19. Kapitel - Die Welt im Inneren

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Während die Specularius in einem finsteren, abgeschlossenen Fahrstuhl immer weiter in die Tiefe des Planeten vordringt, befindet sich Doktor Jordine Bromer in ihrer abgedunkelten Kabine und ist dank des ihr verabreichten Beruhigungsmittel endlich eingeschlafen. Aber ihr Schlaf ist sehr unruhig und sie wirft sich im Bett von der einen auf die andere Seite. Die Beine sind zur Gänze einbandagiert und irgendwie fühlt sie, wie sich darunter etwas bewegt, etwas Längliches – ähnlich einem Wurm oder einer Schlange. „Scheiße, ich muss mich mit den Parasiten infiziert haben", nimmt sie ihre eigene Stimme wie durch einen Wattebausch vage wahr. Dieses Ding beißt sich mit ihren kleinen, scharfen Zähnen durch die Mullbinde und knabbert das Fleisch von ihren Beinen, sodass schließlich nur mehr die nackten Knochen übrig bleiben. Doktor Bromer verspürt seltsamerweise keine wirklichen Schmerzen, will um Hilfe schreien, aber nur ein klägliches Krächzen dringt aus ihrer Kehle, während das schlangenhafte Wesen mit einem breiten Grinsen ihre blutverschmierten Zähne entblößt.

Zur selben Zeit sitzen Lilly und Nigel mit Michelle und Anette zusammen am Esstisch und diskutieren über die Ereignisse der letzten Stunden und bringen dabei die irrsinnigsten Vermutungen und Gerüchte auf den Tisch. Peter und Rick genießen das Privileg, die aktuellsten Ereignisse direkt auf der Brücke – sozusagen live – mitzuerleben.

„Ich komme einfach nicht dahinter", murmelt Nigel, mehr zu sich selbst gesagt, „was die Außerirdischen auf diesem Eisplaneten mit uns vorhaben."

„Wenn sie uns aber töten wollten, hätten sie es schon längst gemacht" erwidert Anette zuversichtlich und Michelle stimmt ihr zu. „Die werden uns sicher helfen, uns mit genügend Wasserstoff für die Weiterreise nach Adrastea zu versorgen."

„Oder sie benötigen uns für irgendwelche Experimente und werden uns die Organe entnehmen, bevor sie uns abschlachten" stellt Lilly makaber fest.

Was eigentlich mehr als ironischer Scherz gedacht war, kommt bei den Anwesenden allerdings gar nicht gut an, weil Lilly fast zeitgleich im Gesicht ganz weiß anläuft und urplötzlich auf die Toilette stürmt. Laute würgende und erbrechende Geräusche können die Anderen aus der offenen Tür zum Badezimmer hören und Nigel erklärt den besorgten Anwesenden.

„Das ist leider ganz normal - seit sie schwanger ist, muss sie fast täglich mehrmals erbrechen, vor allem morgens, aber auch bei Aufregung."

Zu Lilly gerichtet, ruft er sorgenvoll. „Alles OK, Maus, möchtest du dich etwas niederlegen."

Es ist ein kurzes Ja zu vernehmen, dem aber sogleich wieder Würgegeräusche folgen sowie ein nur teilweise verstandenes Fluchen. Lilly fühlt sich mal wieder so richtig ausgekotzt, aber ihr Appetit lässt grundsätzlich nicht zu wünschen übrig – eine typische Schwangerschaft eben. „Ich bin froh, wenn diese Phasen der Übelkeit endlich vorbei sind und ich mich voll und ganz auf das Baby freuen kann", murmelt sie vor sich hin, während sie sich das Gesicht reinigt und im Spiegel ihr weißes, bleiches Gesicht erkennt. „Wo ist das Strahlen, das man den Schwangeren immer nachsagt", denkt sie sich und fühlt sich dabei ziemlich müde und erschöpft.

„Wumm!!!" Mit einem deutlich hörbaren sowie fühlbaren Geräusch kündigt sich das Ende der Fahrt im Fahrstuhl hinunter in die Tiefe des Planeten an. Der Boden unter ihren Füssen federt wie bei einer Wippe noch etwas nach und kommt dann vollständig zur Ruhe - umgeben von einem pechschwarzen Nichts.

„2.518 m unter der Oberfläche von Tyche" teilt Jury mit und sieht dabei in die besorgten Augen der anderen Crewmitglieder auf der Brücke. „Die Außentemperatur beträgt 25,8 Grad Celsius."

„Und dort ist ein Gasgemisch aus Sauerstoff und Stickstoff vorhanden" , ergänzt Julia Smith die Fakten mit einem überraschten Lächeln „und die entspricht beinahe exakt der Zusammensetzung auf der guten, alten Erde."

Die letzten MenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt