9. Kapitel - Ajuri und seine Mission

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Lilly Hargend fixiert mit ihren weiten Augen die schreckliche Klaue, die von der Liftdecke oben auf sie herab greift. Sie ist starr vor Angst und versucht zu schreien, aber aus ihrem Mund kommt nur ein klägliches Krächzen. Mit einem Kling kündigt der Lift nun das Erreichen der 6. Etage an, und dieses Geräusch holt sie aus ihrer Lethargie zurück in die Realität. Sie dreht sich um und springt durch die sich öffnenden Türen aus dem Lift hinaus, als sie plötzlich von einem höllischer Schmerz in ihrer Schulter zurückgehalten wird. Der Schmerz fühlt sich gerade so an, als ob ihr eine brennende Klinge reingestoßen worden wäre.

Lilly fällt vorwärts auf das Gesicht und ein weiterer Schmerz schießt ihr ins Kinn. Sie liegt bäuchlings auf dem kalten Metallboden und ein warmer Strom einer Flüssigkeit fließt von ihrer Schulter runter. Sie dreht den Kopf etwas zur Seite und kann im Augenwinkel erkennen, dass es sich um ihr Blut handelt und sie sieht, wie ein langer armähnlicher Tentakel sie an ihrer Schulter festhält. Lilly verliert langsam das Bewusstsein. Sie hört eine Stimme, die wie ein Mensch klingt, und diese sagt. "Ich will dich nicht töten, aber ich muss!" In einem Nebel aus Schmerzen und beginnender Ohnmacht spürt sie noch, wie etwas Kräftiges sie zurück in den Lift zu schleifen versucht.

Ajuri, was auf seinem Heimatplaneten Adrastea so viel wie der Kühne bedeutet, hockt am Dach des Lifts und hält sich mit seinem langen, mächtigen Schwanz scheinbar mühelos an einem der Liftseile fest. So war es für ihn ein Leichtes, mit seinem starken Arm in die Fahrstuhlkabine runter zu greifen und damit Lilly gerade noch an der Schulter zu packen, bevor sie aus dem Lift sprang. Ajuri hat auch tatsächlich zu Lilly gesprochen, er hat schon viele Jahre unter den Menschen gelebt und spricht perfekt ihre Sprache. Er kennt die Menschen sehr gut und weiß von ihren Stärken, aber auch von ihren Schwächen. Vor allem ihre Schwächen kennt Ajuri nur zu gut.

"Mädchen, warum musstest du so neugierig sein" sagt er leise zu sich - in seiner Stimme klingt der Anflug eines Bedauerns mit. "Ich muss dich töten, weil du meine Mission gefährdest und meine Mission hat allerhöchste Priorität. Aber ich darf auch keine Fehler mehr machen, ich hätte den Deckel vollständig schließen müssen. Ich muss in Zukunft vorsichtiger sein, ich darf meine Mission nicht gefährden."

Während Ajuri versucht, mit seinem starken Arm das Mädchen wieder zur Gänze in den Lift reinzuziehen, schließen sich auf einmal beide Lifttüren wieder. Dadurch wird sein Arm eingeklemmt und er kann Lilly, die inzwischen das Bewusstsein zur Gänze verloren hat, nicht mehr halten. Diese fällt aus ihrer halbaufrechten Position - wie ein Kartoffelsack - nieder und schlägt hart auf den Metallboden vor dem Lift auf. Die nun leere Fahrstuhlkabine setzt sich mit Ajuri auf dem Dach in Bewegung. Dieser knallt den Deckel der Öffnung zu und springt verärgert mit einem weiten Satz vom Dach des Lifts runter in einen der horizontalen Lüftungsschächte. Er muss hier weg, weil Ajuri hier nicht nicht mehr sicher ist und er muss jetzt schnell seine Mission zu Ende bringen. Denn schon bald werden sie ihn suchen.....

Die soeben erfolgte Lautsprecherdurchsage hat bei Professor Hargend gemischte Gefühle ausgelöst. Zwar wird er aus dem Inhalt nicht wirklich schlau, aber am Inhalt selbst kann er doch spüren, das irgend Etwas nicht in Ordnung ist. In Anbetracht dessen, dass seine Tochter eigentlich nicht legal an Bord ist, vergrößert sich bei ihm die Sorge um Lilly, doch Michelle kann ihn etwas beruhigen.

"Vermutlich wollte sie heute Morgen rüber zu Nigel. Hast du gesehen, wie er sie gestern immer angeschaut hat und auch sie wirkte so glücklich. So habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen."

"Nigel ist schon immer auf Lilly gestanden", erklärt Peter. "Aber du hast Recht, gestern war sie wie ausgewechselt und das würde schon zu ihr passen, sie war schon immer sehr spontan."

"Das Einfachste wäre doch, dass du die McNamaras anrufst, ob Nigel und Lilly da sind. Das muss doch mit diesem Kommunikationsgerät möglich sein" schlägt Michelle vor und Peter stürzt sich sogleich auf das Gerät. Wenn Peter etwas zu tun hat, ist er voll auf die Arbeit fokussiert und es geht es ihm gleich besser. Geschickt wie er ist, hat er im Nu eine Verbindung hergestellt.

Die letzten MenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt