Vom Bauer zum Springer

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Hier stand sie nun also. Im Büro des Kommandanten 5 von Kompanie 5.

Das Zimmer war wirklich spärlich eingerichtet. Der Putz blätterte schon an den Wänden ab und hier und da, konnte man das Fiepen junger Mäuse hören. Aber wie gesagt...es war bloß Kompanie 5. Die unterste Kompanie. Sie fühlte sich jedoch keineswegs zu schade dafür. Im Gegenteil, wenigstens hatte sie hier Anziehsachen. Ein Komfort den sie nie so gespürt hatte.
Eine Weile stand sie nun schon vor dem viel zu großen Schreibtisch, in Leonhardts Büro.
Warum brauchte man für ein so kleines Büro, so einen großen Schreibtisch?
Vermutlich ist es das einzige Große, was dieser alte Greis besitzt...

Natürlich waren diese Gedanken sehr...grob, doch sie hatte allen Grund sauer zu sein. Er hatte sie schließlich einfach in eine Gruppe eingeteilt, der sie nie im Leben beigetreten wäre. Jedenfalls nicht ohne ausreichende Ausbildung. Was bildete sich dieser Kerl ein?
Und wie lange wollte er sie noch Löcher in die Luft starren lassen?
Es roch nach Bleichmittel und stehender Luft. Diesem Raum täte eine Lüftung gut, aber der Griff des Fensters war abgerissen.

»Also...«, sie sah auf als sie die raue Stimme vernahm und lenkte ihren Blick auf den grauhaarigen Mann, der mit aller Ruhe Nebulas, sorgfältig irgendetwas nieder schrieb, »...du möchtest also Beschwerde einreichen, Weibsbild...?«
Er war wirklich einschüchternd, das konnte keiner abstreiten, aber sie versuchte trotzdem nicht irritiert  auszusehen.
»Ja.«, sagte sie standhaft, » ...ich verstehe nicht wieso...«
»Ich verstehe auch so vieles nicht!«, er schnitt ihr das Wort ab und stand von dem Sessel auf, welcher -nebenbei - viel zu klein für den riesigen Schreibtisch war.
Er sah sie von oben herab an und sprach auch so.
»...wenn hier jeder, bei jeder Kleinigkeit das Handtuch werfen würde, dann würde es Kompanie 5 schon lange nicht mehr geben!«
»...aber ich wollte doch gar nicht sagen, dass...«
»UNTERBRICH MICH NICHT.«
"Seltsam, das zu sagen, wenn man der Unterbrecher schlecht hin war", dachte sie.
»...wenn du keine Motivation für diesen Job hast, dann verlasse dieses Gebäude und nerv mich nicht weiter. Denn solche Leute brauchen wir hier wirklich nicht...«
Es folgte eine Rede, die hauptsächlich ihre Motivation und Tätigkeit in den Schatten stellte und sie in allen Hinsichten demütigte.

Das namenlose Mädchen ballte die Hände zu Fäusten und senkte den Kopf. Die vordersten Strähnen, ihrer Haare, lösten sich aus dem lockeren Zopf und fielen vor ihr Gesicht, verdeckten so den ausdrucksstärksten Blick ihrer selbst.
»Jetzt hören Sie mir mal zu, Mister!«, ihr war es absolut egal, ob sie nun gefeuert wurde, oder was auch immer. Man konnte es vielleicht nicht glauben, aber auch ein Waisenkind hatte seinen Stolz und diesen Stolz würde sie ihm nun, direkt entgegen schleudern. Sie sah auf, ihr Blick war fest und dann begann sie zu reden.

»Ich wusste, dass Sie mich von Anfang an nicht leiden konnten, dass ich in Ihren Augen nur ein nichtsnutziges, schwaches Weibsbild bin und es ist mir auch vollkommen egal, was Sie von mir denken oder wie Sie mich nennen! Aber ich lasse mich nicht so behandeln. Ich bin noch nicht Ihre Schachfigur, auf Ihrem Schachbrett. Das hier ist nicht Ihr Spiel. Sie sind nur ein Statist in dem Film der Menschen, die sich dort oben auf dem Thron den Hintern festdrücken, also bilden Sie sich verdammt noch mal nicht so viel auf Ihren Stand ein. Sie sind auch bloß eine Schachfigur, auf dem Schachbrett der Fürsten von Nebula.
Ich will damit nicht sagen, dass ich keine bin. Ich wäre auch dazu bereit auf Ihrem Schachbrett zu rücken. Aber nur wenn sie mich auch so behandeln, wie es eine Figur verdient hat. Sie können mich nicht einfach nach ihrem Belieben vom Brett schubsen und mir beim fallen zusehen, weil es Ihnen Freude bereitet.
Sie haben sowieso nicht mehr so viele Figuren, da können Sie mir erzählen, was Sie wollen.
Ordnen Sie mir einen guten Platz auf dem Schachbrett zu und ich bin bereit, Ihren Anweisungen folge zu leisten, aber schicken Sie mich nicht einfach so in den Tod. Dazu weigere ich mich!«

Sie war ganz außer Atem wegen ihrer Rede. Ihr Oberkörper bebte, sie musste ein zittern ihrer Hände unterdrücken. Was würde er sagen...? Was würde er tun? Würde sie hier und jetzt sterben?

Langsam verschränkte er die Arme vor der Brust und schloss die Augenlider. Sie hielt den Atem an.
Er grinste.

»Warum habe ich nichts anderes erwartet?«,Leonhardt lachte leise.
Sie hatte wirklich alle möglichen Reaktionen erwartet, aber diese...diese hätte sie sich nicht mal im Traum ausgemalt. War es Sarkasmus? Wollte er sie aufziehen?
Langsam begann der Greis zu sprechen.

»Das war ein kleiner Test...ob du blind alles tust was man dir sagt, oder ob du bereit bist, eigene Entscheidungen zu treffen.«
Sie verstand rein gar nichts und blickte ihn verwirrt an.
»Also...werde ich kein Lichtjäger..?«
»Doch, wirst du.«
»Das kann nicht Ihr Ernst sein!«
Sie war wieder kurz davor, in einen erneuten Redeschwall zu fallen, doch er hob besänftigend die Hände.
»Hör zu. Wir haben Personalmangel an Lichtjägern, die Queen macht uns den Garr aus, wenn wir nicht endlich mehr Jäger haben. Du hast das Zeug dazu, das sehe ich.
Du wirst einen Crash-Kurs in Sachen "Lichtjäger sein"-haben. Du wirst die Grundlagen verinnerlichen und in einem Monat auf das Schiff kommen...«
Überfordert fuhr sie sich durch die Haare.
»Aber warum ich? Und warum bekomme ich keine richtige Ausbildung? Ackermann sagte diese dauert 3 Jahre.«
»Soviel Zeit haben wir leider nicht. Die Queen erwartet mehr Personal, wir stellen also mehr ein. Was aber nicht heißt, dass du Irrlichter fängst...wenn du verstehst...es geht hier nur ums Aussehen. Wir brauchen dich, um vor der Königin ein besseres Bild zu machen. Kompanie 5 braucht neue Leute. Ob damit unsere Beuteeinträge an Irrlichtern steigt ist nebensächlich.«

Langsam verstand sie, sie sollte als Dekoration herhalten. Weil sie aussah, als hätte sie das Zeug zum Lichtjäger, flöge sie also mit. Aber sie würde keine Irrlichter fangen, sie wäre bloß Deko, damit die Queen dachte, Kompanie 5 liefe blendend.
» ...irgendwann wirst du natürlich auch Irrlichter fangen. Aber im Moment geht es nur ums: "so-Tun-als-ob" Verstehst du?«
Der ergraute Mann verschränkte die Arme und lehnte sich an die Wand.
Sie nickte.
»...also was ist Augenbinde? Bist du bereit vom Bauern zum Springer aufzusteigen, auf dem Schachbrett Nebulas?«

Die schwarzhaarige ballte ihre linke Hand zur Faust und schlug sie auf ihre rechte Brust, den rechten Arm verschränkte sie hinter dem Rücken.
»Jawohl.«

Lumière (Deutsch) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt