Niall die Schule erreiche. Wir reden gerade darüber, was wir am Wochenende vorhaben, als Aidan, ein Klassenkamerad, mit dem ich eigentlich nichts zu tun habe, auf uns zukommt und mich förmlich anstrahlt. „Harry! Kann ich dich was fragen?" Ich hebe auffordernd die Augenbrauen, doch er murmelt mit einem Blick auf Niall: „Unter vier Augen." Unsicher schaue ich zu ihm. Er ist ebenfalls misstrauisch. Aidan hängt öfters mit Zayn ab, dem ich ganz und gar nicht vertraue. Aber Aidan zieht ungeduldig an dem Ärmel meines Pullis. „Komm schon, gleich klingelt es!" Unwillig folge ich ihm. Ausgerechnet die Jungstoilette hat er sich zum Reden ausgesucht. Ich hab ein ausgesprochen ungutes Gefühl in der Magengegend. Wir verschanzen uns in einer freien Kabine, wo er mich auf den Klodeckel drückt. Plötzlich total nervös fährt er sich durch die Haare.                         „Also... ich hab da so etwas gehört.... Stimmt es, dass du schwul bist?" Ich erröte. Woher zum Teufel weiß er das? Ich habe schließlich noch nie mit jemandem darüber geredet! Auf einmal grinst er fies, wobei seine Hand seinem Hosenbund gefährlich nah kommt. „Ach Harry. Wir wollen es doch beide", säuselt er verführerisch und ich kann mich nicht dagegen wehren, dass sich etwas unterhalb meiner Hüfte regt. Angestrengt beiße ich mir auf die Innenseite meiner Wange und überlege, wie ich am schnellsten hier raus komme. Aidan ist stärker als ich. Wenn ich versuchen würde, an ihm vorbeizukommen, würde mir das nicht gelingen. Eindeutig, ich stecke in der Klemme und er ist mittlerweile dabei, seine Boxershorts nach unten zu ziehen. Mir wird ganz heiß. Und zwar vor Scham. Dann packt er meinen Hinterkopf und drückt mich gegen ihn. Obwohl ich mit aller Kraft dagegen halte und die Lippen aufeinander presse, berühre ich seinen Penis. Mir wird schlecht. Ich habe noch nie zuvor so etwas gemacht und hatte immer geplant, es mit jemandem zu tun, den ich wirklich liebe. „Öffne deinen Mund!", verlangt Aidan, sodass ich doch gehorche. Je schneller ich das hier hinter mich gebracht habe, desto besser. Ein gehässiges Lachen lässt mich zusammenfahren. Ich schaue hoch und erkenne, wie Zayn von der Kabinenwand, an der er hochgeklettert ist, hinunterspringt und davon rennt.

Das Adrenalin in meinem Blut erlaubt mir, Aidan wegzuschubsen und hinter Zayn herzuhechten. Der kann was erleben! Ich erwische ihn bei seinem Schließfach, wo er, immer noch mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht eine Videokamera wegsteckt. Mist! Ich bin den Tränen nahe. Wenn er dieses Video rumzeigt, bin ich geliefert! Zayn schnalzt mit der Zunge, als er mich bemerkt. „Styles. Das mit dem Schwul hab ich mir nur ausgedacht. Das hier", er zeigt auf seinen Spind, „bleibt unser süßes kleines Geheimnis, wenn du mir im Gegenzug ab jetzt immer die Hausaufgaben machst!"

Die letzten beiden Jahre meiner Schulzeit sind ein totaler Spießrutenlauf gewesen, weil ich immer Angst hatte, Zayn könnte das Video doch veröffentlichen. Sogar jetzt noch muss ich fast weinen bei der Erinnerung daran. Schnell wische ich mir übers Gesicht, trinke den letzten Schluck Tee und verschwinde dann im Bett.                                                                                                                                        Am nächsten Morgen werde ich schon auf dem Weg zur Uni mit Nachrichten von Louis zugespamt, sodass ich es auf stumm stelle. Er hat mich ausgelacht. Von ihm hätte ich das wirklich nicht erwartet. Niall hat damals auch nicht gelacht. Gut, er weiß bis heute nicht, dass ich tatsächlich schwul bin, aber auch vor Louis habe ich mich nicht wirklich geoutet. Wenn, hat er sich das nur zusammengereimt. Obwohl. Er weiß ja auch nicht die Rahmenbedingungen der ganzen Geschichte. Allerdings werde ich die ihm jetzt erst recht nicht unter die Nase reiben! Denn wenn ich ehrlich bin, wird es die Sache besser machen, wenn ich sage, dass ich damals gezwungen worden bin, denn irgendwann wird Louis herausfinden, dass ich Männer anziehend finde und dann wird er wieder lachen. Er findet mich so oder so abstoßend. Diese Erkenntnis haut mich so um, dass ich wieder anfange, zu weinen. Mein Stiefbruder findet mich ekelhaft. Dabei ist er doch mein Seelenverwandter! Zeitweise verstehe ich mich mit ihm sogar besser als mit Niall. Oder eher gesagt: Verstand. Wütend haue ich mit der Faust auf das Lenkrad. Warum muss immer mir so etwas passieren?

Den ganzen Tag schleppe ich meine schlechte Laune mit mir herum. Niall, der einen leichten Kater hat und sich dauernd über Kopfschmerzen beschwert, fragt mich in der Mittagspause: „Welche Laus ist dir denn heute über die Leber gelaufen, Kumpel?" Stoisch kaue ich auf meinem Putensandwich herum, nachdenkend, ob ich ihn einweihen soll. Ja, immerhin ist er mein bester Freund. Ich erzähle ihm die Kurzversion dessen, was sich gestern zwischen Louis und mir abgespielt hat, woraufhin er baff ist. „Krass. So eine Reaktion hätte ich nicht von ihm erwartet. Ich meine, es stimmt ja noch nicht mal, dass du schwul bist! Du wurdest doch gezwungen!" Ich beiße mir peinlich berührt auf der Unterlippe herum. Er erblasst. „Ach? Es... stimmt also?" Langsam nicke ich, auf das Schlimmste gefasst. Doch das Gegenteil passiert: Mitfühlend steht er auf, kommt um den Tisch herum und setzt sich neben mich, um mich in den Arm zu nehmen. „Harry. Ich bin dein bester Kumpel. Deine Sexualität wird nichts zwischen uns verändern!" Und dann lasse ich den Tränen freien Lauf. All die Jahre habe ich mich versteckt, habe Mädchen gedatet, die ich nicht liebte, nur um einen 'normalen' Eindruck zu machen. Zumindest ein Teil des Drucks, der auf mir lastet, fällt ab. Vor Niall muss ich mich nicht mehr verstellen.

Als ich nachmittags vor unserem Haus parke, fällt mir Louis' Wagen auf, was mich seufzen lässt. Ich hab wenig Lust, mir seinen Ekel anzutun. Trotzdem drücke ich mich nicht, sondern steige aus, nehme all meinen Mut zusammen und schließe die Haustür auf. Aus dem Wohnzimmer dringt lautes Stimmengewirr eines Films. Ehe ich überlegen kann, ob ich mich nach oben verziehe, steht er im Türrahmen und betrachtet mich eingehend. „Harry-", fängt er an, aber ich unterbreche ihn. „Ich will es nicht wissen. Ich bin müde." Zwar versucht er, nach meinem Arm zu greifen, doch ich bin schneller und rase die Treppenstufen nach oben. In meinem Zimmer werfe ich mich auf mein Bett und beginne, in mein Kissen zu schluchzen. Louis' Klopfen ignoriere ich. „Komm schon, Harry. Ich müsste eigentlich gerade bei der Arbeit sein. Können wir nicht kurz reden?" „Nein!", rufe ich mit Tränen erstickter Stimme. „Hau ab! Ich muss mir nicht anhören, wie abartig du es findest, dass ich das gemacht habe! Ich kans mir nämlich denken!" Er stöhnt auf, sagt allerdings nichts mehr und geht tatsächlich.

Bruderherz - Larry AU ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt