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Schwarz der Schatten auf dem Boden, schwarz der Drache in den Lüften. Es bestand kein Zweifel, dieser Drache hatte nicht etwa dunkelblaue Schuppen, sie waren schwarz.
„Der Nachtschatten." Als ein leises Flüstern kamen diese Worte über Liliths Lippen.
„Ich hätte dich nicht belügen sollen, aber wir erzählen niemals über ihn. Er hat nach dir geschickt." Nuy wagte es nicht lauter als Lilith zu sprechen.
Der Drache zog seine Kreise, erst waren sie groß, er überflog alle Drachen, doch sie wurden zunehmend kleiner, es sah aus, als würde er eine Spirale fliegen. Als die Kreise immer enger wurden, stellt Lilith fest, dass er vor allem über ihr, Nuy und Jack kreiste.
„Du bist zu mir gekommen, Lilith Tochter des Nurien." Lilith hörte die Stimme, war sie nur in ihrem Kopf zu hören oder schallte sie über alle Anwesenden. Sie wusste es nicht.
Nur eine Sache konnte sie mit Sicherheit sagen, über ihr war der Herr der Lüfte und sie würde ihm mit allem Respekt begegnen. Lilith ließ sich auf ihre Knie sinken, nach und nach folgten die anderen Drachenjäger ihrem Beispiel. Sie hörten die Stimme auch, wussten aber nicht was Lilith wusste.
„Steh auf Nebeldrache." Vorsichtig richtete sie sich auf, wobei sie gegen einen Wind ankämpfen musste, der Schattendrache landete unweit von ihnen.
Zu bekannt kam er ihr vor, zu oft schon hatte sie ihn in ihren Träumen und in der Vision gesehen. „Warum gerade ich?" Ihre Stimme klang fester als sie erwartet hatte. Ihr Herz raste, ihre Hände zitterten, sie war aufgeregt und hatte Angst.
Dass du diese Frage überhaupt noch stellen musst, du weißt besser als jeder andere wer du bist. Du bist der Nebeldrache, natürlich nicht der einzige, aber du bist der Nebeldrache aus der alten Familie." Die großen Augen des Drachens waren direkt auf sie gerichtet. „Und du brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich werde dir nichts tun. Ich werde dich beschützen, so wie dein Kampfpartner es tut." Jacks Augen weiteten sich erstaunt. „Nuy, du bist eine Botin, du wirst den Platz deiner Eltern einnehmen, nur bist du diesmal schon bei den richtigen Menschen angekommen. Ich denke sie werden verhindern, dass dir etwas Ähnliches passiert wie deinen Eltern."
Der Drache drehte sich von ihnen weg, lief einige Schritte in Richtung der anderen Drachen.
„Was ist mit deinen Eltern passiert? Was meint er mit Bote?" fragte Lilith sofort leise.
„Das erkläre ich dir später." Antwortete Nuy.
„Drachenjäger, natürlich sehen wir es nicht gerne, wenn ihr einen aus unseren Reihen tötet. Aber ihr sorgt nur dafür, dass der Vertrag der zwischen uns und euch besteht eingehalten wird. Ihr seid euch auch bewusst, dass es Verstöße auf eurer Seite gab aber ich bin mir sicher, dass ihr dagegen vorgehen werdet. Ich sehe euch zwischen Drachen umherlaufen, ihr bewundert sie, wollt ihnen nichts Böses. Genau so soll es doch sein. Drachen und Menschen sind keine Feinde, wir können miteinander leben ohne uns zu bekämpfen. Doch auf beiden Seiten gibt es schwarze Schafe. Ich habe euch alle hier her gerufen, weil wir einander brauchen, vor nicht einmal einem halben Drachenleben, für euch wären das zweihundert Jahre, waren wir noch doppelt so viele Drachen. Natürlich sterben Drachen auch durch das Alter, Verletzungen oder Kämpfe untereinander, aber der größte Teil von ihnen ist durch Menschenhand gefallen. Wofür? Weil ihre Schuppen verkauft werden können? Weil man sich in der Drachenjagd beweisen kann?" Ein Schnauben kam von ihm, es klang regelrecht abfällig, wenn ein Drache zu so einem Laut überhaupt fähig war. „Uns allen steht ein Krieg bevor, er kann uns Drachen wie euch Menschen vernichten, ob er in wenigen Jahren oder in einigen Jahrhunderten kommen wird, dass weiß keiner, doch die Schattendrachen sehen ihn kommen. Wir Drachen müssen mit den Menschen zusammenarbeiten, wir müssen wieder lernen mit ihnen zu leben, wir müssen zusammenhalten, einander unterstützen und dafür sorgen, dass wir unserem Feind gegenüber stark sind. Die Menschen sollen aufhören uns zu fürchten, natürlich wird es immer den einen oder anderen Drachen geben, der Abtrünnig wird, aber das sind nur wenige. Seht euch unseren Nachwuchs an, glaubt ihr wirklich, sie würden jemandem etwas Böses tun?" Als wäre dies ein Zeichen gewesen flogen zwei der kleinen Drachen fast ineinander, der kleinere von ihnen strauchelte, schien Probleme zu haben sich in der Luft halten zu können. Er drohte unsanft auf dem Boden aufzukommen, als ein Drachenjäger seine Arme ausstreckte und ihn geschickt auffing. „Ihr alle könnt nicht viel dafür tun, außer dass ihr einander unterstütz. Doch die Schicksalsgöttin hat eine Person auserwählt, sie kann uns alle retten, doch wie weiß keiner. Sollte sie sich richtig entscheiden werden wir leben, sollte sie es nicht tun..." Er brach ab.
Lilith rieb sich ihre Arme, sie hatte zu frösteln begonnen und eine Gänsehaut überzog ihre Arme. „Ich dachte ich würde hier Antworten finden, wie soll ich ihnen helfen wenn ich nicht weiß wie?" fragte sie leise.
„Du wirst es schon noch erfahren. Und er wollte dass du dies alles siehst, er wollte, dass du ihn siehst." Antwortete Nuy.
Auch die anderen Drachenjäger fingen zu reden an, sie alle waren über diese Ereignis mehr als nur erstaunt. Noch nie war so etwas geschehen, zumindest konnte man nirgendwo etwas darüber finden. Lilith beobachtete den Drachenjäger mit dem kleinen Drachen auf dem Arm, dieser schien seine Mutter erkannt zu haben und streckte den Kopf in diese Richtung. Als der Drachenjäger den Drachen vorsichtig losließ, damit er zu seiner Mutter fliegen konnte, verlor er erneut das Gleichgewicht. Vorsichtig näherte sich der Drachenjäger der Drachenmutter, hielt ihr Junges so, dass es nicht runterfallen konnte, aber dennoch jeder Zeit weg fliegen konnte. Die Mutter beobachtete das Treiben kritisch, wirkte aber nicht feindselig, als der Drachenjäger das Junge vorsichtig unweit seiner Mutter auf den Boden setzte, schnupperte diese neugierig an dem Drachenjäger.
„Das ist wirklich etwas außergewöhnliches, aber wenn sich alles ändern würde, dann würde ein neues Zeitalter beginnen. Ein Zeitalter in dem Menschen und Drachen zusammen leben." Nuy und Jack hatten das Spektakel ebenfalls aufmerksam verfolgt.
„Stell dir mal vor, es würde eines Tages Drachenreiter geben." Jacks Augen glühten.
„Also das klingt jetzt wirklich absurd, sogar für mich."
„Warum sollte es deiner Meinung nach keine Drachenreiter geben Nuy?" Der Nachtschatten hatte sich wieder ihnen zugewandt.
„Es erscheint mir zu unwirklich, warum sollten Drachen zulassen, dass Menschen auf ihnen reiten? Und warum sollten Menschen auf Drachen reiten?"
„Ich glaube, eines Tages könnte das möglich sein. Vor allem wenn die Drachen und die Menschen wieder lernen miteinander zu leben." Lilith sah abwesend über die vielen Drachen.
„Wenn du möchtest versuche ich dir Antworten zu geben, immerhin hast du sehr viele Fragen Nebeldrache." Von einem Drachen als Drache bezeichnet zu werden fühlte sich für Lilith wahrlich komisch an.
„Warum bin ich ein Nebeldrache?"
„Das liegt in deinem Blut, in deiner Familie kommen die Nebeldrachen häufiger vor als in jeder anderen. Seit wann genau das so ist, kann ich dir nicht sagen. Vielleicht seit der Zeit der ersten Drachenjäger, vielleicht seit der Zeit der ersten Begegnung zwischen deiner Familie und den Drachen."
„Also ist meine Familie sehr alt." Dies war eher eine Feststellung als eine Frage. „Werde ich auch früh sterben? So wie die anderen weiblichen Mitglieder meiner Familie?"
„Dies wage ich zu bezweifeln, du bist nicht so schwach wie sie und die Schicksalsgöttin hat dich nicht ohne Grund auserwählt. Du wirst uns alle retten oder in den Tod schicken, aber denke nicht zu viel über diese Entscheidung nach, du wirst nie wissen wann du sie triffst. Außerdem sterben Nebeldrachen gelegentlich durch die falsche Behandlung der Menschen die sie umgeben. Hier im Norden weiß man wie man mit einem Nebeldrachen umzugehen hat, man darf ihn niemals berühren oder ansprechen oder gar wecken wenn er durch den Nebel fliegt. Doch dort wo du herkommst, schüttelt man einen Nebeldrachen, versucht ihn aus der Vision zu zerren und tötet ihn über kurz oder lang."
„Ist das in meiner Familie geschehen."
„Ja, leider. Und bevor du fragst, eigentlich ist es in deiner Familie auch bekannt dass ihr Visionen habt."
„Manchmal wünschte ich, ich wäre nicht mit auf diese Expedition gekommen. Mein Leben hat sich so grundlegen geändert, ich weiß nicht mehr was ich glauben oder denken soll, ich erfahre Dinge über meine Familie von denen ich niemals zu träumen gewagt hätte. Und auch über mich erfahre ich neues. Warum kann ich nicht einfach ein ganz normaler Drachenjäger sein?"
„Jedes Leben ist einzigartig, man weiß zu keinem Augenblick was genau einen erwartet und was nicht. Um uns alle sind eine Vielzahl geheimnisse gewoben, vielleicht erfahren wie diese niemals, doch ist es wirklich so schlecht unwissend durch die Welt zu laufen? Alles was dir passiert, sei es auf dieser Expedition, in den vorherigen Jahren oder in denen die noch folgen werden, dies alles wird dafür sorgen, dass du zu einer einzigartigen Person wirst. Würde das Leben einfach und ohne jede Schwierigkeiten verlaufen, ohne Überraschungen und Geheimnisse, wären wir dann wirklich alle unterschiedlich. Natürlich weiß ich, dass ich kein Mensch bin, doch ich bin schon etwas älter und beobachte die Menschen schon lange. Wenn du niemals aufgibst und allen anderen zeigst, dass du dich nicht unterkriegen lässt, dann bist du eine wirklich bewundernswerte Person. Wenn das Leben dir Steine in den Weg legt, so baue eine Brücke aus ihnen und überquere somit die Schluchten die sich vor dir auftun."
Lilith sah in die Augen des Drachens, groß und weise. „Danke."
„Lilith." Theodor kam zu ihnen geeilt. „Hast du das gesehen? Ich habe es aufgefangen und die Mutter hat mich nicht getötet obwohl ich ihr Junges auf dem Arm hatte." Er klang nicht wie ein Mann seines Alters, eher wie ein kleiner Junge der sich über etwas zu freuen schien.
„Ja ich habe es gesehen, war mit allerdings nicht sicher wer der Retter war, du warst einfach zu weit weg."
„Wenn ich könnte würde ich für die Zukunft der Drachen kämpfen, für die gemeinsame Zukunft der Drachen und der Menschen."
„Du wirst doch zum Meister ausgebildet, besteht da nicht die Möglichkeit, dass du eines Tages Großmeister wirst?" Theodor schien erstaunt als der Drache ihn direkt ansprach.
„Woher wisst Ihr das über mich?" er schien diese Frage nicht verhindern zu können. „Ja, diese Möglichkeit besteht, doch würde es noch Jahre dauern bis ich überhaupt in Erwägung gezogen werde."
„Dir ist doch wahrscheinlich auch aufgefallen, dass Veränderung in der Luft liegt. Wer weiß ob sich nicht auch bei euch etwas ändert, die Regeln in eurem Orden sind alt. Was nicht heißen soll, dass sie schlecht sind, doch ab und an ist eine kleine Neuerung mehr als gut."
„Warum sollte sich etwas im Drachenjägerorden ändern, es bedarf schon sehr viel damit sich im Orden etwas ändert. Das einzige was passieren kann, ist dass der König den Großmeister absetzt und ein neuer gewählt wird, doch ich komme für eine Wahl dieser Art nicht in Frage."
„Ich werde die Drachenjäger zusammenrufen, wir übernachten heute Nacht hier in der Nähe und wir werden morgen oder an einem der nächsten Tagen nach Hause aufbrechen." Der Meister musterte den schwarzen Drachen mit großem Interesse. „Ich bin sehr erfreut Euch kennen zu lernen, auch bin ich wirklich beeindruckt von diesem Erscheinen, all diese Drachen, es ist wirklich beeindruckend. Ich habe auch noch nie von einem Schattendrachen gehört, auch habe ich einige Drachenarten gesehen die mir unbekannt sind, nie hätte ich so etwas für möglich gehalten." Der Meister schien mehr als beeindruckt von alledem.
„Dann machen wir uns an die Arbeit, wir haben bestimmt nicht mehr so viel Zeit bis es dunkel wird. Haben wir noch genug Essen oder müssen wir Drachenjäger jagen gehen?" Theodor brachte den Meister zu seinem ursprünglichen Anliegen zurück.
„Ja natürlich, du hast ja Recht. Ich bin mir nicht sicher wie lange unsere Vorräte noch reichen, aber sie werden noch einige Tage lang genügen."
„Macht euch wegen so etwas keine Sorgen, ich werde dafür sorgen, dass ihr genug zu essen habt. Das mit dem Jagen könnte sich für euch als etwas schwerer gestalten, wenn so viele Drachen in der Nähe sind, dann werden sich die Tiere hüten hier her zu kommen."
Der Drache gab einen Laut von sich, es dauerte einen Moment bis die Anwesenden es als Lachen identifizieren konnten.
„Ich wusste nicht, dass Drachen lachen können." Meinte Lilith erstaunt.
„Warum sollten wir es nicht können?"
„Ich weiß es nicht, ich habe nicht damit gerechnet." Gestand sie.
„Ihr Menschen seid komisch, nur weil ihr mit etwas nicht rechnet glaubt ihr es existiert nicht. Und jetzt geh Nebeldrache, ihr habt zu tun." Warum wusste sie nicht, doch einem Impuls folgend verbeugte sie sich vor dem großen Drachen, dann folgte sie den anderen Drachenjägern die schon einige Meter vor ihr waren.
Als sie einen Wind in ihrem Rücken spürte drehte sie sich schnell wieder um. „Wohin fliegt er?" fragte sie Nuy erstaunt die einige Meter entfernt auf sie wartete.
„Er ist ein Drache, er ist mal hier, dann fliegt er wieder weg. Er ist ein wildes Wesen das man nicht bändigen kann. Aber wir werden ihn noch einmal sehen bevor wir nach Haus reiten."
Traurig sah Lilith dem Schattendrachen nach, etwas verband sie mit ihm, da war sie sich ganz sicher.



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