#6 - Erwischt!

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Ich wandte meinen Blick ab und versuchte, mich davonzuschleichen, ohne aufzufallen. Dabei schaute ich mich konzentriert nach den Zimmernummern an den einzelnen Türen um.

Dieser Stockwerk hatte die Nummern von 14 bis 24.

Ich musste also wieder runter.

Ich schlich mich also unbemerkt davon, ohne dass mich diese Betreuerin sah und mich am Kragen hinausjagte.

„Wo willst du denn hin?"

Verdammt! Diese kleine Hexe Darcy hat mich verraten und da kam auch schon die Betreuerin zu mir und führte mich eigenhändig nach unten.

Als sie mich unten hinausbeförderte, wartete ich hinter dem Haus, darauf dass die Betreuerin aus meinem Sichtfeld verschwand und ging dann wieder rein.

Zimmernummer 13 konnte ich schon entdecken, ich war total aufgeregt.

Normalerweise war ich nie aufgeregt, nur damals, als ich auf meine Aufnahme aufs College gewartet habe. Mein erwartendes Ziel war eigentlich Harvard oder Yale gewesen, aber die waren ja eben viel unwahrscheinlicher.

Ich stand also nun vor der Tür mit der eingravierten Zahl 13.

Aber plötzlich fiel mir ein, dass ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht habe, was ich ihr sagen soll. Ich war nur darauf fixiert gewesen, sie kennenzulernen, mit ihr auszugehen, mit ihr zusammenzukommen und für den Rest meines Lebens mit ihr zusammenzuleben!

Okay, da habe ich meine Vorstellungen zu weit gebracht. Ich wollte sie im Grunde erst einmal nur kennenlernen, aber ohne gut überlegten Sätzen, die ich sagen konnte, stand ich bloß wie ein Stalker da.

Während ich noch am Überlegen war, konnte ich leise Stimmen aus dem Zimmer vernehmen.

Ich hielt also mein Ohr an der Tür und lauschte konzentriert.

Die Stimme, die am Reden war, gehörte wohl Olivias Mitbewohnerin.

„Du meinst doch wohl nicht den, der dich so schüchtern angesehen hat?"

„Warum bist du so erstaunt, ich fand ihn irgendwie süß." Das war eindeutig Olivias Stimme. Sie redete über mich. Und sie fand mich süß!

„Du fängst gerade erst hier an und fühlt du dich schon augenblicklich zu jemanden hingezogen?" Ich stellte mir gerade vor, wie Jesse das zu mir sagen würde. An der Sache war ja auch was dran, aber Olivia war einfach viel zu wundervoll, als dass ich bei diesem Thema überhaupt zuhörte.

„Wahrscheinlich hast du recht. Das Studium ist bei mir an erster Stelle, dann kommen die Männer."

„Haha! Also bei mir ist es eher andersrum! Ich warte einfach nur auf den Richtigen. Vielleicht sollte ich erst einmal die Jungs besser kennenlernen, bevor ich mit ihnen in eine Knutschszene gehe."

„Du bist hier ja schon ziemlich lange, also kannst du mir ja von den Jungs hier erzählen."

„Nun, es gibt schon einige, die ziemliche Idioten sind und nur nach neuer Beute suchen. Ich rede hier von den Vollpfosten von Kappa Alpha. Dann gibt es noch die wilden Footballspieler, aber die sind wirklich irre. Für sie ist ihr Sport am allerwichtigsten als der letzte Bissen vom Hamburger."

„Und wie sind die Studentinnen hier? Ich hab einige gesehen, die schon etwas zickig sind."

„Mit 'einige' meinst du wohl Darcy ... . Diese Schlampe, leg dich lieber nie mit der an. Die hat echt einen Knall und ich glaube, sie hatte schon mit allen Jungs von Kappa Alpha was laufen gehabt."

„Woah. Echt bescheuert, die Kleine." Du sagst es, Olivia.

„Allerdings. Hey, du hast mir noch nicht erzählt, was du studierst."

„Englische Literatur. Ich wollte schon immer Schriftstellerin werden." Ich würde jedes ihrer Bücher lesen und dafür sorgen, dass sie sehr erfolgreich wird. Mann, ich hatte echt einen Knall. „Und du?"

„Regie und Filmwissenschaft. Bald werde ich Kathryn Bigelow!"

„Toll, ich mag sie auch. Zero Dark Thirty ist mein Lieblingsfilm von ihr."

„Ah! Schwester!" Ich hörte, wie sie auf Olivia sprang und sie miteinander lachten.

„Was machst du da?!"

Ich fiel vor Schreck auf den Boden und sah zu der Person hinauf, die bei mir beinahe einen Herzanfall ausgelöst hatte. Jesse.

„Wieso lauschst du bei den Mädchen, verdammt?!

Ich rappelte mich rasch auf und hielt ihm den Mund zu.

„Schrei gefälligst nicht!", flüsterte ich ihn an. Ich starrte zur Tür hin, ob die Mädchen uns belauscht hatten.

„Was machst du hier?", fragte mich Jesse im Flüsterton.

Wenn ich ihm bei seiner strengen Miene erzählen würde, dass ich wegen Olivia hier wäre, würde er mich für verrückt halten.

Aber ich konnte schon ahnen, dass er mich bereits für verrückt hielt.

„Ich bin hier ... weil ... ich vorhin eine kurze Unterhaltung mit dieser blöden Darcy geführt habe. Und du wirst dich wundern, wie sie über dich und mich gesprochen hat." Das war jedenfalls nicht gelogen.

Jesse beäugte mich staunend und fragte:

„Was hat dieses Schlammblut gesagt?"

Ich muss schon sagen, mir ist noch nie so ein extremer Potterhead begegnet.

„Sie meinte, du wärst ein Freak und wir müssten der Studentenverbindung angehören, um bei der zu landen."

Jesse lachte, als hätte man ihn zu etwas Schwachsinnigem herausgefordert.

„Ist sie da drinne?", fragte er und zeigte zur Tür, an der ich gelauscht habe. Bevor ich was sagen konnte, marschierte er schon zur Tür. Ich hielt ihn noch schnell auf.

„Spinnst du? Willst du, dass wir uns Ärger einhandeln?"

Und in dem Moment hörte ich die Stimme von Olivias Mitbewohnerin ganz nahe.

„Ich hol mir schnell einen Kaffee." Dann sahen wir die Türklinke rütteln.

„Schnell weg hier!", schrie ich flüsternd und schubste uns beide zum Ausgang. Aber da war es schon zu spät. Die Zimmertür knallte zu und jemand rief uns ein „Hey!" zu.

Wir drehten uns um und zum Vorschein kam ein Mädchen mit dunkelblonden Haaren, einem Hut und einer Zigarette in der Hand.

„Was macht ihr in diesem Wohnheim?!", rief sie verärgert. Jesse und ich starrten uns gegenseitig an.

„Habt ihr uns etwa belauscht, wollt ihr mich verarschen?!"

Ich konnte ihre Wut echt verstehen. Dass ich überhaupt hier war, war wirklich grotesk. Mir wurde erst spät bewusst, in was ich mich eingelassen hatte. Mein Ziel war, mein Studium sinnvoll zu nutzen, um meine Zukunft zu erreichen, aber stattdessen würde ich im ganzen Campus als Stalker oder so bekannt sein. Ich hasste mich selbst.

„Ich sagte doch, du würdest auf Rebecca Mansfield abfahren. Warum hast du mir das nicht einfach erzählt?", sagte Jesse enttäuscht.

Ich starrte zunächst Jesse, dann das Mädchen an und da erst fiel der Groschen. Als ich in der Cafeteria auf Olivia stieß, dachte Jesse, ich wollte sie nach ihrer Mitbewohnerin fragen, obwohl das ja nicht stimmte. Und da stand sie nun. Rebecca Mansfield.

„Du stehst also auf mich?", fragte mich Rebecca und schaute mich herabwürdigend an.

„Nein", beteuerte ich schnell,„ich stehe nicht auf DICH!"

Und da kam sie ebenfalls aus der Tür und beäugte mich mit ihren strahlenden, haselnussbraunen Augen an. Sie war einfach viel zu schön, um wahr zu sein.

Jesse starrte mich an und ich denke, er hatte nun auch endlich begriffen, in wen ich verknallt war. Und Rebecca anscheinend auch.

Nur Olivia nicht.

American College StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt