15.

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„Theodor, du reitest zusammen mit Lilith, Jack, Anna und Carlo Richtung Nordwesten. Reitet nur bis Mittag in diese Richtung und kehrt bis zum Abend zurück. Geht zu jedem Hof den ihr findet." Die fünf saßen schon zu Pferd, sie hatten nur noch ihre Waffen bei sich, das restliche Gepäck blieb in der Scheune zurück.
„Ja Meister." Die fünf neigten leicht den Kopf, dann verließen sie mit Theodor an der Spitze den Hof. Lilith hatte eigentlich damit gerechnet, dass der Meister sie auf dem Hof lassen würde, doch sie war froh lieber durch die Gegen reiten zu dürfen.
„Du bist wohl immer da wo Lilith auch ist." Meinte Anna freundlich lächelnd zu Theodor.
„Ja, ich mache ihrem Kampfpartner schon fast Konkurrenz. Ich soll auf sie Aufpassen, auf Wunsch ihres Vaters. Immerhin ist unsere liebe Lilith erst fünfzehn."
„Nicht mehr lange."
„Vielleicht sind wir an deinem Geburtstag schon wieder in der Hauptstadt, versprechen kann ich dies allerdings nicht."
„Selbst wenn ich sechzehn bin, bleibe ich die jüngste Teilnehmerin unsrer Expedition, das wird sich auch nicht ändern bis ich achtzehn bin. Es wäre mir neu, wenn noch einer im Institut früher als gewöhnlich seinen Eid spricht."
„Ja, das ist selten geworden. Wusstest du, dass dein Name schon in zwei Chroniken in der Bibliothek steht? Meiner steht auch in einer." Jack lächelte Stolz.
„Der Name eines jeden vereideten Drachenjägers steht in einer der Chroniken. Außerdem wird der Stammbaum der alten Familien auch immer weiter geführt. Obwohl sie dabei der Ansicht sind, dass nur die männlichen Familienmitglieder die Erben hervorbringen und die Familien fortführen. Die weiblichen werden zwar erwähnt, nicht aber die Familien die sie haben werden." Warf Anna ein.
„Dann steht Liliths Name in vier Chroniken und meiner in drei." Jack verdrehte seine Augen.
„Weshalb werde ich so oft erwähnt?"
„Du hast deinen Eid mehr als zwei Jahre zu früh gesprochen, dies bringt dich in die Chronik der außergewöhnlichen Eidsprecher, deine folgenden Taten werden dort erwähnt. Außerdem hast du einen Kampfpartner, Drachenjäger die dieses Privileg nutzen, werden in einer Chronik erwähnt." Erklärte Theodor, ohne sich zu ihnen um zu drehen. Lilith trieb ihr Pferd an bis sie neben ihm ritt.
„Beantwortest du mir jetzt meine Fragen?" fragte sie ihn.
„Soweit ich dies kann natürlich."
„Stimmt es, dass wir Nebeldrachen sind? Steht der Nebel wirklich für Visionen? Haben weibliche Mitglieder unsrer Familie Visionen?"
„Eine Frage nach der anderen. Ja, die weißen Drachen werden auch als Nebeldrachen bezeichnet, wir haben diesen Namen einer unserer Urahnin zu verdanken. Sie hatte angeblich Visionen, etwas das dieser Legende zu folge in der Familie weiter gegeben wurde und bei den Frauen zu tage kam. Ich weiß nicht, ob dies wirklich der Fall ist, ich kenne nicht viele weiße Drachenmädchen wie dich. Aber es würde mich nicht wundern, wenn du auch eines Tages Visionen hast." Er sah sie von der Seite an.
„Sterben sie deshalb so früh?"
„Deine Tante war von kränklicher Natur, noch so etwas was an die weibliche Seite weitervererbt wurde. Aber ich glaube, du gehörst nicht zu diesen kränklichen, vielleicht bist du genau deswegen Drachenjäger. Ich habe vor einigen Jahren ein wenig über unsere Familie geforscht, du bist die erste Drachenjägerin der Familie."
Das war Lilith neu, sie hatte immer gedacht, dass ihre Familie, wie jede andere der alten Drachenjägerfamilien, sowohl männliche als auch weibliche Drachenjäger hervorbrachte. Warum war sie so anders als ihre Familienmitglieder?
„Glaubst du es stimmt, dass Tom meinem Vater verboten hat erneut Kinder zu bekommen?"
„Es wäre nicht auszuschließen. Wie du wahrscheinlich weißt, ist dein Großvater kein Jahr nach deiner Geburt gestorben, eigentlich wäre sein Bruder Familienoberhaupt geworden, doch Tom redete so lange auf ihn ein, bis er selber eben dies war. Er war fest davon überzeugt, dass der Erstgeborene des Familienoberhauptes das neue Familienoberhaupt sei. Dabei war sein Vater nicht einmal der Erstgeborene, aber das spielt jetzt keine Rolle. Dein Onkel wollte, dass sein Sohn eines Tages der Anführer unserer Familie werden würde, deshalb wollte er verhindern, dass dein Vater, sein Zwillingsbruder, vor ihm einen Sohn bekam. Dein Vater war nicht gerade glücklich über dieses Verbot, wagte es allerdings nicht sich zu wiedersetzten, zu viel stand für ihn auf dem Spiel. Mir wurde einmal erzählt, dass Tom deinem Vater androhte, das Neugeborene gleich nach der Geburt zu töten, außerdem wollte er dich von deinen Eltern trennen. Wie du weißt, bist du deinen Eltern sehr wichtig, sie lieben dich mehr als sie dir vielleicht gezeigt haben. Deshalb wollten sie dich erst nicht ins Institut schicken, doch dann verbot Tom es ihnen regelrecht, er sagte Mädchen gehören nicht in den Orden. Dein Vater wandte sich damals bittend an mich und an den Großmeister, du wurdest ins Institut gebracht, auf ausdrücklichen Wunsch des Großmeisters und warst dort sicher vor deinem Onkel. Tom sieht Mädchen als schwache, unwürdige Wesen an, sie sollen nicht kämpfen und auch nicht versuchen, sich in die Angelegenheiten anderer ein zu mischen, deshalb hofft er auch so auf einen Sohn und will keine Tochter als erstes Kind."
„Er ist ein Monster."
„Dem kann ich leider nicht wiedersprechen, ich will gar nicht wissen, was wir hier im Norden noch so alles über ihn erfahren."
„Wirst du gegen ihn Aussagen, wenn der König ihn Angeklagt hat?"
„Ja das werde ich, du könntest natürlich auch gegen ihn sprechen, doch werden die Ratsherren deine Worte nicht als ausreichend ansehen. Manch einer von ihnen hängt noch an alten, verquerten Werten nach welchem man mit seiner Frau, seinen Töchtern und Nichten umgehen kann wie man möchte." Theodor lächelte ihr zu, dann schenkte er ihrer Umgebung wieder mehr Aufmerksamkeit. „Wenn einer von euch Häuser entdeckt, dann sagt das bitte sofort."
„Da vorne sind welche, glaube ich. Wenn ich mich nicht getäuscht habe, dann hat dort gerade etwas zwischen den Bäumen hervorgeblitzt." Antwortete Carlo. Alle sahen in die angegebene Richtung.
„Dann lasst uns mal nachsehen was wir dort finden." Mit diesen Worten lenkte Theodor sein Pferd als erstes in die Richtung, die anderen folgten ihm.
Und wirklich, wenige Minuten später tauchte vor ihnen ein Haus auf, es sah weniger heruntergekommen aus als das, in welchem sie vor zwei Nächten geschlafen hatten. Auch waren hier erstaunlich viele Menschen.
„Wie kann ich euch helfen, Reisende?" der Mann der ihnen entgegentrat wirkte nicht feindselig, aber auch nicht übermäßig erfreut.
„Wir sind Drachenjäger und wollen Euch lediglich ein paar Fragen stellen." Antwortete Theodor. Sofort wurde der Mann freundlicher.
„Steigt nur ab, meine Jungen kümmern sich um eure Pferde. Kommt nur mit, man kann doch viel besser bei Kuchen und etwas frischer Milch reden. Ich dachte zuerst ihr seid Soldaten des Fürsts, die sehen wir hier nicht so gerne." Über die plötzliche Freundlichkeit erstaunt, stiegen die Drachenjäger nur zögernd ab. „Nur keine Angst, wir sind euch hier freundlich gesinnt. Euer Orden ist seit Jahrhunderten ehrbarer als so mancher Herrscher und ihr helft und verteidigt uns, ohne uns dafür auszubeuten." Der Mann wirkte unschlüssig, war er es eigentlich gewohnt einer Dame beim Absteigen zu helfen? Doch weder Lilith noch Anna benötigten diese Hilfe, sie waren ebenso behände auf den Boden gesprungen wie die Jungen.
„Warum seht ihr die Männer des Fürsten nicht so gerne?" fragte Theodor zögernd, nachdem er die Zügel seines Pferdes an einen Jungen weiter gegeben hatte.
„Sie wollen mir meine Jungen nehmen und mich zwingen ein Soldat zu werden. Immer wenn sich uns jemand nähert, verstecken sich meine großen Jungen, die kleinen bleiben hier, ebenso die älteren von uns. Mich können die auch nicht einziehen, ich habe einen lahmen Fuß, der wird vor allem schlimm wenn Menschen anwesend sind die ich nicht mag." Wie offen der Mann ihnen dies alles erzählte, hatte er nicht Angst, dass sie ihn anlogen. „Schönes Schild übrigens, ein weißer Drache, wie der Fürst. Aber ihr wirkt nicht wie er. Ich hoffe ich bereue es nicht, euch vertraut zu haben."
„Ich befinde mich in der Ausbildung zu einem Meister der Drachenjägerakademie, meine Loyalität gilt ausschließlich meinem Orden, politische Angelegenheiten gehen mich nichts an." Theodor sah den Mann freundlich an.
„Und die Kleine?" er nickte in Liliths Richtung.
„Meine Großcousine." Theodor sah sich nicht einmal nach Lilith um, auch so wusste er, dass sie neben Jack lief.
Sie folgten dem Mann in das Haus, er wies sie an, sich um den großen Tisch zu setzen.
„Womit kann ich euch dienen, Drachenjäger?" der Mann sah aufmerksam in die Runde.
„Wir sind lediglich auf der Suche nach ein paar Informationen. Uns wurde von einem Drachenangriff berichtet, wir sind hier um den Übeltäter zu bestrafen."
„Ein Drachenangriff ist gut, soweit ich gehört habe, wurde dieses Jahr schon drei Höfe angegriffen. Aber seitdem ich hier das letzte Mal Drachenjäger gesehen habe, wurden schon weit mehr Drachen umgebracht."
„Könnt ihr uns etwas zu dem letzten Drachen, der hier gesichtet wurde erzählen?" Lilith fragte sich, weshalb Theodor nicht wirklich auf die Worte des Mannes einging.
„Groß und grün, wurde mir gesagt. Aber anscheinend hat er hin und wieder gelbe Schuppen. Aber es würde mich nicht wundern, wenn der den ihr sucht schon tot ist. Der Fürst soll angeblich schon den einen oder anderen Drachen getötet haben ohne es vorher den Drachenjägern gesagt zu haben."
„Damit würde er seinen Eid brechen, von den Gesetzen des Königs ganz zu schweigen." Theodor wusste, dass es sehr wahrscheinlich war, dass die Worte des Mannes stimmten, dennoch hatte er eine Rolle zu spielen.
„Die Gesetze des Königs werden hier oben nicht mehr so ausgeführt wie bei euch."
„Sobald wir wieder in der Hauptstadt sind, werden wir den König von allem in Kenntnis setzten. Auch von der Stimmung hier im Norden."
„Ich bin dem König treu ergeben, ich versuche die Gesetze einzuhalten. Doch hier gibt es keine Soldaten die für Ordnung sorgen, wir müssen selber auf uns aufpassen."
„Ich wollte euch auch nicht anklagen, ich wollte euch lediglich davon in Kenntnis setzten."
„Verzeiht wenn ich mich einmische, aber könnt Ihr mir sagen wann der Drachenangriff war?" Lilith war sich zwar sicher, dass Theodor sie später dafür rügen würde, ging aber dennoch dazwischen. Sie wollte nicht, dass dies in einem handfesten Streit enden würde.
„Dieser Drache wurde das erste Mal vor gut einem halben Jahr gesichtet, es gelang dem Fürst wohl nicht ihn zu töten, deshalb schickte er nach euch. Das letzte Mal, dass er gesehen wurde, war vor vielleicht drei Wochen. Der Sohn meiner Schwester war vor einigen Tagen bei uns und hat uns davon erzählt. Er lebt noch weiter oben im Norden, schon im Schatten des Gebirges."
„Haben sie den Drachen gesehen?" Theodor ergriff nun wieder das Wort, aber er zwinkerte seiner Großcousine zu, er war ihr also nicht böse.
„Er nicht, aber sein Bruder. Er ist ein kleiner Wildfang, ist ständig unterwegs, er war beim letzten Angriff dieses Drachens unweit des Geschehens. Seiner Mutter erzählte er später, dass er fast schon die einzelnen Bauchschuppen hat zählen können. Angeblich hat dieser Drache am Bauch auch noch ein paar blaue Schuppen."
Inzwischen stand auf dem Tisch schon ein Kuchen und Becher neben einem Krug Milch. Der Gastgeber schenkte ihnen allen ein, sie sprachen nicht mehr nur über die Drachen, sondern auch über die Ernte des Jahres und der Mann hörte interessiert zu, als die Drachenjäger, einer nach dem anderen, etwas über sich verrieten.

Sie blieben nicht mehr sehr lange dort, kaum hatte jeder etwas gegessen und getrunken, da deutete Theodor auch schon den Aufbruch an. Der Mann nickte verstehend, wünschte ihnen viel Glück und Erfolg bei der Jagd nach dem Drachen.
Kaum waren sie ein Stück vom Hof entfernt, da begannen die Drachenjäger auch schon miteinander zu reden. Keiner von ihnen war bisher bei einer Jagd dabei gewesen, sie hatten also noch keinen echten Drachen gesehen, zumindest nicht an einem Stück. In der Hauptstadt verkauften Händler aus dem Norden hin und wieder Drachenschuppen, ihre Zähne oder Knochen, aber dies war nichts im Vergleich zu einem lebendigen Tier.
„Ich dachte immer, die Drachen hätten nur eine Farbe." Anna klang vollkommen fasziniert.
„Nein, eine Schuppenfarbe dominiert, aber sie tritt in verschiedenen Schattierungen auf. Ich habe allerdings auch noch nichts von einem grünen Drachen mit gelben und blauen Schuppen gehört." Meinte Theodor. Er blickte in den Himmel, wohl um den Stand der Sonne zu überprüfen. „Wir reiten nur noch ein Stückchen in diese Richtung und dann geht es in einem Bogen zurück."
„Meinst du, wir werden an einem anderen Ort noch mehr erfahren?" fragte Carlo vorsichtig.
„Ausgeschlossen ist es nicht, immerhin leben die Menschen hier teilweise ein ganzes Stückchen auseinander." Theodor sah sich wachsam um.
Eine Weile ritten sie schweigend, die Landschaft war sehr schön. Es war hügelig und der Wald wechselte sich ständig mit Wiesen ab, Anna hatte gefragt weshalb dies so sei. Theodor erklärte ihr, dass Drachen in den meisten Fällen dafür verantwortlich waren. Es kam vor, dass sie gelegentlich große Flächen mit ihrem Feuer in Asche verwandelten, sie hatten so eine Fläche sogar in einiger Entfernung gesehen. Mit Drachenfeuer war nicht zu spaßen, wie die Burg von Liliths Onkel diesem Feuer schon mehr als einmal getrotzt hatte, war wahrlich erstaunlich. Drachenfeuer konnte Stein so leicht zerstören wie Holz und weder Mensch noch Tier überlebten es. Lilith hatte vor Jahren in einem Buch gelesen, dass manche Drachen, zuerst das Vieh von den Weiden entführte und fraß, später dann aus reiner Langeweile das Bleibe von Mensch und Tier zerstörte. Manchmal rastete der Drache, nach getaner Arbeit, an diesem Ort, meist nachdem er zu viel gegessen hatte und für den Flug über die Berge zu erschöpft war.


DrachenfeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt