Schachbrett

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In dem Raum, den sie als nächstes trat, herrschte reines Chaos. Ein großer schmaler Gang führte sie hin. 'Sie' bestand aus dem alten Greisen, ihr und noch weiteren 3 Jungen, die vermutlich etwas älter waren, als sie es war.
An den Wänden hingen überall Fotos von allen möglichen Sturm- und Lichtjägern, die irgendetwas hervorragendes geleistet hatten.
Beispielsweise: das Schiff im Sturm sicher zurück gelenkt oder besonders viele Irrlichter gefangen. Der grauhaarige Begutachter stellte sich später als Kommandant 5 von Kompanie 5 heraus. John Leonhardt. Er führte das namenlose Mädchen und die drei Jungs, welche seltsam schweigsam waren und vermutlich nur wegen ihren schmächtigen Muskeln ausgewählt worden waren, in einen weiteren großen Saal.
Dieser war in Schachbrettmustern förmlich ertrunken. Sie zeichneten sich auf dem Boden, an der Wand und sogar an der Decke ab.
Da war wohl jemand ein ganz großer Schachfan...

Die Männer, die bis eben noch herum gesessen hatten, richteten sich sofort bei dem Anblick des Kommandanten auf und machten dabei einen Gruß, indem sie die linke Hand zu einer Faust ballten, diese auf die Brust schlugen und den rechten Arm hinter dem Rücken verschränkten.
Kommandant Leonhard verkündete die Namen der vier Neulinge, wobei er bei ihrem Namen stehen blieb.
»Name? Weibsbild?«, fragte er ziemlich grob, worauf einige der Männer leise lachten. Vermutlich hatte er sie bloß eingestellt um sich über ihre Fehler und das ihrige Misslingen des Jobs lustig zu machen.
»Nennen Sie mich wie Sie wollen.«, meinte sie monoton und blickte ihn mindestens so fest an wie er es tat.
Sie glaubte ein leichtes Grinsen auf seinem Gesicht zu erkennen, doch binnen weniger Sekunden verfiel es und er blickte genauso kalt drein, wie sonst.

Schroff meinte er: »Augenbinde.«
»Bitte?«, fragte sie stirnrunzelnd.
»Augenbinde. Du heißt jetzt Augenbinde, dann vergesse ich wenigstens nicht wie du heißt.«
Augenbinde war ihr schon recht, wenigstens nannte er sie nicht mehr Weibsbild.
»He Ackermann, weise das Weibsbild ein!«
Tja zu früh gefreut.

Ackermann war eine kurzhaarige, dunkelhäutige Frau mit schwarzen Haaren, welche sie sorgfältig zusammen geflochten hatte. Ihr Gesicht war kantig. Sie trug eine weiße Schärpe und ihr Gesicht zeigte keinen Funken von Emotion.
Nebenbei...wieso nannte er nicht auch sie Weibsbild?

Ackermann bedeutete ihr in ein Nebenzimmer zu folgen, erst jetzt bemerkte sie, dass an den Wänden zahlreiche Türen waren. Sie hatte es aufgrund des ebenmäßigen Schachbrettmusters nicht bemerkt.
Der Raum in den Ackermann sie führte, war spärlich mit Gaslampen beleuchtet und es stank gewaltig nach Mäusekot.
Stiefel, Hosen, Blusen und Jacken in allen möglichen Größen waren in die Regale einsortiert.
An den Wänden hingen Plakate, die beinahe abfielen. Sie zeigten die Schärpen und die verschiedenen Abzeichen. Die Schwarzhaarige wünschte sich nun so sehr die Erklärungen lesen zu können.
Ackermann hatte bereits die Kleidung heraus gesucht und reichte sie ihr.

»Bitte zieh dich um, geh die Plakate durch, lern es möglichst auswendig und komm dann zurück.«, sagte sie, ohne eine Spur von Emotion in ihrer Stimme.
»Warte...«
»Hör zu ich habe wirklich keine Zeit für weitere Fr-«
»Ich kann nicht lesen.«, natürlich war ihr dieser Satz unglaublich peinlich. Aber was sollte sie sonst tun? Ackermann machte ein ziemlich verdutztes Gesicht. Sie konnte also doch Emotionen zeigen.
Im Schnelldurchlauf erklärte sie ihr die Farben der Schärpen, die Bedeutung zwischen Sturmjäger und Lichtjäger und die Abzeichen.
Sturmjäger - so wurden alle ganz normalen Matrosen genannt, die das Schiff steuerten und alle möglichen Arbeiten am Schiff erfüllten.
»...also nichts weiter als Matrosen.«
Lichtjäger - so wurden die Helden der Humanisten gennant.

Zum ersten Mal erfuhr sie nun auch, wie das Fangen der Irrlichter funktionierte:
Die Sturmjäger lenkten das Schiff direkt in ein Gewitter, da Irrlichter nur in Gewittern auftraten und dann begann die eigentliche Aufgabe der Lichtjäger: Sobald die kleinen Lichter in Sichtweite waren, sprangen die Jäger gerade Wegs vom Schiff.
Ihre Kleidung war dafür angepasst. Ackermann zeigte ihr den Unterschied einer Sturm- und einer Lichtjäger Jacke.
Die für die Lichtjäger hatte große Nähte, die sich mit Luft füllen konnten. Sie konnten also problemlos in der Luft gleiten, jedoch nur für ein paar Meter. In dieser Zeit musste es ihnen gelingen die Lichter, mit den speziellen Gläsern, welche an den Lederriemen ihrer Hosen befestigt waren, zu fangen. Sie hatten eine Art Pistole am Gürtel, welche beim Abschuss einen Widerhaken frei ließ, welcher sich möglichst in das Holz des Schiffes bohren sollte, damit sie sich daran hoch ziehen konnten.
Gelang ihnen das nicht...starben sie.
Sie erklärte es so, als wäre es das normalste der Welt.

»...deswegen werden auch die wenigstens Sturmjäger zu Lichtjäger.« , endete sie.
»Aber warum kann man die Irrlichter nicht vom Schiff aus fangen?«, fragte das Mädchen stutzig.
»Weil sie nie in die Nähe eines Schiffs kommen, sie halten Abstand von massiven Dingen.«
Sie fragte sich, ob die Wesen dann doch einen Verstand hatten, wenn sie es so bevorzugten sich von ihren Jägern fern zu halten...irgendetwas war also an den Geschichten der Humanisten falsch.
Doch sie wollte Ackermann dies nicht unter die Nase reiben und so nickte sie einfach.
Als nächstes erfuhr sie, dass die Schärpen nur für Lichtjäger waren. Sie verliefen von der Schulter abwärts bis zur Taille und ein jeder Lichtjäger trug sie mit Stolz. Dabei hatten alle normalen Lichtjäger weiße Schärpen
und ab den Kommandanten begannen die Farben sich zu ändern.

Es gab 6 Kommandanten, in jeder Kompanie.
Von hinten beginnend betrugen ihre Farben: Rot, Blau, Grün, Bronze, Silber und Gold.

Abzeichen gab es für jede Heldentat, die man vollbracht hatte. Sie wurden bei Sturmjägern an die Bluse gesteckt und bei Lichtjägern an die Schärpe.
Ackermann wollte ihr aber nicht alle Bedeutungen erklären, vermutlich war sie zu faul oder litt unter Zeitdruck.
Doch das namenlose Mädchen konnte auf ihrer weißen Schärpe (sie war also eine Lichtjägerin), ein Abzeichen erkennen. Es hatte einen großen Stern in der Mitte und um ihn herum befanden sich drei weitere.
Sie wollte Ackermann fragen, was es bedeutete, aber gerade als sie einen Blick darauf geworfen hatte, wurde die Schwarzhaarige sichtlich nervös und schnitt ihr das Wort ab, bevor sie überhaupt etwas sagen konnte.
»Ich habe jetzt keine Zeit mehr für dich, Augenbinde. Zieh dich um, wir sehen uns später.« , damit verließ sie ziemlich schnell die Kammer und das Mädchen blieb allein zurück. Zu allem Überfluss gingen die Gaslampen bei dem Windzug der Tür auch noch aus.
Dunkelheit.

Lumière (Deutsch) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt