19.

385 31 0
                                    

19.

Der Meister schwieg, Lilith hatte ihm die ganze Geschichte noch einmal erzählt, obwohl die anderen ihm schon Bericht erstattet hatten. Er musterte Lilith nachdenklich, schien sich nicht sicher zu sein, was er fragen sollte.
„Und dies war deine erste Vision?" fragte er nach einiger Zeit.
„Ja, Meister." Antwortete Lilith. „Ich wusste vor der Expedition nicht einmal, dass so etwas in meiner Familie vorkommt."
„Hast du eine Idee, was die ganze Sache bedeuten soll? Hast du etwas gesehen, was dir Informationen auf die Bedeutung geben könnte?"
„Ich bin mir nicht sicher, ich habe auch noch nicht wirklich darüber nachgedacht. Aber wenn ich das alles richtig verstanden habe, dann wird es einen Krieg geben. Einen Krieg in welchem die Drachen eine große Rolle spielen. Sollten die Drachen ausgerottet werden, so verlieren wir den Krieg, aber wenn die Drachen überleben, werden wir gewinnen. Das verstehe ich allerdings nicht, warum sollten die Drachen eine so große Rolle spielen? Die Menschen haben doch noch nie mit ihnen zusammen gekämpft und hier oben im Norden helfen sie dem Süden nicht."
„Doch, Drachen und Menschen haben schon zusammen gekämpft. Im Norden ist es noch gar nicht so lange her, ihr habt doch bestimmt von dem Angriff der Männer der fernen Inseln gehört. Ohne die Drachen wäre das Land jenseits der Berge in ihrer Hand. Bei euch im Süden ist es schon Jahrhunderte oder noch länger her, dass Menschen und Drachen Seite an Seite gekämpft haben." Nuy mischte sich in das Gespräch ein, sie hatte zuvor schweigend in einer Ecke gesessen und geschnitzt.
„Von diesem Angriff habe ich gehört, im Süden sagt man allerdings, dass der Fürst des Nordens über die Berge geritten sein um den Menschen zu helfen." Theodor sah Nuy interessiert an.
„Der Fürst des Nordens kam über die Berge, nachdem die Schlachten geschlagen und der Norden gesichert waren. Er zwang die Menschen, Geschichten über seinen Sieg zu erzählen. Wer etwas anderes erzählte wurde getötet. Viele Menschen starben, durch den Kampf und den Fürsten. Die Drachen griffen ein, daraufhin wurden sie als gefährlich bezeichnet und die Jagd nach ihnen begann. Davor hatte nur euer Orden Drachen gejagt, seit dem machen es auch andere."
„Seit gut hundert Jahren also?" Nuy sah Theodor erstaunt an, er kannte die Geschichten gut.
„Ja, sieht so aus."
„Wie viele Drachen wurden von ihnen getötet?"
„Mehrere hundert."
„Ungefähr?"
„Fünfhundert. Die Zahl der Drachen ist stark geschrumpft, wenn es so weiter geht, werden die Drachen in wenigen Jahren ausgerottet sein oder von hier verschwinden."
„Wie viele Drachen gibt es noch?" Der Meister interessierte sich mehr und mehr für das Gespräch.
„Achthundert, vielleicht ein paar mehr. Sie leben verstreut, es gibt Arten die Menschen des Südens noch nie zu Gesicht bekommen haben." Nuy sah nun den Meister direkt an. „Ihr solltet schnell handeln, sie werden wahrscheinlich weniger als hundert Jahre brauchen bis das Land ohne Drachen ist. Sollte es zu einem Krieg kommen, würden die Drachen euch auch nicht helfen, vielleicht sollten die Drachenskelette in Liliths Vision darauf hindeuten, dass die Drachen euch aufgrund der vielen Morde nicht mehr helfen würden. Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass sie verschwinden wenn es ihnen zu gefährlich wird."
„Du kennst dich wirklich gut mit ihnen aus, ich habe fast den Eindruck, als könnte es dir gelingen mit ihnen zu reden. Vielleicht wäre es wirklich von Vorteil, wenn wir dich mitnehmen." Der Meister erwiderte ihren Blick. „Aber nur, wenn wir wissen, dass du kämpfen kannst. Es wäre zu gefährlich wenn du dich nicht selber zur Wehr setzen könntest. Jack und Theodor werden das später überprüfen." Die beiden Jungen nickten. „Beschäftigen wir uns zunächst aber weiter mit Liliths Vision. Der schwarze Drache?"
„Vielleicht soll er so etwas wie das Gegenstück zu mir darstellen. Es existiert keine Familie der schwarzen Flammen, kein schwarzer Drache prangt auf einem Wappen. Auch wurde noch nie von einem solchen Drachen berichtete. Vielleicht führt der Nachtdrache den Nebeldrachen durch die Visionen." Sie wusste selber, dass das nicht realistisch klang, aber eine andere Erklärung fiel ihr einfach nicht ein.
„Vielleicht werden wir eines Tages erfahren, was der Nachtdrache in deiner Vision zu bedeuten hat. Nicht alles ist direkt nach der Vision klar, manches versteht man erst viel später." Nuys Großmutter hatte den Raum betreten, sie stellte einen Korb voller Äpfel auf den Tisch.
„Dann wollen wir auf Eure Worte vertrauen." Der Meister klang zwar nicht vollständig überzeugt, wagte es allerdings nicht die Worte einer alten, weisen Frau in Frage zu stellen. Zumal diese Frau schon öfters mit Visionen zu tun gehabt hatte. „Die Orte in deiner Vision, kamen sie dir bekannt vor?"
„Ich habe die Hauptstadt erkannt, das Institut, mehr aber auch nicht."
„Hast du vorher schon einmal von Drachen geträumt." Mit dieser Frage hatte der Meister ins Schwarze getroffen, außer Jack wusste keiner etwas von den Träumen die Lilith in den letzten Tagen gehabt hatte.
„Ich träume von Drachen seit ich ein kleines Kind bin und in letzter Zeit begleiten sie mich wieder vermehrt in meinen Träumen." Antwortete sie ausweichend. Sie wollte nicht auf Nuys Wort eingehen, dem Meister nicht von ihren Träumen erzählen.
„Kann es sein, dass deine Träume etwas verraten, dass uns hilft die Vision zu verstehen?"
„Manche Träume sind wie Visionen." Wieder mischte sich die Frau ein, nun stand sie allerdings vor einem großen Kessel der über dem Feuer hing.
„Ich habe immer wieder ein Tal gesehen, meistens waren Drachen dort. Einmal sind wir sogar zu ihnen gegangen, ohne feindliche Absichten. Und auch dort habe ich den Nachtdrachen gesehen, er flog durch die Lüfte." Liliths Herz klopfte schnell in ihrer Brust, sie sah Jacks Seitenblick und auch Nuy wirkte nervös.
„Vielleicht hast du wirklich recht mit deiner Annahme, dass der schwarze Drache dir in deinen Visionen nur den Weg weist." Lilith fiel ein Stein vom Herzen. „Sollte ich noch weitere Fragen haben, wende ich mich sofort an dich. Und jetzt ab mit euch, geht Trainieren und schaut wie Nuy kämpft. Ich habe einen Brief zu schreiben." Mit diesen Worten erklärte der Meister das Gespräch für beendet. Die Drachenjäger gingen mit Nuy auf den Hof.
„In welchen Waffen wollt ihr mich testen?" Nuy sah Theodor fragend an.
„Kannst du mit einem Bogen umgehen?" Wollte dieser wissen.
„Ja." Sie liefen in Richtung Scheune, Theodor holte seinen Bogen und seinen Köcher, zum Kämpfen würden sie Stöcke nehmen.
Nuy führte sie zu einer Wiese auf der einige Bäume standen. „Siehst du dieses Astloch, das ist dein Ziel." Theodor hatte die Sehne während des Laufens in den Bogen gespannt, nun reichte er ihn an Nuy weiter. Einen Pfeil übergab er ihr auch.
Dann stellte das Mädchen sich gerade hin, spannte den Bogen gekonnte und zielte. Die Sehne summte als der Pfeil sie verließ, er blieb wackelt im Astloch stecken. „Man muss schießen lernen wenn man manchmal das Essen jagt." Sagte Nuy bloß, ging auf den Baum zu und zog den Pfeil heraus.
„Ich könnte dich jetzt noch ein paar Mehr Pfeile schießen lassen, aber ich glaube dir einfach mal. Wenn du Wild jagen kannst, dann kannst du ein sich bewegendes Ziel treffen." Theodor nickte ihr anerkennend zu. Lilith musste schmunzeln, kein Meister würde so leicht zufrieden zu stellen sein, bei jedem anderen hätte er wahrscheinlich auch anders gehandelt.
„Lasst uns ein paar Stöcke suchen, natürlich ist es nicht genau wie mit einem Schwert, aber wir wollen ja nicht, dass sie jemand jetzt verletzt." Lilith verdrehte ihre Augen, sie mochte es schon nicht mit unscharfen Trainingsschwertern zu kämpfen, Stöcke waren noch viel schlimmer. Ihr eigenes Schwert lag so gut in ihrer Hand, es war wirklich wie die Verlängerung ihres Armes. Dennoch folgten sie den Anweisungen, obwohl auch Jack nicht sonderlich begeistert aussah.
„Hinter der kleinen Hütte dort hinten liegen einige Stöcke." Sagte Nuy.
Und wirklich, kaum hatten sie die Hütte umrundet, sahen sie einige gerade, astlose Stöcke in der Größe von Langmessern bis Zweihändern. Wie immer suchte Jack auch für Lilith eine Waffe, nur dass er normalerweise ein Trainingsschwert für sich aussuchte und keinen Stock.
„Warum sind hier so viele?" fragte Jack erstaunt.
„Sie sind besser als nichts wenn man sich gegen Wölfe verteidigt, gegen die Soldaten des Fürstens würden sie nur leider nichts bringen. Außerdem bekommen wir ab und an Besuch, dann mache ich Spaßkämpfe mit den anderen in meinem Alter, die Gespräche der Erwachsenen sind nicht unbedingt so interessant."
„Wie alt bist du eigentlich Nuy?" wollte Lilith wissen.
„Fast achtzehn."
„Ich dachte du wärst vielleicht so alt wie ich." Gestand Lilith.
„Nein, ich bin doch schon etwas älter." Nuy konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Du bist und bleibst die Jüngste die von eurer Expedition die Berge überquert. In deinem Alter hätten sie mir nicht erlaubt euch zu begleiten. Und auch so werden sie es nur mit schwerem Herzen zulassen, ich helfe ihnen zwar nicht immer auf dem Hof, dennoch brauchen sie mich. Seit wir hier leben suchen wir nach jemand der uns helfen kann, doch die Suche wird erfolglos bleiben solange der Fürst die Männer in seine Truppen zieht."
„Warum lebst du eigentlich bei deinen Großeltern? Was ist mit deinen Eltern?" fragte Theodor vorsichtig, er hatte Angst ein heikleres Thema anzusprechen.
„Meine Eltern sind tot, sie kamen damals mit uns über die Berge. Als der Fürst meinen Vater von uns trennen wollte sind sie geflohen und wollten sich verstecken. Man hat sie entdeckt und wie vereidete Deserteure getötet. Vielleicht wussten sie auch etwas was sie nicht wissen sollten, ich weiß es nicht. Sie haben mir nichts verraten und meine Großeltern genauso wenig."
„Das mit deinen Eltern tut mir leid, ich bin auch Vollwaise, seit ich acht Jahre alt bin. Damals war ich schon im Institut, deshalb musste ich nicht zu andern Familienmitgliedern, obwohl mein Cousin mich öfters in seinem Haus haben wollte." Meinte Theodor.
„Aber, wir wollen nicht über die Verstorbenen nachdenken. Du sollst doch schauen wie ich kämpfe. Gegen wen soll ich?" Nuy sah in die Runde der Drachenjäger.
„Lilith?" Theodor nickte seiner Großcousine auffordernd zu.
Lilith schwang ihren Stock einmal probeweise. Das konnte ja lustig werden, er lag ihr schlecht in der Hand, war viel zu leicht und wirkte sehr instabil. Mit geübtem Blick musterte sie das Mädchen ihr gegenüber, Jack hatte immer gesagt, dass man an der Körperhaltung des Gegners erkennen konnte wie er oder sie kämpfen würde.
Nuys Angriff überraschte sie in keinster Weise, Lilith konnte fast schon vorhersagen was für ein Schlag als nächstes kommen würde. Als sie das andere Mädchen schließlich angriff, erkannte sie ihre Schwächen schnell. Nuy war zwar schnell und wenig, wich den Schlägen aber eher aus als dass sie sie parierte. Als Lilith ihre Bewegungen genauestens verstand, war es nicht weiter schwer sie zu entwaffnen.
„Wie hast du das geschafft? Normalerweise bin ich nicht so leicht zu entwaffnen."
„Ich konnte in dir lesen wie in einem Buch, du darfst dich nicht immer vor den Angriffen wegducken, du musst sie mit deiner eigenen Waffe blocken." Lilith hob Nuys Stock wieder vom Boden auf und warf ihn ihr zu.
„Lilith hat recht, natürlich kannst du damit gegen andere bestehen, aber ein Drachenjäger würde dich immer entwaffnen oder verletzen können." Stimmte Jack ihr zu.
„Es ist auch nicht so einfach einen gut ausgebildeten Drachenjäger in einem Zweikampf zu besiegen. Vor allem für jemanden, der keine oder nur eine kurze Ausbildung hatte, dafür bist du aber echt gut. Lilith, Jack ihr trainiert ein bisschen und ich schau wie ich dir helfen kann Nuy." Lilith streckte ihrem Kampfpartner die Zunge raus, dann entfernten sie sich ein ganzes Stückchen von den beiden.

Als der Meister später nach ihnen sah, war es Lilith gelungen ihren Stock zu zerbrechen, sie hatte Jack angegriffen, er hatte geblockt und hatte die obere Hälfte ihres Stockes auf den Kopf bekommen als dieser gebrochen war. Die beiden waren in Gelächter ausgebrochen und schienen sich so schnell nicht wieder beruhigen zu können.
„Ich glaube wir sollten lieber mit unseren Schwertern kämpfen." Meinte Lilith als sie sich wieder etwas beruhigt hatte.
„Ich hätte da eine viel bessere Idee, seht ihr den Wald da vorne? Ihr beide übt klettern und leise durch den Wald rennen." Lilith und Jack warfen dem Meister einen verwirrten Blick zu. Im Institut hatte es nur selten solches Training gegeben. „Und denkt an einen Dolch, man weiß nie was einen in den Wäldern erwartet." Er sah auf Liliths zerbrochenen Stock und schüttelte den Kopf. „Trainingsschwerter haben wahrlich ihren Vorteil." Sie konnten ihm nur zustimmen, verabschiedeten sich aber und verschwanden in Richtung Wald, eine Waffe trugen sie eh immer bei sich.


DrachenfeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt