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Den ganzen Vormittag bin ich damit beschäftigt, in der Unibibliothek zu sitzen und meine letzten Aufsätze für Mr. Berg zu schreiben und als Niall irgendwann kommt, merke ich erst, wie hungrig ich bin. Zusammen laufen wir in die Cafeteria, wo wir uns in der Essensschlange anstellen. Es gibt Spaghetti Bolognese. Nicht mein Lieblingsessen, aber der Hunger macht es mir unglaublich schmackhaft. „Schon was neues von Louis?", will er zwischen zwei Gabeln wissen, was ich verneine. „Er hat heute Morgen angerufen, aber ich bin nicht dran gegangen." „Findest du nicht, dass du ihm eine Chance geben solltest?" Verzweifelt stütze ich meine Ellbogen auf der Tischplatte ab und lege meinen Kopf in meine Handflächen. „Ich weiß, ich weiß. Es ist doch aber nicht nur, dass er mich quasi ausgelacht hat, sondern auch, dass ich mich generell outen sollte. Und davor habe ich totale Angst." Mal wieder brennen meine Augen. Tröstend greift er über den Tisch und streicht mir über den Unterarm. „Zwar bin ich nicht die beste Hilfe dafür, aber du bist nicht allein. Egal was die anderen sagen, ich werde dich weiterhin mögen." Beruhigt sehe ich zu ihm auf. „Danke Mann. Das bedeutet mir viel."

Wie nicht anders erwartet, werde ich nachmittags, als ich wieder mein Handy einschalte, mit Nachrichten von Louis überhäuft, sodass ich es entnervt und achtlos auf meinen Schreibtisch werfe und beschließe, eine Runde joggen zu gehen, um den Kopf frei zu bekommen. Mit jedem Schritt merke ich, wie ich mich entspanne. Schon krass, was so ein einzelnes Geständnis lostreten kann. Vor einer Woche hätte ich nie damit gerechnet, mir so schnell über mein Coming Out Gedanken zu machen. Hoffentlich reagieren die anderen nicht so wie Louis. Das würde mir das Herz brechen. Nach einer ausgiebigen Dusche fühle ich mich wieder frisch. In der Küche stelle ich mich an den Herd, um was zu kochen. Bald müssten Travis und Mum heimkommen. Irgendwann knackt auch wirklich das Türschloss. „Hey! Ich bin gerade dabei, was zu kochen!", rufe ich frohgelaunt, kriege aber einen riesigen Schock, weil weder Mum noch Travis im Flur steht, sondern Louis. Augenblicklich rutscht mir mein Herz in die Hose. „Haz. Können wir bitte miteinander reden?", bittet er flehend. Haz. So hat er mich lange nicht mehr genannt. Mir läuft ein wohliger Schauer den Rücken hinunter, gefolgt von der Erkenntnis, dass er mich ekelhaft findet. Trotzdem lasse ich den Kochlöffel sinken. „Gut. Beeil dich, unsere Eltern müssten gleich kommen." Nickend setzt er sich an den Küchentisch, unsicher mit seinen Schlüsseln spielend. „Ich finde dich nicht abstoßend, falls du das glauben solltest. Ich weiß, dass ich mich anders verhalten habe, aber das war einfach der Schock. Ich hätte dir ehrlich gesagt nicht so etwas zugetraut. Zu spät ist mir eingefallen, dass Zayn dich gesehen hat und er dich wahrscheinlich auch in irgendeiner Weise dazu angestiftet hat." Auf meiner Unterlippe kauend nicke ich. Er atmet hörbar ein. „Also hat er dich dazu angestiftet? Dieser Arsch. Wärst du mir sehr böse, wenn ich ihn umbringe?" Diese Frage bringt mich zum Schmunzeln. Vorsichtig lehne ich mich gegen die Arbeitsplatte und verschränke die Arme vor der Brust. „Hat er dir gedroht, es rumzuerzählen?" Erneut nicke ich und Louis spannt seinen Kiefer an. Es tut gut, zu wissen, dass er bis jetzt auf meiner Seite ist. Bis jetzt.

Eine Weile schweigen wir, bis er fast wispernd fragt: „Wie kam er darauf, dich dazu zu zwingen?" Mir wird schlagartig schlecht und ich schrumpfe um einige Zentimeter. Soll ich es tatsächlich wagen? Weil er immer unruhiger wird, antworte ich: „Er hat angenommen, ich sei schwul. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie... wie er es damals herausgefunden hat." Angestrengt starre ich auf den Boden, als sei er das Interessanteste der Welt, trotzdem sehe ich, wie Louis jede Farbe aus dem Gesicht weicht. „Du... Du bist... schwul?", haucht er fassungslos, weshalb ich kurz vorm Heulen bin. Meine Stimme ist nicht mehr als ein Piepsen, als ich es bejahe. Schnaubend rutscht er auf seinem Stuhl nach vorne und verschränkt die Arme hinter seinem Kopf. „Wow. Und was ist mit Natalie und Rosa? Und Emily?" „Emily habe ich wirklich geliebt. Die anderen beiden nicht. Ich hab mir irgendwie eingeredet, dass ich, wenn ich möglichst lang mit ihnen zusammen bin, wieder hetero werde. Hat allerdings nicht geklappt." „Und woran hast du es gemerkt?" Ich zucke unschlüssig mit den Schultern. „Ich hab mich in jemanden verliebt", sage ich kleinlaut. Seine Augen weiten sich und er stützt sich nun auf seine Knie. „Darf ich wissen, in wen?" Vehement schüttele ich den Kopf, was ihn zu kränken scheint, da er sofort in sich zusammensackt. Schließlich erhebt er sich und tritt an mich heran. „Harry. Zwischen uns wird sich nichts ändern. Du bist immer noch mein kleiner süßer Bruder und ich werde dich nicht verurteilen." Lächelnd umarmt er mich und ich schlinge erleichtert meine Arme um seine Taille. Süß. Er hat mich süß genannt. Als unsere Eltern kommen, überreden sie ihn, mit uns zu essen, wobei alles wieder beim Alten ist. Wir albern herum, geben blöde Kommentare ab und ärgern uns gegenseitig, indem wir uns gegenseitig das Essen vom Teller klauen. Mum sieht amüsiert zwischen uns her. Sie scheint sich zu freuen, dass wir uns wieder vertragen und auch mir geht es um einiges besser. Noch eine Person weniger, vor der ich mich nicht mehr verstellen muss. Zumindest teilweise.

Die ganze Woche über hadere ich mit mir, wie ich mein Coming Out am besten gestalten kann. Dafür durchforste ich zahlreiche Internetforen und lese auch heimlich in der Bibliothek das ein oder andere Buch zum Thema Homosexualität. Auch Samstagabend liege ich auf meinem Bett, den Laptop auf dem Schoß. Den ganzen Tag über habe ich zusammen mit Travis und Louis den Garten auf Vordermann gebracht und Platz geschaffen für einen Pool, der demnächst aufgebaut werden soll, weshalb ich jetzt dementsprechend müde bin. Plötzlich klingelt mein Handy. Niall- wer sonst? Louis ist vor einer halben Stunde zusammen mit Eleanor zu ein paar Freunden gefahren, die angeblich eine Einweihungsparty für ihre neue Wohnung schmeißen, der wird sich demnach nicht so schnell bei mir melden. Und ansonsten pflege ich nicht sehr viele Kontakte; außer zu den anderen Studenten, die am Wochenende, außer es steigt eine Semesterparty oder wichtige Prüfungen stehen an, nicht auf die Idee kommen würden, mich anzurufen. „Harry! Hast du Lust, ins 'Funky Buddha' zu kommen? Ich bin grade hier mit Suzanne." Suzanne ist eine Studentin, auf die Niall schon seit Längerem ein Auge geworfen hat, sich aber nie getraut hat, sie anzusprechen. Dass er es jetzt anscheinend geschafft hat, macht mich auf der einen Seite glücklich, auf der anderen jedoch zurückhaltend. Er hat so lange gebraucht, sodass es mir komisch vorkommen würde, ihre Zweisamkeit zu stören. Als könne er Gedanken lesen, meint er: „Keine Sorge, du störst uns nicht! Sie hat sogar nach dir gefragt!" Also verschiebe ich meine 'Forschungsarbeit' und verspreche, so schnell wie möglich zu kommen.

Bruderherz - Larry AU ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt