#15 - Falsche Hoffnung

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Olivia Grace Callahan



Ich schaute mich im Spiegel an und bemerkte, wie mir eine hässliche Strähne vom Kopf herunterbaumelte.

So konnte ich auf keinen Fall auf ein Date gehen ... Moment! Es war kein Date, redete ich mir ein. Es war nur eine Nachmittagsverabredung nach unseren Vorlesungen. Ich würde kein großes Ding daraus machen ...

Ich ging, noch bevor Rebeccas letztes Schnarchen ertönte, unter die Dusche und machte mich für meinen zweiten Einführungskurs für Literaturwissenschaft fertig.

Nachdem ich meine Garderobe im Spiegel musterte, überlegte ich kurz.

Wenn ich nach meiner Vorlesung eine Verabredung hatte, wäre doch etwas Lockeres zum Anziehen passender. Wenn ich mich beim Date (Treffen!) wohl fühlen wollte, brauchte ich auch ein Outfit, in das ich mich wohlfühlte.

Ich bewegte mich auf meinen Kleiderschrank zu, entledigte mich von meiner Bluse, meinem Blazer, sowie von dem grausamen Faltenrock, dass mich wie ein Mauerblümchen aussehen ließ. Ich bekam diese Klamotten vor meinem Umzug hierher von meinen Eltern geschenkt. Als ich dann in den Karton, in dem die Sachen drin waren, hineinschaute, musste ich mir ein Würgen verkneifen. Dieses Grau ... !

Ich zog mir also ein schlichtes Shirt und meinen einzigen Cardigan über, und schlüpfte in meine Leggings und Ballerinas.

„Sieht süß aus."

Rebecca erwachte aus dem Schlaf und blickte mich mit verschlafenen und faltigen Augen an, während sie sich in ihre zerknüllten blonden Haare wuschelte.

„Danke", antwortete ich schlicht und beantwortete schon mal ihre nächste Frage.

„Ich wollte mich für meine Verabredung ein wenig aufstylen."

Von Rebecca kam nur ein langer Seufzer.

„Ich verstehe immer noch nicht, warum du ausgerechnet auf ihn stehst", sagte sie dann, im Austehen und Strecken.

„Ich stehe nicht auf ihn", leugnete ich und bürstete weiter meine Haare.

„Nein, natürlich nicht ... Dann würdest du dich ja nicht so für ihn rausputzen."

Ich betrachtete mich erneut im Spiegel, musste ihr aber dann widersprechen.

„Denkst du ich will ihn durch dieses Outfit rumkriegen? Es wird nur ein kleiner Plausch zwischen zwei Studenten bei einem Kaffee, nichts weiter."

Und damit war die Sache für mich abgeschlossen.

Rebecca jedoch blieb weiterhin bei der Meinung, dass Ethan nur Ärger machen würde und dass ich einen besseren verdient hätte und so weiter. Ich ließ sie labern.

Um kurz nach Acht begab ich mich mit Rebecca auf den Weg zur Cafeteria, wo ich mit ihr eine Weile lang zusammen zu Frühstück aß. Rebecca hatte heute keine Vorlesung, also blieb sie länger vor ihren Spiegeleiern sitzen, während ich schon mal von unserem Gruppentisch aufstand und sie zum Abschied umarmte.

„Und lass ihn bloß nicht über dich herfallen!", wollte Rebecca noch schnell loswerden.

Ich rollte bloß die Augen und marschierte zum Ausgang. Bevor ich jedoch die Tür öffnete, erhaschte ich noch einen raschen Blick über die übrigen Gruppentische, die von wenigen Frühaufstehern besetzt waren.

Weswegen hatte ich das eigentlich getan? Doch nicht, um nach Ethan Ausschau zu halten ... ?


Heute war ein recht amüsanter zweiter Tag in meinem Einführungskurs für Literaturwissenschaft. Neben mir waren im Hörsaal noch zwanzig weitere Kommilitonen. Typisch, dachte ich mir. Gestern Nacht fand ja noch eine Party statt.

Heute beschäftigten wir uns unter anderem mit der Literaturgeschichte und -kritik. Zum Schluss legte uns der Dozent einen Absatz aus Robinson Crusoe von Daniel Defoe vor, welches wir interpretieren mussten.

Nachdem wir damit fertig waren, verlangte unser Dozent, dass wir bis nächster Woche ein historisches Buch beschaffen haben mussten, und damit war der Kurs vorbei.

Während ich meine Sachen einpackte, schaute ich auf mein Handy.

Ich hatte ihn ja meine Nummer hinterlassen und er wollte ich mich nach der Vorlesung anschreiben.

Mein Dozent und ich waren nun die Einzigen im Hörsaal, denn ich wartete noch immer auf eine Antwort von Ethan.

„Ihr Name ist Callahan, nicht wahr?", unterbrach plötzlich mein Dozent die Stille.

„Ja", antwortete ich, „Sie können mich auch Olivia nennen."

„Das ist nett", sagte er und lächelte mich an. „Ms. Callahan, ich wollte Sie nochmal herzlich willkommen heißen und ich hoffe, Ihnen gefallen meine Vorlesungen?"

„Aber natürlich", versicherte ich ihn, ohne mich einschleimen zu wollen. „Ich bin mir sicher, dass ich eine Menge bei Ihnen lernen werde."

„Wollen Sie denn eine Menge lernen?"

„Natürlich." Was für eine Frage...?

„Ich will Ihnen zwar nicht Ihre Freiheit stehlen, aber wenn Sie hier viel erreichen wollen, dann sollten Sie auch darüber nachdenken, wo Sie Ihr Privatleben unterbringen."

Er schaute dabei auf mein Handy, welches ich rasch zurück in meine Tasche packte.

Schließlich verließ auch er den Hörsaal, sodass ich als Einzige noch hier war.

Ich denke, er hatte Recht. Ich wollte ja schließlich an der Uni studieren, mich auf meine Zukunft konzentrieren. Da war nicht viel Platz für Beziehungen ... 

Moment! Genau DAS wollte ich ja nicht. Ich wollte auf keine Beziehung mit irgendwem am College eingehen. Weder mit Ethan, noch mit jemand anderes.

Es sollte eine einfache Verabredung werden.

Und er wollte mich anschreiben, damit wir einen Treffpunkt festlegen konnten.

Aber er schrieb mich nicht an.

Keine Nachricht.

Ich bewegte mich allmählich aus dem Saal hinaus, da ein anderer Kurs hier gleich stattfand. Draußen sah ich mich um, ob er vielleicht irgendwo auf mich wartete, was ich aber stark bezweifelte.

Er war nirgendwo und es kam noch immer keine Nachricht von ihm.

Ich wartete eine gefühlte halbe Stunde, bis ich es satt hatte und auf den Weg ins Wohnheim zusteuerte.

'Männer!', dachte ich insgeheim und musste da auch an einen Jungen denken, der mich damals in der Schulbücherei wohl mochte und mir einen Zettel hinterließ, auf dem stand, dass er sich mit mir treffen wollte. Ich wartete also gespannt am Treffpunkt und das für zwei Stunden! Er ist nicht gekommen, ich wusste auch nicht wieso, aber das war mir in dem Moment völlig egal. Ich war so sauer, dass ich einfach stehengelassen wurde und habe ihm das niemals verziehen oder darüber gelacht.

Und nun wurde ich wieder sitzengelassen, das Maß war für mich endgültig voll!

Ich ging auf dem Heimweg noch schnell in eine Buchhandlung, um für meine Hausarbeiten die nötigen Materialien zu kaufen.

Zwischendurch schaute ich auf mein Handy, ob mir vielleicht doch etwas zugeschickt wurde, aber weit gefehlt.

Je öfter ich auf eine Nachricht wartete, desto wütender wurde ich.

Aber es gab ja keinen Grund mehr dafür, dass ich das weiterhin tat. Ich war sowieso fertig mit ihm! Rebecca hatte vollkommen Recht gehabt. Typen wie er machten bloß Ärger.

Inzwischen war ich vor meiner Zimmertür angelangt, als ich bemerkte, dass ich auf etwas getreten war.

Ich schaute auf den Zettel runter und hob ihn auf. Schon auf Anhieb konnte ich erkennen, was darauf stand.

Bin bei Kappa. Ich hatte keine Wahl, bitte vergib mir!

Ethan


American College StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt