Flieg!

180 31 13
                                    


🌛🌛🌛 5 Wochen später 🌜🌜🌜

Sie spürte den Wind auf ihrer Haut, hörte das leise Zwitschern der Vögel, das Jaulen des peitschenden Windes. Die Bäume bogen sich im Wind, des heran nahenden Sturmes.
Einen so großartigen Ausblick über den Dunkel-Wald von Nebula, hatte sie noch nie gehabt.
Sie sah das meilenweite Baumgestrüpp bisher nur auf Fotos. Nun, als sie es in ihrer Realität sah, raubte das dunkelgrüne Dickicht ihr beinahe den Atem.
Es wirkte wunderschön friedlich, ruhig und wie ein ganz normaler Wald aus alten Zeiten, vor den Humanisten.
Doch das war er nicht.
Er war voll mit den Wesen, die von den Humanisten angebetet wurden. Wesen wie Einhörner, Naga oder gar Zentauren.
Nur ab und an bekam man eines der sonderbaren Wesen, am Rand dieses Waldes zu sehen. Man konnte ihn nicht betreten, jedenfalls kein Humanist, denn nie war einer, der den Wald betreten hatte, zurück gekommen. Das zeigte wohl, dass Humanisten, bei anderen Rassen, nicht wirklich beliebt waren.

Und hier stand sie nun. Ihr Haar wehte im aufsteigenden Wind und sie blickte hinab auf den Wald.
Sie stand auf Kontrollpunkt 1. Ein großer Turm, welcher gigantisch in den Himmel ragte.
Die restlichen Kontrollpunkte, in Form von Türmen führten nah, an der Grenze zwischen Wald und Brachland entlang. Wobei sie auf dem letzen, bereits von Ackermann und den anderen Lichtjägern erwartet wurde. Auch von Kommandant Leonhardt persönlich.

Sie hatte nun einen Monat hart trainiert, um wenigstens auf dem Schiff eine gute Figur zu machen. Auch wenn sie nur Dekorations-Lichtjägerin werden würde. Das Training war wichtig, denn auch Dekoration konnte fallen und zerbrechen.
Sie war über Seile balanciert, hatte schießen geübt, die Schiffsregeln auswendig gelernt, den Bau des Schiffes studiert und sogar leichte Fortschritte in Sachen: lesen und schreiben gemacht.
Sie hatte darauf hinarbeitet: auf diesen Tag. Wenn sie heute eine gute Figur machte, kam sie ihrem Traum mit den Schiffen abzuheben und in den Himmel empor zu steigen, ein Stückchen näher.

Ein letztes Mal kontrollierte sie ihre Hilfsmittel - wie gelernt - und schloss dann das Augenlid. Wenn sie fiel, wäre von ihr nicht mehr als undefinierbare Flüssigkeit übrig, das war klar.
Sie atmete tief durch und öffnete die Augen wieder.
Anschließend nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und begann zu rennen.
Der Durchmesser der Plattform maß nicht mehr als fünfzehn Meter. Fünfzehn Meter, die sie so schnell wie möglich hinter sich bringen musste, um ausreichend weit zu springen.
Sie sprang ab, breitete die Arme aus - so wie sie es gelernt hatte - und glitt in der Luft. Die Gleit-Jacke war am Vorbild von Flughörnchen gestaltet worden und tatsächlich lag man damit auch ganz ruhig in der Luft.
Ähnliche Anzüge gab es schon in der alten Welt, jedenfalls hatte die Lichtjäger dies gesagt.

Es fühlte sich unglaublich an. Unter ihr lag der Wald brach, unberührt, unerforscht.
Über ihr bahnten sich vereinzelte grauen Wolken ihren Weg über den Himmel.
Ihr Haar wehte im Wind. Sie spürte ein Freiheitsgefühl, was sie schon immer hatte spüren wollen: Fliegen.

Nun glaubte sie, dass die Angst, die man hat, wenn man an einem Abgrund stand, in Wahrheit vielmehr eine Sehnsucht war. Eine Sehnsucht, sich fallen zu lassen - oder die Arme auszubreiten und zu fliegen.

Der 2. Kontrollpunkt kam in Sicht und sie befreite die Pistole von ihrem Gürtel. Als sie zielte, fiel sie natürlich. Denn die Gleitjacke funktionierte nur mit ausgestreckten Armen.

Seltsam, dass sich Fallen vor dem Aufprall, noch wie Fliegen anfühlt.

Sie verspürte keinerlei Angst, keinerlei Unwohlsein oder das Versagen ihrerseits.
Für sie war es ganz klar: sie würde jetzt schießen und treffen.

Schießen und treffen...

Sie schoss...

Der Widerhaken schoss an dem dünnen Metallseil, geradewegs auf die Plattform zu, wo er sich um den angebrachten Metallstab wickelte.

...sie traf.

Mit beiden Händen umgriff sie die Pistole nun so fest, dass ihre Fingerknöchel unter ihrer Haut, weiß hervor starchen.
Sie betete, dass das Seil standhalten würde, als sie den Abzug des Manövrier-Gerätes erneut drückte.
Sie wurde nun in rasender Geschwindigkeit, an dem Seil nach oben gezogen und landete sicher auf dem zweiten Kontrollpunkt.

Adrenalin erfüllte ihren ganzen Körper, sie konnte ihren rasenden Herzschlag hören. Ein Zeichen, dass sie lebendig war.
Ein paar Atemzüge am Tag und schon lebt man. So schwierig ist es wohl nicht.

Die restlichen Kontrollpunkte meisterte sie ebenfalls, ehe sie auf dem letzten landete und ein Applaus auf sie nieder hagelte.
Ein Lächeln spiegelte sich nun auf den roten Lippen, des namenlosen Mädchens wieder. Und ihr Lächeln war frei von Inflation, es war stets wertvoll.

»Sehr gut gemacht, Augenbinde. Wirklich sehr gut.«, Kommandant Leonhard hielt ihr eine weiße Schärpe hin, welche sie überglücklich entgegen nahm.
»Heißt das etwa...?«, ihre Augen leuchteten vor Begeisterung.
»Ja...genau das heißt es, du wirst mit uns fliegen.
Willkommen in Kompanie 5, Lichtjägerin.«
🌾🍃🌾🍃🌾🍃🌾🍃🌾🍃🌾🍃🌾
Vielen lieben Dank fürs Lesen, für 100 Votes und 500+ Views. ❤️

Lumière (Deutsch) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt