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Montags kommt Suzanne in der Bibliothek auf mich zu, zwei Starbucksbecher in der Hand. „Darf ich mich zu dir setzen?", fragt sie freundlich, woraufhin ich bloß wortlos meine Tasche vom freien Stuhl nehme. Sie hält mir einen der Becher unter die Nase, sodass ich nicht mehr in mein Buch gucken kann. „Geht es dir wieder besser?", erkundigt sie sich, als ich ihr den Kaffee abnehme und sie endlich anschaue. Ich kann schon verstehen, warum Niall sich in sie verliebt hat. Sie hat rötliche Locken, die ihr vorwitzig auf die Schulter fallen, eine Million Sommersprossen im Gesicht und bernsteinfarbene Augen. Ebenso wie Niall kommt sie ursprünglich aus Irland. Dadurch sind die beiden quasi füreinander geschaffen. „Ja, danke. Tut mir Leid, dass wir einfach so abgezischt sind, aber -" Sie legt mir ihren Zeigefinger an die Lippen. „Du musst dich nicht rechtfertigen. Ist ja nicht so, dass wir nie mehr die Gelegenheit haben, durch die Clubs der Stadt zu ziehen."

Daraufhin lächle ich, ehe sie ihre Hand sinken lässt und fortfährt: „Ich weiß, ist kommt dir wahrscheinlich merkwürdig vor, dass ich dich das frage, aber du bist schließlich sein bester Freund und -" Jetzt bin ich derjenige, der sie unterbricht: „Willst du mich etwa fragen, ob er dich genauso mag, wie du ihn?" Überrascht weiten sich ihre Augen, dann erwidert sie etwas schüchtern: „Um ehrlich zu sein, hoffe ich auf mehr als 'mögen'." Süffisant grinsend sage ich: „Dann hoffst du wohl genau richtig." Auch ihre Mundwinkel verziehen sich zu einem breiten Grinsen. „Das... das ist wundervoll. Meinst du... meinst du, ich soll den ersten Schritt machen?" Ich nicke und ihre Wangen werden total rot vor Begeisterung. „Danke Harry! Darf... ich meine... könntest...." Schmunzelnd hebe ich eine Augenbraue. „Soll ich dir dabei helfen?" Erleichtert darüber, dass ich ihr die Frage abnehme, nickt sie. „Na dann." Ich reiße ein Stück von meinem Collegeblock ab. „Schreibe ich dir doch am besten meine Nummer auf, damit du dich melden kannst." Dankbar nimmt sie sie entgegen und drückt mir zum Abschied ein Küsschen auf die Wange. „Echt Harry. Du bist klasse." Mir zuzwinkernd läuft sie wieder davon. In meinem Bauch macht sich tiefe Freude breit. Coming Out und Liebeskummer hin oder her, es freut mich, Suzanne und Niall zu ihrem Glück zu verhelfen. Damit habe ich endlich auch eine andere Aufgabe, als ständig zu büffeln oder mein Geheimnis zu hüten oder hoffnungslos Louis anzuhimmeln.

Apropos Louis. Der hockt nachmittags, als ich heimkomme, auf meinem Bett, sodass ich zuerst einen riesigen Schreck kriege. „Himmel, Louis! Was machst du denn hier?" Ich lasse meine Tasche auf den Boden fallen und mich neben ihn. „Ich hab Dad versprochen, heute nach Nan zu schauen und ich hab ehrlich gesagt keine große Lust, allein ins Krankenhaus zu fahren." „Also dachtest du dir, ich könnte dich begleiten?" Er nickt. Seufzend fahre ich mir durch die Haare, da ich eigentlich wenig Lust habe, einen so schönen und sonnigen Tag wie heute im Krankenhaus zu verbringen. Aber bei dem Blick, den Louis mir zuwirft, kann ich nur schwach werden, weshalb ich zustimme. Schlagartig erhellt sich seine Miene. „Du bist der Beste!", ruft er und fällt mir glatt um den Hals, sodass ich nach hinten kippe und er auf mir liegt. Für einen Moment verharrt sein Gesicht dicht über meinem und ich bin auch kurz davor, ihn zu küssen, dann allerdings richtet er sich peinlich berührt auf. Sich räuspernd steht er auf. „Na dann. Schwing die Hufe, Styles! Wenn du Glück hast, kaufe ich dir danach noch ein Eis!" Lachend strecke ich ihm die Zunge raus, während er mich hochzieht. Wenige Minuten später parken wir auf dem Parkplatz des Krankenhauses. Es ist für Londoner Verhältnisse total heiß und ich bereue, heute etwas schwarzes zu tragen, zumal es drinnen nicht unbedingt besser ist. Selbst die Empfangsdame macht ein ziemlich bekümmertes Gesicht und fächelt sich mit der flachen Hand Luft zu. „Hallo Mr. Tomlinson, Mr. Styles!", ruft sie uns nach, ehe wir in den Aufzug steigen.

Louis' Nan sieht blass aus wie immer, aber auch ihr Gesicht glänzt unter einer leichten Schweißschicht, die jener ihr liebevoll mit einem Kleenex abwischt. „Na Nan, wie geht's dir?" Er küsst sie auf die Stirn und setzt sich auf die Bettkante. Auch ich komme einige Schritte näher und streiche über die dünne, blasse, kalte Hand. Nur zu gut kann ich mich noch an den Schreckenstag erinnern, der sich vor gut einem Jahr ereignet hat. Es ist so, als könnte ich noch Louis' lautes Schluchzen hören und seinen festen Klammergriff spüren, als ich ihn getröstet habe. Erst nach einer Weile bemerke ich, dass das Realität ist. Louis ist näher zu mir heran gerutscht und weint in meine Halsbeuge, sodass ich ihm beruhigend meinen Arm um die Taille lege. „Haz... Ich hab solche Angst, dass sie nicht mehr aufwacht", wispert er schließlich und sieht mich total verheult an. Mitfühlend streiche ich ihm eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. Auch hier bin ich sowohl von seiner Schönheit überwältigt, als auch von seiner Gelassenheit, sich nach wie vor von mir umarmen zu lassen. Er könnte ja argumentieren, er habe Angst, dass ich mich in ihn verlieben könnte. Obwohl das schon längst zu spät wäre. Seine blauen Augen fangen meinen Blick hilfesuchend auf, während ich erwidere: „Sie wird aufwachen. Bestimmt." Dankbar umfasst er meine Hand, die immer noch an seiner Wange ruht. „Wenn du das sagst, muss es ja stimmen", scherzt er und hört sich plötzlich nicht mehr ganz so niedergeschlagen an. Lächelnd rutsche ich etwas weg von ihm, da ich wirklich ein bisschen Angst habe, etwas falsches zu machen. Sprich meinen Hormonen und Gefühlen nachgeben. Um die Stimmung aufzulockern, fordere ich mein versprochenes Eis ein. Lachend steht er auf und fährt sich durch die Haare. „Du bist echt schlimmer als so manches Kleinkind, Styles!" Ich stehe ebenfalls auf und pikse ihm herausfordernd in die Rippe. „Das ist mein Job, Tomlinson: Dir grundlegend auf die Nerven gehen." Glucksend verdreht er die Augen und packt mein Handgelenk, um mich hinter ihm herzuziehen. „Na dann mein Kleiner, lass uns ein Eis essen gehen!" Empört lache ich auf. „Vergiss bitte nicht, dass DU kleiner als ich bist, mein Lieber!" Schnauben seinerseits. „Du bist ja auch ein Riese."

Wir lassen das Auto stehen und laufen zur nächsten Eisdiele, in welcher reger Betrieb herrscht, uns aber trotzdem noch einen Platz im Schatten anbieten kann. Während wir auf unsere Bestellung warten, lehnt er sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtet mich eingehend, sodass es mir schon fast unangenehm wird. „Was?" Er grinst bloß nichtssagend und kramt in seiner Hosentasche nach seiner Zigarettenpackung. „Nichts, nichts. Darf ich dich jetzt noch nicht mal mehr anschauen?" „Doch.... aber..." Eine Augenbraue hebend zündet er sich eine Zigarette an. „Aber?" Er nimmt einen tiefen Zug und pustet genüsslich kleine Rauchwölkchen in die Luft. Darauf gebe ich keine Antwort, da ich befürchte, mich zu verplappern. Ich meine, jetzt wo er weiß, dass ich schwul bin, könnte es mir ja es mir jederzeit rausrutschen, dass ich auf ihn stehe. Und die Folgen dessen möchte ich mir gar nicht ausmalen.

Glücklicherweise wechselt er von sich aus das Thema und fragt, kurz nachdem unsere Eisbecher gekommen sind: „Die Semesterparty ist doch am Freitag, oder?" Ich nicke, den Löffel in der Sahne versenkend. „Warum?" „Ich hab überlegt, zu kommen." Das lässt mich aufhorchen. Noch nie war Louis auf einer der Semesterpartys. Aber wie sagt man so schön? Irgendwann ist immer das erste Mal. „Du guckst mich gerade so an, als hätte ich dir gesagt, ich würde ab jetzt auf der Straße leben", bemerkt, woraufhin ich nur mit den Schultern zucke, denn ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Nachher taucht Zayn auf, zieht ne Show ab und ich blamiere mich vor Louis. Doch auf der anderen Seite wüsste ich nicht, welches ausschlaggebende Argument ich gegen sein Aufkreuzen ich vorbringen könnte, was nicht zu auffällig ist. Als könne er meine Gedanken lesen, fasst er über den Tisch nach meinem Arm, um ihn zu streicheln. „Mach dir keine Gedanken um 'Du weißt schon wer'. Falls er auftauchen sollte, werden wir schon dafür sorgen, dass er dir nicht in die Quere kommt. Ich meine, hätte ich schon früher gewusst, was dir dieses Schwein angetan hat, hätte ich ihm schon längst den Hals umgedreht." Ich muss lachen, weshalb er mir einen Klaps auf den Unterarm gibt. „Nicht lachen, Styles! Ich bin dein großer Bruder und es ist meine Pflicht, auf dich aufzupassen!"

Bruderherz - Larry AU ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt