#8 - Ein neuer Tag

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Als ich morgens aufwachte, war es schon halb zehn. Mein Wecker hatte mich mal wieder im Stich gelassen. Ich sah mich im Zimmer um. Jesse war nicht da, sein Bettzeug lag zerstreut auf dem Boden und sein Schreibkram hatte es sich überall im Zimmer gemütlich gemacht. Zum Glück hingen die Harry-Potter-Poster noch, sonst würde hier echt was nicht stimmen.

Nachdem ich mich umgezogen habe, ging ich aus dem Zimmer und stieß beinahe gegen einen Studenten. Um mich herum marschierten jede Menge männliche Studenten herum, auf dem Weg zur Cafeteria wahrscheinlich. Also machte ich mich auch auf dem Weg.

Unten war bereits eine große Ansammlung aus Hunderten Studenten entstanden und da fiel mir ein, dass heute der Tag war, an dem man sich für verschiedene Clubs und Kursangebote einschreiben konnte, um das Leben an der Uni genießbarer zu machen.

Ich glaubte nicht, dass ich die Zeit für irgendwelche Clubs hatte, denn ich würde ganz sicherlich in Prüfungen und Büchern vertieft sein, die sich bis zu meiner Zimmerdecke stapeln würden.

Ich versuchte mich durch die Menschenmasse hindurch zu quetschen und ging dann geradewegs zur Cafeteria.

Als ich kam, konnte ich Jesse noch immer nirgendwo finden. Das war echt komisch, aber auch irgendwie sehr gemein von ihm. Immerhin war ich nun sein Mitbewohner und er sollte doch dafür sorgen, dass ich mich hier einlebte und wohlfühlte. Das hätte ich wirklich nicht von ihm erwartet. Seinem Verhalten und Charakter nach zu urteilen hätte er mich nie so hängengelassen.

So stellte ich mich allein an der Essensvergabe an und genoss mein Rührei auf Toast, wie ein trauriger Vogel, an einem leeren Tisch.

Nach einer Weile waren mehrere Studenten schon mit dem Essen fertig huschten hinaus. So hatte ich einen guten Überblick auf die Tischreihen in der hintersten Ecke.

Und da saß sie. Olivia. Mit ordentlichen Klamotten, die man am Morgen auch gut tragen konnte. Neben ihr hockte Rebecca. Die, die mir gestern Zigarettenrauch ins Gesicht gepustet hatte. Ich kann ihren üblen Gestank aus ihrem Mund noch immer riechen. Ihre Art und ihr Verhalten ähneln für mich sehr stark wie die von Darcy.

Wenn ich ihr aber das ins Gesicht gesagt hätte, wäre ich wahrscheinlich ein toter Mann, der ich gestern wohl auch gewesen wäre, als ihr klarwurde, dass ich und Jesse sie belauscht hatten.

Wäre Olivia nicht gewesen, hätte Rebecca uns wohl kalt gemacht.

Ich verstand echt nicht, wie eine sanfte und anständige Person wie sie nur mit so einer lässigen und unfreundlichen Zicke klarkommen konnte.

Ich dachte über die Party nach. Würde ich Olivia richtig kennenlernen, wenn ich da auftauche? Ich bin ja, wie bereits gesagt, kein Party-Typ, also war ich noch immer nervös, was da passieren könnte.

Als ich aufhörte, Olivia weiter zu mustern, bemerkte ich, dass mein Essen kalt und ungenießbar geworden ist.

Ich stand also auf und beförderte den Rest in den Müll und das Geschirr zur Geschirrabgabe.

Ich kämpfte mich erneut durch die Menge, um in mein Wohnheim zu gelangen, damit ich mir die Zähne putzen und mich frisch machen konnte.

Heute war ein sehr schöner und sonniger Tag, also beschloss ich, gleich auf dem Campus die Clubs anzuschauen, die angeboten werden.

Als ich den Gang entlang in Richtung Zimmer ging, sah ich ein Haufen Typen mit denselben Klamotten herum rennen, während sie kleine Zettel verteilten.

Viele von ihnen kündigten an: „KAPPA KAPPA ALPHA NIMMT HEUTE NEUE NIETEN AUF! ALLE, DIE AUF KRASSE PARTYS, ZEREMONIEN UND HEISSEN FRAUEN STEHEN, SOLLTEN HEUTE UM FÜNF UHR ABEND IM FORUM AUFKREUZEN. BRINGT FREUNDE UND ALK MIT!"

Als sie mit dem Verteilen in diesem Gang fertig waren, marschierten sie an mir vorbei, um bei den übrigen Zimmern dasselbe noch einmal zu erzählen.

Dabei klatschte mit einer von ihnen - ein gebauter Student mit Bart - einen Flyer auf die Brust und sagte: „Wir brauchen Leute wie dich, Mann!"

Als sie nach oben verschwanden, steckte ich den Zettel ein begab ich mich direkt in mein Zimmer.

In dem Moment, als ich die Tür öffnen wollte, stürmte Jesse plötzlich aus dem Zimmer.

„Alter, hast du mich erschreckt!", sagte ich und faltete dabei den Flyer.

„Ich wollte runter gehen", sagte Jesse. „Die Angebote draußen mal ansehen. Kommst du mit?"

Ich hätte zunächst gedacht, Jesse würde sich dafür entschuldigen, dass er heute Morgen einfach weg war und nicht mit mir gefrühstückt hat. Ich war gerade dabei, ihn darauf anzusprechen, aber dann dachte ich mir, dass so eine einmalige Sache nicht so wichtig sei und beschloss dann, mit ihm nach draußen zu gehen.

Auf dem Campus gingen wir an den einzelnen Ständen vorbei. Es gab Sprach-Clubs wie Spanisch, Chinesisch, Deutsch und vieles mehr. Es gab Schach-Clubs, Sportangebote, Kunstkurse, den Theaterclub, A-Capella-Clubs, den Debattierclub und schließlich kamen wir bei einem Harry-Potter-Fanclub an.

Jesse rannte sofort hin und er hatte sich auch sofort mit den anderen Fanatikern angefreundet.

Ich ließ ihn bei seinen 'Artgenossen' und schaute mich weiter um.

Um die ganzen Stände liefen die Typen von vorhin rum. Die Kappa-Alpha-Studenten.

Ich holte den Flyer, den mir ein Mitglied gegeben hat, hervor und betrachtete ihn genau.
Da stand im Grunde dasselbe drauf, was sie im Wohnheim laut posaunt hatten.

Als letztes erwähnten sie auf dem Flyer, dass die Party, zu der mich Olivia gebeten hatte, im größten Verbindungswohnheim, ein paar Kilometer weiter, stattfand. Gleich nach der Party fände dann Zeremonie zur Aufnahme von neuen Verbindungsmitgliedern statt.

Ich zögerte noch ein wenig, ob ich wirklich nur wegen Olivia Mitglied werden sollte. Ich wollte dadurch nicht meinen Ruf in der Zukunft schaden, wenn es Zwischenfälle geben sollte.

Ich blendete meine Gedanken fürs Erste aus und ging weiter durch die Stände.

Irgendwann packte plötzlich eine Hand meine Schulter, die mich zum Umdrehen bewegte.

Es war diese Rebecca, die mit Olivia im Zimmer wohnte und die ihrer verärgerten Miene nach zu urteilen immer noch sauer auf Jesse und mich war, nachdem sie gemerkt hat, dass wir sie ausspioniert haben.

„Hör mal zu, du Stalker", fing sie laut an, „du hältst dich besser fern von mir und meiner Mitbewohnerin, ansonsten werde ich dafür sorgen, dass es dir auf dem College kein Spaß mehr macht!"

Ich schaute in allen Seiten. Einige sahen mir dabei zu, wie ich gerade zur Schnecke gemacht wurde und das war mir furchtbar unangenehm.

„Reg dich bitte nicht auf, ich wollte euch wirklich nicht stalken, es lag nicht an dir, sondern an Olivia."

Rebecca machte auf einmal einen überraschten Blick und fragte: „Was, du stehst auf meine Mitbewohnerin?"

Sie wusste es nicht? Ich dachte, neulich auf dem Gang ihres Wohnheims wäre es Rebecca klar gewesen. Wie sollte ich mich jetzt bitte fühlen?

American College StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt