#2 - Theo

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„Ethan?"

Ich zuckte zusammen. Tate hatte mich wieder aus dem Tagtraum entrissen. Aber ich konnte nicht anders, als mein Umfeld weiter wahrzunehmen. Es war traumhaft schön...

„Willst du weiter träumen oder mir mit deinem Koffer helfen?"

Wir beide zogen den enorm schweren Koffer aus dem Kofferraum und ich schob ihn hinter mir her. Tate parkte den Wagen woanders, und so konnte ich mein neues Zuhause weiter erkunden.

Ich schlenderte lächelnd am Campus vorbei, wo mehrere Studenten in Büchern und Notizblöcken versunken waren. Es waren meist Gruppen, aber viele saßen auch nur alleine auf den Treppenstufen zur riesigen Bibliothek mit Blöcken oder ihren Laptops.

Zu meiner Rechten unterhielten sich einige Footballspieler. Auf ihren dunkelroten Trikots konnte ich einen goldenen Adlerkopf mit der obigen Aufschrift „Loghard" erkennen.

Die Loghard Eagles. So heißt ihre Footballmannschaft.

Ich ging in Richtung Bibliothek, als mir plötzlich ein lächelnder Mann entgegenkam. Er war ein kleines bisschen größer als ich, trug einen Vollbart und zusammengebundenen Pferdeschwanz. Er hatte ein dunkelrotes Sweatshirt an, auf dem klein das Wappen der Uni zu sehen war.

„Hallo, ich bin Theo, einer der Heimbetreuer. Ich kann dich zu deinem Wohnheim begleiten." Er klang sehr nett, das hier war bestimmt sein letztes Jahr.

„Ja, das wär sehr nett. Ich bin übrigens Ethan." Da fiel mir der Zettel ein, den ich vor ein paar Tagen in meine Jeans gesteckt hatte.

Ich kramte ihn hervor, faltete die Knickstellen ein wenig glatt und las ihn vor: „Hayden Hall."

„Oh, da hast du Glück, Ethan. Da wohnen die meisten Mitglieder von Kappa Alpha."

Ich wollte schon „Gesundheit" sagen, weil ich keine Ahnung hatte, was Kappa Alpha bedeutete. Theo muss wohl meinen ahnungslosen Blick gefolgt haben, denn er sagte dann:

„Ach, tut mir leid, so heißt die Studentenverbindung." Er grinste peinlich berührt.

Ich kam mir ein wenig lächerlich vor, weil ich es nicht kannte, aber ich wusste glücklicherweise, was eine Studentenverbindung ist. Ich würde da bestimmt nicht hingehören, denn das Einzige, was ich über diese Verbindungen wusste, war, dass die Studenten alle nur Partys schmissen oder unbeabsichtigt Studentinnen klarmachten. Das letzte, was ich brauchte, war, diese Dinge zu tun und mich dadurch selbst zu schaden.

„Das ist wohl nichts für mich", sagte ich schließlich.

Ist nicht schlimm, dir wird es bestimmt keiner übel nehmen."

„Danke", sagte ich, dann ging er voraus und ich folgte ihm, meinen Koffer hinterher schleifend. Wir spazierten am Campus vorbei, hinüber zu einem riesigen Springbrunnen. Um den Brunnen herum saßen einige Studentinnen und kicherten, mit Laptops auf ihren Schößen.

Theo blieb kurz stehen und wandte sich der Mädchengruppe zu.

„Ich hoffe sehr, ihr lernt für eure bevorstehende Prüfung?" Die Mädchen schauten auf, reagierten aber uninteressiert.

„Was kümmert es dich? Du bist nicht unser Betreuer.", meinte eines der Mädchen - ein braunhaariges mit kurzen Klamotten - spöttisch und kicherte.

„Tja, eure "Betreuerin" verkriecht sich doch viel mehr in ihrem Wohnhaus und macht sich über eure Sorgen und Ängste lustig", meinte Theo gelassen.

Die Mädchen sahen sich gegenseitig an und zuckten bloß mit den Schultern. Dann vertieften sie sich wieder in ihren Laptops.

„Diese Gören..", sagte Theo und wandte sich wieder mir zu. „Sie können sich echt glücklich schätzen, dass sie eine unachtsame und inkompetente Betreuerin haben. So können sie tun und lassen, was sie wollen. Gehen wir weiter, Ethan."

Als wir wieder nach vorne schreiten wollten, kam plötzlich eines der Mädchen auf mich zugerannt.

„Warte", rief sie. Sie war ein Blondschopf mit ebenfalls kurzen Klamotten und übertrieben viel Make-up. „Wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt, ich bin Darcy." Sie streckte die Hand nach mir aus und lächelte mich an. Sie war echt hübsch und sehr nett.

„Ich bin Ethan", begrüßte ich mich und schüttelte ihre Hand. Dann zog sie hinten aus ihrer Hotpants ihren Lipgloss raus und beschmierte mit dem Pinsel ihre Lippen, während sie weiter auf mich einredete.

„Weißt du, ich bin schon etwas länger hier, also ... wenn du willst, kann ich dir den Campus zeigen, oder so.. ?"

Flirtete sie etwa mit mir? Das konnte ich mir irgendwie selber nicht beantworten, da ich schon seit einigen Jahren keinen intimen Zugang zu Mädchen hatte. Dies wäre jetzt sowieso ein schlechter Zeitpunkt gewesen, jemanden kennenzulernen, ich wollte ja mein neues Zuhause weiter erforschen und meinen Mitbewohner kennenlernen.

„Ach danke, aber das ist nicht nötig", sagte ich dann. „Ich kann auch selber alles erkunden."

Sie kam einen Schritt näher an mich heran und blickte mir direkt in die Augen. Sie lächelte nur und legte dann ihre Hand auf meine Schulter.

„Na gut...vielleicht laufen wir uns mal wieder über den Weg." Ihre Hand fuhr langsam von Schulter auf meinen Arm, den sie dann leicht drückte.

„Du hast schöne Muskeln, treibst du viel Sport?"

Theo kam unerwartet dazwischen und unterbrach sie. „So, das reicht, geh zurück zu den anderen! Na los!" Genervt schritt Darcy zurück, zwinkerte mir noch rasch zu und ging zurück zu ihren Freundinnen.

Ich war Theo wirklich dankbar, dass er diese Situation beendet hatte.

„Komm, dein Wohnhaus steht gleich da hinten", sagte Theo und deutete auf ein braunes Gebäude, bei dem über dem Eingangstor Hayden Hall eingraviert war.

Als wir uns wieder auf den Weg machten, lief ich neben ihm her und sprach ihn an.

„Diese Darcy...ist sie immer so, wenn ich fragen darf?" Diese Frage klang echt albern, aber Theo ging lässig darauf ein.

„Allerdings, sie wickelte viele Jungs mit ihrer Anmacherei um den Finger, um an der Uni möglichst schnell beliebt zu sein. Ich konnte das nicht nochmal mitansehen. Ich muss dringend mit ihrer Betreuerin Claire reden, damit sie mal ihren Hintern bewegt und auf die Gören Acht gibt. Halte dich bis dahin einfach fern von ihr und ihren Freundinnen, es sei denn, du stehst auf Mädchen wie sie? Ich gehe aber mal davon aus, dass du eine Freundin hast."

„Ich, ich habe noch keine Freundin", sagte ich langsam.

„Nein? Die Mädchen müssen doch Schlange stehen, um einen hübschen und klugen Jungen wie dich zu ernten."

Da musste ich schmunzeln und ich dachte mir, dass ich echt Glück hatte, einen Betreuer wie Theo bekommen zu haben, dem ich mich anvertrauen konnte, mit ihm lachen und mit ihm über den Lernstoff reden konnte.

Endlich erreichten wir mein Wohnhaus. Drinnen erwartete uns schon ein hölzerner Innenbereich, der Flur war eher eine kleine Halle und um die Halle herum waren einige Türen. Am Ende des Flures war eine Treppe, die zum oberen Stockwerk führte. Theo half mir, meinen Koffer die Stufen raufzutragen.

Oben erwartete uns ein geradeaus führender langer Flur, der von mehreren Türen, mit einer jeweiligen Nummer gekennzeichnet, umgeben war.

Ich holte wieder meinen Zettel aus der Hosentasche. Unter dem Namen des Wohnheims stand eine Zahl, die meine Zimmernummer andeutete. „Zimmer 412", sagte ich und Theo führte mich zu einer Zimmertür zu meiner Rechten.

Er klopfte zweimal an der Tür und öffnete sie schließlich.

Zum Vorschein kam ein Junge meines Alters und meiner Größe, der mit einem schwarzen Umhang bekleidet zu mir kam und sich vorstellte.

American College StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt