Kapitel 10 : "Das Notizbuch"

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Genervt blickte ich wieder auf mein Handy um die Zeit im Auge zu behalten. " Warst du bei Lukas?", fragte Ahmed lachend. Ich antwortete nicht .

"Hätte nicht gedacht,dass du kommen würdest Amrani!"
Er strich seine Haare nach hinten und warf einen Blick auf seine Uhr.
"Wieso bist du so früh gegangen ?"
Ich zuckte mit den Achseln und sah dann hoch : " Das gleiche könnte ich dich auch fragen?"
Dann lehnte er sich an eine leuchtende Straßenlaterne und setzte an zum Sprechen : " Ach Lukas und seine Freunde , sind alle aufgeblasene egoistische Schleimbeutel, habs mit denen keine Minute länger ausgehalten !"
"Warte was?", fragte ich lachend .
"Ich dachte ihr seid Freunde ?"
"Pff dieses Weißbrot weiß doch noch nicht mal was Freundschaft bedeutet !"
Ich musste lachen , denn das war gerade genau das , was ich hören wollte . Es bereitete mir gute Laune, dass ich nicht die einzige bin, die so über Lukas dachte oder die jetzt so über Lukas dachte.
Ich hatte gerade das Bedürfnis Lukas so eine reinzuwürgen . Wie gestört muss man sein , um den Tod der kleinen Schwester vorzutäuschen, nur um ein gutes Praktikunszeugnis abzuräumen? Jetzt wollte ich umso mehr Cassie helfen und das Praktikumszeugnis , was mir anfangs nicht so wichtig war, mit der lobenden Anmerkung abstauben.
Ahmed räusperte sich und kratzte sich am Hinterkopf :
"Gefährliche Gegend hier , im Dunkeln , ganz alleine , besonders für eine Frau .."
Worauf wollte er hinaus? Will er mir gleich sagen , dass er mir Gesellschaft leisten wollte? Ich vertraute ihm nicht . Ahmed gehörte zu diesem schmierigen Typus , der einen erst versucht um den Finger zu wickeln um ihn dann fallen zu lassen,und wie sich herausgestellt hatte , gehörte Lukas auch zu dieser Speziesmann. Genau wie gewisse Angler, die erst darauf warten , dass ein Fisch anbeißt, sie hochziehen und dann wieder ins Wasser werfen . Außerdem was sollte die Anmerkung , dass das eine gefährliche Gegend ist . Ich hatte das Gefühl, das sagt man immer , um einen Vorwand zu finden um jemanden ..ach Firdaus komm mal wieder runter . Ich sah ihn fragend an, aber er wich meinem Blick aus und sah auf den Busfahrplan : "...und wie es aussieht ,wird der Bus noch ein Weilchen brauchen , du kannst bei mir mitfahren , also ich kann dich nachhause fahren Amrani."
Wusste ich es doch ! Glaubt er wirklich ich würde mich einfach so von ihm rumkutschieren lassen, als wären wir... als wären wir Mann und Frau.
Ein höhniches Gelächter verließ meine Lippen: " Glaubst du wirklich , ich würde es riskieren , dass man mich mit dir im Auto sieht? Die ganze Nachbarschaft würde glauben , ich würde mich mit irgendwelchen ...irgendwelchen Rumtreibern abgeben !"
Oh gott kam das gerade aus meinem Mund ? Das war eindeutig zu hart!
" Ach mach was du willst Amrani..", zischte er nun beleidigt und kehrte mir den Rücken . Ich sah ihm nach, wie er langsam im Dunkeln verschwdnd.
Irgendwie ergriff mich kurz ein schlechtes Gewissen . Ich weiß garnicht, warum ich immer so pampig zu ihm war. Aber wie gesagt ich vertraute ihm nicht. Ich vertraute eigentlich überhaupt niemandem.
Wobei Anas, Anas habe ich vertraut . Ich wusste, dass er mich niemals nur benutzen würde. Der Wunsch nach seiner Anwesenheit packte mich und ich stellte mir vor, wie er gehandelt hätte. Er hätte mit mir wahrscheinlich auf den Bus gewartet und hätte mich dann nachhause begleitet mit dem nötigen Abstand , so dass niemand auf falsche Gedanken kommen würde.
Es war erstaunlich , wie stark Anas jetzt noch mein Leben beeinflusste. Fast in jeder Situation, malte ich mir aus , was er jetzt getan hätte. Das war definitiv nicht gesund . Ich träumte davon, dass er eines Tages zurück kehren würde um mich zu suchen , aber wer sagt, dass er mich nicht schon längst vergessen hat und jemand anderes gefunden hatte. Eine Frau, dort in Palästina, die genauso mutig war, wie er und jeden Tag der Gefahr ausgesetzt ist.
Diese Gedanken zogen mich nur noch weiter herunter und als ich nochmal auf mein Handy sah und bemerkte , dass der Bus eigentlich jetzt hätte da sein müssen, legte ich verzweifelt mein Gesicht in die Hände. Der zahlreiche Gefühlsbund : Verzweiflung, Wut, Scham , Trauer , Enttäuschung , kam nun unkontrolliert zum Ausdruck. Salzige Tränen glitten meine warmen Wangen entlang. Manchmal konnte man einfach nicht anders. Man hatte sich lange Zeit zusammen gerissen , aber dann..dann überkommt es einen einfach.
Es waren nun fast zehn Minuten über den eigentlichen Ankunftszeitpunkt und der Bus war immer noch nicht zu sehen . Wäre ich bloß nicht auf dieses bescheuerte Grillfest gegangen! Ich hätte einfach Zuhause bleiben sollen , eine schöne Serie schauen oder ein gutes Buch lesen . Die Sehnsucht nach einem gemütlichen Kuschelabend zu hause stieg immer mehr . Die einzige Option wäre meinen Vater anzurufen , der mich abholen soll , aber ich schämte mich . Aber was für eine andere Wahl blieb mir noch ?
Plötzlich konnte ich den brummenden Motor eines Autos vernehmen .
Es war ein schwarzer Benz. Die Tür öffnete sich .
"Steig schon ein Amrani. "
Ich verstand nicht . Ich dachte er wäre weg gewesen.
Mein verwirrter Blick ließ ihn wohl meine Gedanken vermuten , denn jetzt sah er mich genervt an :" Ich saß im Auto , wollte wegfahren und hab dann gedacht scheiße ich will nicht der sein , der dann in der Zeitung von einer Vergewaltigung oder einem Mord liest und weiß , dass ich derjenige bin, der es hätte verhindern können."
Ohne groß Nachzudenken stieg ich jetzt ein .
Ich weiß , ich weiß , ich hasste es auch , wenn man erstmal große Reden führt und letztlich doch das tut, was man anfangs so abgelehnt hat , aber ich wusste einfach nicht was ich sonst tun sollte.

Möge Allah uns im Jenseits zusammenführen..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt