Prolog

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Nervös sass ich auf dem schwarzen, gepolsterten Lederstuhl, der direkt vor dem grossen Glaspult des Firmenmanagers stand. Ein riesiger Raum um mich herum. Meine ganze Wohngemeinschaft hätte in dieses eine Büro reingeplatzt. Und hier arbeitete nur ein einziger Mensch. Krasse Sache.
Noch krasser aber war die strenge Miene des Mannes vor mir. Er hatte schütteres, graues Haar, eine leicht gebeugte Haltung und trug eine moderne Brille, durch die mich seine grauen Augen kritisch musterten.
Trotz seinem fortgeschrittenen Alters trug er einen Anzug der ihm perfekt passte und schwarze Lack Schuhe, die wahrscheinlich noch teurer waren als sie aussahen. Seine Krawattennadel bestand wahrscheinlich aus purem Gold und könnte meine Miete für einige Monate bezahlen.
Mann, ich musste aufhören jedes Detail in meinem Kopf zu beschreiben und mich endlich konzentrieren.
Der Blick des Managers schweifte wieder zu meiner Bewerbung, und er lass sie ein drittes Mal durch, während er sich auf die Kante des Tisches setzte. Wofür musste er sie dreimal lesen? Hatte er das Gefühl die Buchstaben würden sich auf magische Weise verändern und ein Wort formen, das ihm besser passte?
Ich sah stumm geradeaus, fühlte wie mein Puls immer unregelmässiger wurde und meine Angst mir meine Stimme nahm.
Ich hatte Recht studiert. Nach dem Bachelor, als ich gedacht hatte, jetzt hatte ich mich genug verschuldet, da ging es noch weiter. Die schwer zu verdauende Nachricht: Nochmals zwei Jahre, bis ich den Master of Laws erwerben konnte.
Anwalt sein war schon immer mein Traum gewesen. Ich wollte meine Meinung vertreten können, und sie mit den Passenden Argumenten auch durchsetzen.
Ich hatte mir immer vorgenommen, nur Fälle anzunehmen, die mir auch am Herzen lagen. Ich würde niemals als Strafverteidigerin für einen Vergewaltiger arbeiten oder so. Nein, ich wollte eines Tages für Gerechtigkeit sorgen können und das war mein Ziel. Deswegen sass ich hier.
Für Credits, die Punkte die ich während den Semestern sammeln musste, hatte ich die Gelegenheit bekommen, ein ein Praktikum bei der Filma „Golden Lions Investigation" zu machen. Sie war die berühmteste, und erfolgreichste Anwaltskanzlei in ganz Los Angeles.
Jeder der mit mir studierte, wollte später mal hier arbeiten. Sie war das Licht am Ende des Tunnels, bestehend aus hunderten von Büchern und Examen.
Viele hatten das Masterstudium bereits abgebrochen. Ihnen war es zu stressig, in kurzer Zeit so viele Infos und Regeln in den Kopf zu bekommen.
Es war ganz schön viel Druck, den die Prüfungen mit sich brachten.
Auch für mich war es streng. In meiner Wohngemeinschaft kannte ich nicht mal alle Mitbewohner, so wenig war ich zuhause. Und wenn ich doch in meinem Zimmer war, dann nur dort. Einmal hatte meine Mitbewohnerin sogar mein Zimmer vermieten wollen, weil sie verpennt hatte, dass ich ja noch hier war.
Wie dem auch sei. Vier Monate Praktikum bei einer Anwaltschaft in Los Angeles um Erfahrungspunkte zu sammeln. Das war der Auftrag. Und ich hatte mich, natürlich wie alle anderen auf diese Anwaltskanzlei gestürzt.
Zu meinen Eltern hatte ich nicht mehr wirklich viel Kontakt. Sie waren Bauern gewesen. Mit ganzem Herzen. Und sie waren auch gut. Sie verkauften das beste Fleisch im ganzen Dorf. Ein kleines Dorf östlich von Phoenix. Da war ich aufgewachsen. Und als einziges Kind der Familie hätte ich irgendwann die Farm übernehmen sollen. Darauf hatten sie mich bis zu meinem 18. Geburtstag vorbereitet.
Deswegen waren sie umso enttäuschter von mir, als ich ihnen mitgeteilt hatte, dass ich Jura studieren wollte.
Klar, andere Eltern wären stolz auf ihre Kinder gewesen, wenn sie ihnen sowas mitgeteilt hatten. Aber meine Erwarteten nunmal, dass ich meine und ihre Existenz in der Zukunft sicherte. Und das hatte ich nicht getan. Seit dem gab es neben einigen Telefonaten an Weihnachten und Geburtstagen keinen grossen Kontakt mehr zwischen uns. Dementsprechend wenig Unterstützung konnte ich auch von meinem Elternhaus erwarten. Ich hatte mich, wie die meisten Studenten, verschuldet, um das teure Studium zu finanzieren.
Und abends arbeitete ich in einer Bar, um das Geld für meine Wohnung und das Essen aufzutreiben. Es war kein Luxusleben, dafür waren die Aussichten auf mein späteres Leben verlockend.
Völlig in Gedanken strich meinen schwarzen engen Rock und den Blazer glatt, die ich extra gebügelt hatte, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Um das Bügeleisen hatte ich kämpfen müssen.
Meine Haare hatte ich in zwei Stündiger Arbeit zu einem perfekten, ordentlichen Dutt gebunden, auch wenn ich dabei das Gefühl gehabt hatte, meine Haare auszureissen.
Ich trug lieber ein Top und eine kurze Hose, aber mir war sehr wohl bewusst dass das nicht wirklich einen professionellen Eindruck hinterlassen hätte.
"Nun Miss Anderson, wie es scheint bringen sie alle gewünschten Fähigkeiten für die Stelle als Praktikantin in dieser Firma mit."
Mein Gesicht hellte sich auf und meine verschwitzten Hände liessen den Stoff meines Rockes los.
Der Gesichtsausdruck des Managers blieb genauso emotionslos wie bei der Begrüssung, dem mündlichen Gespräch und während dem Lesen.
Also verkniff auch ich mir ein Lächeln und blieb ernst. Emotionen gab es in diesem gläsernen Aquarium ja wohl nicht.
"Aber", bei diesem Wort zog sich alles in mir zusammen. Nicht gut.
"Wir erwarten allerdings Pratikanten, die eine Punktezahl von 180 oder mehr mitbringen. Sie haben leider nur 176, weswegen ich Sie nicht anstellen kann."
Ich starrte ihn fassungslos an. Wegen diesen vier läppischen Punkten?
„Tut mir leid, aber diese Regel kann ich nicht ignorieren."
Wütend sah ich ihn an, versuchte aber noch immer gelassen aus zu sehen. Klappte irgendwie nicht.
Das konnte doch nicht wahr sein.
„Na gut, vielen Dank für die eingehende Prüfung meiner Bewerbung und Ihre Zeit."
Meinte ich mit belegter Stimme und erhob mich, um dem Mann die Hand zu reichen.
Er hatte die Stirn in Falten gelegt. Seine buschigen Augenbrauen fielen mir erst jetzt auf.
„Einen Moment noch. Wie sieht Ihr Plan für ein Praktikum nun aus, Miss Anderson?"
Ich hob die Brauen. Normalerweise interessierte dass die Manager doch nicht. War das eine Fangfrage?
„Ich...denke ich werde mich bei einer anderen Kanzlei bewerben."
Der Mann kratzte sich am frisch rasierten Kinn und nickte nachdenklich.
„Nun, das habe ich mir gedacht. Ich hoffe Ihnen ist bewusst, dass die Praktikumsplätze hier sehr begrenzt sind.
Soweit ich weiss, sind praktisch keine Plätze mehr frei."
Ich räusperte mich ungläubig. Wollte er jetzt auch noch auf mir rum trampeln? Na schön, er hatte ja recht! Ich hatte alles auf diese Karte gesetzt und jetzt hatte ich keinen Plan B. Na und, war doch nicht seine Sache!
"Aber wie ich sehe, wie sehr Sie um die Credits für Ihr Studium bemüht sind, also schlage ich ihnen etwas vor."
Ich setzte mich langsam wieder auf den Stuhl. Jetzt war es interessant geworden.
„Es gibt in kürze eine psychologische Studie, die von einem Bekannten von mir durchgeführt wird. Er sucht noch nach Freiwilligen. Die Studie würde einen Monat dauern.
Wenn sie sich dort anmelden, und die Studie bis zum Ende durchführen, dann können sie für die restlichen drei Monate hier arbeiten."
Ich sah ihn aus grossen Augen an.
„Und ich würde Ihnen die gesamte Punktzahl anrechnen, wenn das Praktikum vorbei ist."
Ich war sprachlos. Diese Steinbeisser von Anwälten waren nie sonderlich gesprächig gewesen. Geschweige denn freundlich. Vor allem nicht zu Studenten. Aber dass er mir sowas vorschlug, war schon verwirrend.
„Wow...das ist. Wirklich gerne, ich würde mich sehr über diese Chance freuen. Ich will diese Stelle unbedingt."
Enthusiastisch faltete ich die Hände und begann zu strahlen.
Ich hatte zwar keine Ahnung, was das für eine Studie war, oder wieso ausgerechnet ich da mitmachen sollte, ausser es meldeten sich zu wenige Studienobjekte an, aber ich war ganz sicher nicht gewillt so kurz vor dem Ziel auf zu geben.
Während man sich in kleinen Kanzleien zu Tode schuftete, konnte man hier gemütlich in seinem eigenen Büro sitzen und solange tun was man wollte bis man einen Auftrag zugewiesen bekam. Hatte ich zumindest gehört. Deshalb riss sich auch jeder halbwegs gute Student um diesen Job.
„Sehr gut, das freut mich zu hören."
Der Mann rieb sich die Hände und erhob sich von der Tischkante.
"Wo finde ich die Anmeldeformulare?"
Ein kleines Lächeln bildete sich auf den schmalen Lippen des Mannes ab und er nickte langsam.
"Das ist nicht nötig, ich werde Ske eintragen, alles was sie zu tun haben, ist Morgen mit gepackten Koffern am Flughafen zu stehen.
Jemand wird sie dann den Flug über begleiten und sie zu ihrem Reiseziel bringen. Mehr darf ich Ihnen nicht verraten. So lauten die Regeln der Studie."
Ich stand nicht so auf Geheimnisse. Aber das musste ich nun eben in Kauf nehmen. Wenn ich dafür hier eine Praktikumsstelle bekommen würde, würde ich fast alles tun.
„Na gut. Dann herzlichen Dank und hoffentlich bis in einem Monat."
„Jawohl. Auf wiedersehen Miss Anderson."
Er schüttelte meine Hand mit festen, fast schmerzendem Griff und ich drückte ebenfalls so fest und energisch zu, wie ich konnte. In dem Business musste man sich jederzeit beweisen. Selbst bei solchen Kleinigkeiten.
Ich verliess den Raum und nickte der Sekretärin lächelnd zu, bevor ich auf den Knopf drückte, der den Lift ins 15. Geschoss rauf bestellte.
Das war grad alles etwas viel gewesen. Morgen würde ich mich für einen Monat als Studienobjekt zur Verfügung stellen. Und ich wusste nicht mal im Geringsten, worum es dabei ging. Vielleicht war es ja was total dummes, oder gefährliches! Nein, dann hätte mir der Manager hier das nicht angeboten. Sicherlich nicht.
Vielleicht würde das ja auch gut werden. Das passte nur nicht zu mir. Ich war nicht so der spontane Mensch, ich mochte klare Reglungen im Alltag als auch bei der Arbeit.
Selbst als ich mit dem grossen verspiegelten Lift ins Erdgeschoss fuhr, und das klingelnde Pling ertönte, welches zeigte dass ich angekommen war, fühlten sich meine Beine noch immer wie Pudding an.
In diesem dämlichen Outfit lief ich die befahrene Strasse entlang und versuchte so gut es ging eine Kollision mit den anderen Passanten zu vermeiden.
Jeder hatte sein festes Ziel, jeder wusste genau was er erreichen wollte.
Genau wie ich.
Was war schon eine Studie für einen Monat, wenn ich dafür meinen Traumjob bekam?
Eigentlich konnte ich mir keine bessere Möglichkeit ausdenken. Ich würde das schon hinbekommen.
Während ich noch darüber nachdachte worüber die Studie wohl handelte, und mit wem ich alles einen Monat leben musste, trugen mich meine Füsse fast automatisch zu meinem Apartment, wo ich die vergilbte gelbliche Tür aufschloss, die den anderen auf diesem Gang wie ein Ei dem anderen glich.
Drinnen roch es stickig und die eine Mitbewohnerin sass Chips mampfen vor dem Fernseher und zog sich irgendeinen Schnulze-Film rein. Wirtschaftsstudium. Da hatte man anscheinend genügend Freizeit.
Sie begrüsste mich mit einem knappen Nicken, wobei sie den Blick nicht einmal von dem Bildschirm abwandte.
Ich seufzte genervt, sie und dieses dreckige Kaff von Haus würde ich garantiert nicht vermissen.
Als ich mein kleines und notdürftig eingerichtetes Zimmer betrat, schüttelte ich den kopf und liess mich auf das knarrende Bett fallen.
Ich fuhr in den Urlaub.
Und danach würde ein neues Leben beginnen. Mit einem Master Abschluss, einem guten Praktikum und anschliessend einer Hammer Karriere.
Das hoffte ich von ganzem Herzen.

Willkommen zu einer weiteren, spannenden Story von mir :) Ich hoffe der Prolog ist nicht allzu langweilig für euch, es wird auf jeden Fall noch besser und ich hoffe, dass ich eure Neugierde geweckt hab, und ihr weiterlest ;)
Auf jeden Fall kommt dann noch einiges auf euch zu!
Angora77

Experiment Love *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt