,,Hier lang."
Harry gibt mir ein Handzeichen und sofort schleichen wir im schnellen Tempo hinter den Autos entlang. Unsere Pistolen halten wir fest umschlossen in unseren Händen, jederzeit bereit, sie zu benutzen. Wir müssen so leise wie nur möglich sein, um unbemerkt zu bleiben. Jedes kleinste Geräusch, welches wir von uns geben, könnte unseren Tod bedeuten. Plötzlich bleibt Harry stehen, was dazu führt, dass ich beinahe in ihn hinein renne. Er ignoriert das aber und schnappt sich meine zitternde Hand und zieht mich hinter ein blaues Auto, wo wir uns auf den Boden setzen und die Knie an uns ziehen. Er legt seinen Finger auf die Lippen und drückt sich mit dem Rücken gegen die Autotür. Erst verstehe ich nicht, was das soll, als ich dann aber den entstellten Mann, wenn man ihn noch so nennen kann, sehe, verstehe ich. Nun drücke auch ich mich gegen die Tür und halte den Atem wie von allein an. Der Beißer ist schon fast am Auto vorbeigelaufen, als ich auf die andere Seite von Harry und mir sehe, und vier weitere Beißer direkt auf uns zukommen.
,,Harry", flüstere ich und haue ihm leicht gegen seinem Oberschenkel.
Sofort hört man das ekelige Knirschen von Zähnen, die auf einander hin und her reiben und das fauchende Geräusch. Der Beißer hat uns bemerkt!
,,Fuck!", flucht Harry und springt auf.
Er will geradewegs in die entgegengesetzte Richtung des einen Beißers rennen, als er die anderen vier entdeckt. Ohne zu zögern springe auch ich auf und sehe mich schnell um. Aus Reflex reiße ich am Griff der Tür vom gegenüberstehenden Auto, in der Hoffnung sie öffnet sich. Leider ein Fehlgriff. Ich drehe mich schnell um, zerre nun auch an der Türklinke des blauen Auto. Zu unserem Glück öffnet sie sich und ich ziehe Harry mit ins Auto. Schnell ziehe ich die Tür hinter uns wieder zu. Nun sitzen wir auf den Rücksitzen des Autos.
,,Was machen wir jetzt?", ratlos sehe ich Harry an, der die Beißer von allen Seiten beobachtet.
Die Beißer kratzen von außen gegen die Scheiben des Autos und versuchen, mit ihren verfaulten und blutigen Zähnen die hochgefahrenen Scheiben zu durchbeißen. Ich zucke kurz zusammen, als Harry nach vorne auf den Fahrersitz springt und der Motor plötzlich startet. Harry dreht sich zu mir um und grinst mich wie ein Honigkuchenpferd an. Dann tritt er aufs Gas und wir brettern los. Ich drehe mich auf dem Hintersitz um, um hinter uns zu sehen. Die Beißer laufen im Schneckentempo hinter uns her, aber darüber brauchen wir uns echt keine Sorgen zu machen. Niemals werden die uns einholen.
_____Ich bin zwar heil froh darüber, dass wir einen Schlafplatz gefunden haben, bin mir aber nicht ganz sicher, ob dieser auch sicher ist. Ganz davon abgesehen, dass diese kleine Hütte aussieht wie eine Rumpelkammer. Die Hauptsache ist aber, dass Harry sich so viel Mühe gibt, einen Unterschlupf für uns zu finden. Ich durchsuche die Regale und Kisten, die überall rum stehen.
,,So. Das müsste für diese Nacht reichen."
Harry tritt einen Schritt von der großen Holztür zurück, betrachtet genauestens wie er die Ketten an den Griffen befestigt hat, um die Hütte unbetretbar zu machen. Ich ziehe währenddessen zwei eingerollte Schlafmatten vom Regal hinunter. Als Harry sich zu mir dreht, werfe ich ihm eine davon zu und lächle ihm kurz zu.
Wir breiten die Schlafmatten nebeneinander aus und ich setze mich auf sie. Harry legt sich mit dem Rücken auf die andere Matte und verschränkt seine Arme unter seinem Kopf. Ich starre konzentriert an die Wand der alten Hütte. Es ist einfach unvorstellbar, wie schnell sich dein Leben von dem einen auf den anderen Tag ändern kann. Man verliert alles, was einem auch nur ansatzweise wichtig war und man weis genau, dass es nie wieder so wie früher wird.
,,Wir suchen uns morgen etwas anderes, etwas sichereres."
Zögernd, ob die Antwort die ich gerne geben würde passen ist, starre ich weiter an die Wand.
,,Und nach anderen Überlebenden?"
Meine Antwort klingt eher wie eine Frage, als wie eine Aussage. Erwartungsvoll schaue ich zu Harry rüber, welcher deutlich die Augen verdreht und genervt aufstöhnt. Ich weis, dass er dieses Thema hasst. Er hält nicht viel davon, andere Überlebende zu suchen oder zu finden.
,,Du weißt genau wie ich darüber denke, Claire."
,,Aber-", versuche ich ein Argument zu starten, werde aber sofort wieder von ihm unterbrochen.
,,Nichts aber! Du weißt genau wie ich dazu stehe. Wir werden keine anderen Überlebenden suchen und basta!"
Enttäuscht lasse ich meinen Kopf senken und schaue auf meine ineinander gefalteten Hände. Es ist verständlich, dass Harry niemandem mehr traut, vor allem seit wir vor gefühlten paar Wochen erst überfallen wurden. Die kleine Gruppe bestehend aus Männern und Frauen, zwei Kindern, fragte uns nach Hilfe. Wir helfen ihnen selbstverständlich, und auf einmal... Auf einmal wurden wir von den Männern bedroht, wobei ich leicht verletzt wurde, während Frauen und Kinder unsere gesamten Vorräte mitnahmen. Aber trotzdem. Nur weil uns so etwas einmal passiert ist, heißt es noch lange nicht, dass alle anderen Überlebenden auch so sind. Fest überzeugt von meiner Meinung starte ich eine Diskussion.
,,Nicht alle sind so, wie diese Gruppe. Es gibt noch nette und hilfsbereite Menschen da draußen."
,,Das wissen wir nicht. Und ein Risiko eingehen mache ich sicher nicht."
,,Genau! Du weißt es nicht! Du weißt nicht ob diese Menschen genauso sind, oder ob sie nett sind!"
Mittlerweile staut sich leichte Wut in mir auf. Ich richte mich auf und rede sauer gegen Harry, welcher mich von unten ansieht. Nun steht auch er, eher gelangweilt, auf und stemmt seine Hände in die Seite.
,,Ich hab echt keine Lust mit dir darüber zu diskutieren. Ich habe dir schon tausend mal gesagt, dass wir zu zweit bleiben und nicht irgendwelche fremden aufnehmen werden, krieg das endlich in deinen Kopf rein!"
Harry's aufgestaute Wut, macht sich deutlich erkennbar. Er tippt mit seinem Zeigefinger mit leichtem Druck gegen meine Stirn, funkelt mich dabei mit leichter Aggression an.
,,Wir hätten vielleicht mehr Chancen zu überleben, wenn wir mehr wären."
Sage ich leise. Ich habe das Verlangen, Harry anzusehen, nur um seine Reaktion zu sehen, aber ich traue mich nicht. Als ich mich schließlich doch dazu überwunden habe, den wütenden Lockenkopf vor mir anzusehen, sieht dieser gar nicht mehr so wütend aus. Sein Gesicht entspannt leicht, seine Augen sehen mich einfühlsam und mitleidig an. Er verrollt die Augen. Aber nicht weil er genervt ist, eher deutet es darauf hin, dass er... nachgibt? Mit langsamen Schritten läuft er auf mich zu. Er legt seine Hände auf meinen Schultern ab und sieht zu mir herab. Ich sehe gleichzeitig zu ihm rauf, stelle Augenkontakt her.
,,Ich weis, dass wir deutlich mehr Chancen hätten, wenn wir eine größere Gruppe wären. Aber ich will und kann das Risiko, dass uns, besser gesagt dir, etwas passiert nicht eingehen."
Ich sehe geschmeichelt zu Boden. Schon merke ich, wie meine Wangen sich erhitzen. Weil ich den Augenkontakt unterbrach, legt Harry mein Gesicht in seine Hände und hebt es an. Nun herrscht wieder Augenkontakt zwischen uns. Seine smaragdgrünen Augen durchbohren meine rehbraunen.
,,Ich will dich nur beschützen Claire, aber manchmal stehst du deiner eigenen Sicherheit selbst im Weg."
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Keep me alive
Fanfiction"Und wenn du so feinfühlig bist, dann bist du ein Hindernis. Du zeigst Gnade, und genau das ist es, was uns früher oder später den Tod bedeuten könnte." __ Was...