Kapitel 137 ✔

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"Scheiße! Was ist das denn?", brüllt der Typ, der mich getreten hat. "Ally!", schreit Emma weinend. "Mein Baby.", hauche ich verzweifelt und streichle meinen Bauch. "Fuck! Jan! Du hast dafür gesorgt, dass eine Frau ihr Kind verliert! Es war abgemacht, dass wir so viel Geld wie möglich holen und dann hier verschwinden! Du hast sie getreten, sie verletzt! Du bringst uns immer mehr in Schwierigkeiten!", brüllt der Typ, der Emma festhält. "Halt dein Maul! Ich wollte das doch nicht! Lasst uns verschwinden, bevor die Bullen hier sind!" Alles geht so schnell. Sie nehmen ihre Rucksäcke und laufen nach draußen. Emma kommt zu mir. "Halt durch, ja? die Polizei ist sicher unterwegs. Die retten dein Baby bestimmt." Ich kneife die Augen zusammen und weine weiter, während ich verzweifelt meine Bauch streichle. "Nun rufen Sie doch einen Notarzt, verdammte Scheiße!" Ein Mann springt auf und will gerade mit dem Festnetz Telefon der Bank einen Notarzt rufen, als die Polizei hereinstürmt gefolgt von ein paar Sanitären. "Was ist passiert?", werde ich gefragt. "Er hat mich getreten. Mein Baby.", schluchze ich. "Sie muss sofort ins Krankenhaus. Vielleicht kann man noch etwas retten." Ich werde hochgehoben und auf eine Trage gelegt, mit der ich Richtung Rettungswagen geschoben werde. "Bleiben Sie ganz ruhig, okay?" Ich nicke und versuche nicht mehr zu weinen, doch die Tränen rennen in kleinen Strömen über meine Wangen. "Wo ist meine Schwester? Sie muss mitkommen! Sie ist erst 12 sie kann nicht alleine hierbleiben.",
"Ich bin hier, Ally.", höre ich sie sagen. Ich drehe den Kopf und sehe sie in der Fahrerkabine auf dem Beifahrersitz sitzen. Etwas beruhigt darüber, dass sie hier ist, atme ich tief durch. Die Schmerzen sind so unerträglich.

Am Krankenhaus angekommen werde ich durch die Gänge geschoben. Ich weiß nicht, wo ich hingebracht werde, weil ich durchgehend die Decke über mir anstarre und nur die vorbeiziehenden Lichter daran sehe. Leise wimmere ich vor mich hin, weiß nicht, was ich denken oder fühlen soll. Ich bin überfordert mit der Situation. Ich werde von Untersuchung zu Untersuchung geschoben, hier werden Tests gemacht, da wird mir Blut abgenommen. Das alles ist zu viel für mich.

Und nun liege ich seit einer Stunde in diesem Zimmer. Ich starre nur aus dem Fenster und warte darauf, dass mir jemand sagt, dass ich mein Baby verloren habe. Ich weiß es. Ich kann es fühlen. Aber wieso kommt niemand und sagt es mir direkt? Wissen sie, dass ich es weiß? Sagen sie es mir deshalb nicht? Draußen wird es dunkel. Die Wolken werden immer dunkler. Es wird gleich regnen. Die Tür meines Zimmers geht auf, doch ich bleibe weiter auf der Seite liege und starre aus dem Fenster. Ich höre Schritte hinter mir. Sie nähern sich meinem Bett, dann verklingen sie und ich nehme seinen Geruch wahr, seine Nähe, seine Atmung. Ich kann ihn spüren. Ich höre, wie er sich die Schuhe auszieht und dann hebt er die Bettdecke an, um sich hinter mich zu legen und sich selbst zuzudecken. Seinen Körper schmiegt er an meinen und sofort wird mir etwas wärmer. Er legt seinen Arm um mich, streichelt mir sanft über den Bauch. "Ich fühle mich leer. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie du dich fühlen musst.", haucht er leise. Seine Stimme klingt schmerzverzerrt und gequält. Ich habe nicht die Kraft ihm zu antworten. "Wir bekommen das hin, okay? Wir schaffen das irgendwie. Wir sind noch jung. Wir werden versuchen nochmal ein Baby zu machen, okay? Und ich werde einen Baum auf dem Hof pflanzen. Einen kleinen Baum, der uns an unser ungeborenes Baby erinnern soll. Es zu vergessen wäre falsch. Der Baum soll blühen, er soll wachsen, er soll leben. Als Zeichen für unseren Verlust." Ich kneife die Augen zusammen, damit die Tränen nicht heraus kommen und umklammere Marcos Hand ganz fest. "Wir schaffen das, mein Schatz. Wir zwei. Nein, wir Drei. Du, Lenni und ich. Wir sind eine Familie und halten zusammen. Ich werde dafür sorgen, dass du noch einmal Mama wirst. Und ich werde noch heute den kleinen Baum pflanzen." Ich nicke. Die Idee ist toll. Beinahe muss ich darüber lächeln, doch die Traurigkeit siegt. "Wir schaffen das." Ich nicke noch einmal. "Willst du schlafen?" Ich schüttle den Kopf. "Soll ich dir deine Ruhe lassen? Soll ich später wieder kommen?" Ich klammere mich an seine Hand, als Zeichen dafür, dass er bleiben soll. Bei mir. Er soll nicht weggehen. Ihn schmerzt es genauso sehr, wie mir. "Oh Ally." Ich drehe mich auf die andere Seite, sodass ich mein Gesicht an seine Brust vergraben und einfach weinen kann. "Es ist okay zu weinen. Für uns beide ist das okay.", sagt er leise. An seiner Stimme höre ich, dass auch er weint. Seine Arme schlingt er um mich und drückt mich somit fest an sich. Es tut gut ihn bei mir zu haben, von ihm im Arm gehalten zu werden, mit ihm zu weinen, mit ihm zu leiden. Nie könnte ich mir das hier mit einem anderen Mann vorstellen. Nur mit ihm. Mit Marco. Mein Marco. "Ich habe mich schon so sehr gefreut.", schluchze ich schließlich. "Ich weiß, mein Schatz. Und das habe ich auch. Sehr sogar. Aber wir versuchen es noch einmal. Und wenn es Jahre dauern wird. Ich verspreche dir, dass du und ich noch ein Baby bekommen werden. Lenni wird ein großer Bruder werden und du und ich werden zum zweiten mal Eltern werden. Vielleicht ja sogar noch ein drittes und viertes Mal. Ich will so viele Kinder mit dir wie nur möglich. Dann bin ich glücklich. Und du hoffentlich auch.",
"Ja.", sage ich leise. "Aber vielleicht sollten wir noch etwas warten. Nur ein paar Monate. Ich muss das alles erst verdauen.",
"Aber natürlich. Ich doch auch, Schatz, ich doch auch.", antwortet er mir. "Ich liebe dich, Marco.",
"Ich liebe dich auch, Ally. Für immer. Nur dich." Langsam schließe ich die Augen und schmiegen mein Gesicht an seine warme, durchtrainierte aber dennoch weiche Brust, die sich langsam und gleichmäßig hebt und senkt. Seine Atmung beruhigt mich und schaukelt mich nach und nach ganz langsam in den Schlaf.

Das Mädchen von der StraßeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt