Kapitel 91 ✔

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*03.09.2015*

Es klingelt an der Tür und ich seufze laut. Mats ist in Frankfurt, da er morgen ein Spiel mit der Nationalmannschaft hat, Marco also auch. Cathy ist ebenfalls arbeiten und mein Bruder... Keine Ahnung wo der sich rum treibt. Er ist vorhin losgegangen aber er hat mir nicht gesagt wohin, weshalb ich davon ausgehe, dass er ein Date hat. Meine kleine Schwester ist wie immer mit Cathy mit und mein Sohn... er macht mir gerade das Leben schwer. Er hat leichtes Fieber und ich bin mir sicher, dass er dabei ist Zähne zu bekommen. Es klingt nochmal. "Jaha!", rufe ich und laufe mit Lenni auf der Hüfte zur Tür. Ich reiße sie förmlich auf, während Lennard schreit und schreit. "Was machst du denn hier?", frage ich überrascht, als ich Marco vor mir stehen sehe. "Dir auch einen guten Tag, schöne Frau. Und Hey, mein Dicker, du brauchst doch nicht weinen." Er nimmt mir Lenni ab und geht an mir vorbei ins Haus. Bin ich im falschen Film? Was macht er hier? "Marco?",
"Ja, mein Schatz?", lächelt er unschuldig. Will der mich veräppeln? Der hat morgen ein Spiel, verdammt! "Was machst du hier?",
"Was hat er?", stellt er die Gegenfrage. Und er klingt besorgt. Klar, er kommt hier her und findet seinen Sohn durchgehend schreiend vor. "Ich hab zuerst gefragt." Er sieht mich schmunzelnd an. "Na schön. Ich habe mir im Training einen Zeh gebrochen.", seufzt er. Ich lache kurz auf, reiße mich dann aber zusammen. "Einen Zeh?",
"Ja.", brummt er frustriert. "Und deswegen wurdest du jetzt nach Hause geschickt?",
"Ja. Aber das ist okay.",
"Wirklich? Willst du reden?",
"Ja, und zwar darüber, was mein Sohn hat." Ich seufze und setze mich neben ihn auf die Couch. "Erstmal ist es UNSER Sohn. Und er bekommt Zähne. Er hat ein wenig Fieber und hier unten sieht man bei ihm schon eine kleine weiße Ecke." Marco sieht Lenni an. "Wow. Dann kann er ja bald eine ordentliche Leberwurststulle essen, was?", grinst er, woraufhin ich aber das Gesicht verziehe. "Er wird keine Leberwurst essen! Das kannst du vergessen, Marco!", lache ich. "Pf. Wenn er und ich Männertag machen gibt's richtig dick Leberwurststulle.",
"Du bist eklig!",
"Musst du gerade sagen mit deinem Nutella-Salami-Brötchen!" Ich schnaube gespielt beleidigt und drehe mich weg. "Aber ich liebe dich trotzdem.",
"Nee, jetzt hast verkackt." Ich stehe auf und gehe in die Küche, wo ich Lennis Fläschchen vorbereiten. Ich weiß ganz genau, dass Marco in der Tür steht. Ich kann es irgendwie spüren. "Ich weiß ganz genau, dass du mich auch liebst, Baby.", grinst er. Ich drehe mich zu ihm um und sehe ihn an. "Wieso?",
"Tja, das weiß ich leider nicht. Aber Fakt ist ja, dass es einfach so ist.", zwinkert er. Geht's noch arroganter? Aber er hat ja recht. Ich liebe ihn so sehr. "Findest du eigentlich, dass wir uns wie ein altes Ehepaar benehmen?", frage ich leise. "Wie bitte? Wie kommst du denn darauf?" Marco kommt auf mich zu und legt seine Arme um meine Taille. Ich seufze und lehne meine Stirn gegen seine Brust. "Ist nur so ein Gedanke.", murmle ich einfach nur. "Wer hat dir das eingeredet?" Ich seufze wieder. Dass der auch alles merken muss! Kann nicht einfach mal doof sein und es nicht merken? Mir einfach nur antworten? Nein, natürlich kann er das nicht. Eigentlich will ich ja auch gar nicht, dass er doof ist und es nicht merkt. "Max zum Beispiel. Oder Erik. Mom und Dad auch. Teilweise sagen sie es ja aus Spaß aber..." Ich halte inne und löse mich von Marco, um die Temperatur von Lennis Milch zu testen. "Hör nicht auf so was, Schatz. Die sind nur neidisch.",
"Neidisch auf ein altes Ehepaar? Wohl kaum. Wann haben wir das letzte mal miteinander geschlafen?" Marco verdreht die Augen. "Das ist doch egal. Wir haben eben viel um die Ohren. Du deine Schule, ich meinen Fußball. Nebenbei müssen wir noch gute Eltern sein und uns mit der Presse herumschlagen." Ich zucke mit den Schultern. "Hast du Angst, dass ich wieder fremd gehe?" Ich schweige kurz, was vermutlich zu lange ist. "Ally, das Thema hatten wir doch schon. Ich liebe Lenni und dich über alles! Ich werde nie wieder so was tun, verstehst du? Bitte vertrau mir.",
"Ich vertraue dir doch. Ich unterstelle dir auch nichts. Wenn du hier bist pennst du ja auch immer sofort ein, weil du so kaputt bist. Genauso wie ich auch. Ich habe nur Angst, dass unsere Beziehung schneller altert als wir beide, weißt du? Also sag es mir: wann haben wir das letzte mal miteinander geschlafen?" Marco seufzt und denkt kurz nach. "Keine Ahnung. Vor einem Monat? Oder zwei? Ich weiß nicht, okay?",
"Es war im Juni. Im Urlaub." Marco zieht eine Augenbraue hoch. "Echt?" "Ja.", antworte ich knapp und gehe in die Stube zu Lenni, der immer noch weint und weint. "Nicht weinen, mein Spatz. Mama ist ja da.", hauche ich ihm leise zu und gebe ihm die Flasche. "Lass mich das machen.", sagt Marco ganz sanft und nimmt mir Lenni ab. "Danke.", sage ich leise. Diese Ruhe ist einfach... unbezahlbar. Lenni hält leider nicht mehr viel davon den ganzen Tag zu schlafen und nichts zu tun. Das war mir zwar immer klar aber jetzt, wo es auch so ist, bin ich manchmal ein kleinwenig überfordert. Auch, wenn ich es nie offen zugeben würde. "Wir sind nicht wie ein altes Ehepaar. Die, die es sagen, haben nur selber kein Baby, verstehst du?" Ich nicke. Marco redet so leise und so ruhig, dass es mich komplett ruhig stellt und ich mich entspanne. Ich sollte einfach mehr mit ihm reden. Viel mehr. Vor allem über meine, beziehungsweise unsere Probleme. Ich lehne mich zurück und versinke in Gedanken. Erik ist wieder vergeben, Max hat auch eine neue Freundin und Kiki... naja, sie ist halt Max' neue Freundin und wohnt sogar bei ihm. Sie holt per Abendschule ihren Realschulabachluss nach und kellnert nebenbei in einem süßen Café hier in der Nähe. Die zwei passen irgendwie gut zusammen. Ben und Jessi sind auch immer noch zusammen aber Jessi wohnt jetzt in einem Heim. Sie wollte von Zuhause weg, weshalb sie und Ben gemeinsam zum Jugendamt gegangen sind. Ich gehe auch wieder zur Schule. Zumindest so oft, wie es mir möglich ist. Wenn so wie heute niemand Zuhause ist, gehe ich nicht in die Schule, da dann ja niemand auf Lenni aufpassen kann. Ich lasse ihn ab und zu auch mal vormittags bei Tommy aber da Lenni ja im Moment etwas Fieber hat und sehr quengelig ist, wollte ich Tommy das heute echt nicht antun. Dafür liebe ich ihn zu sehr. "Lass uns Lenni ins Bett bringen, damit er ein wenig Mittagsschlaf macht." Ich nicke und stehe vom Sofa auf. Marco lässt Lenni noch aufstoßen und dann gehen wir nach oben in sein Zimmer. Er bekommt einen Strampler an und seinen Schlafsack und dann geht's ab ins Bett, was Lenni aber gar nicht witzig findet. Er schreit sich die Seele aus dem Leib. "Komm, wir lassen ihn schreien.", seufzt Marco schließlich und zieht noch an der Schnur eines Kuscheltiers, damit die Musik erklingt. Anschließend nimmt er meine Hand und zieht mich aus dem Kinderzimmer. "Komm, du solltest mal in die Wanne gehen, um zu entspannen. Deine ganzen Muskeln sind doch total verspannt." Marco massiert ein wenig meine Schultern und meinen Nacken, hört dann aber auf und geht zum Badezimmer. Seufzend folge ich ihm. Eigentlich hätte ich lieber Zeit mit ihm verbracht, als jetzt in die Wanne zu steigen. Aber als ich ins Bad komme ist Marco schon dabei sich auszuziehen. "Du kommst mit rein?" Er nickt lächelnd. "Aber geht das überhaupt mit deinem Zeh? Müssen wir da 'ne Tüte drum machen?",
"Nein, das ist nur mit so einem Klebeverband verbunden. Mit dem kann ich ohne Probleme baden gehen und so. Und jetzt zieh dich aus und komm mit rein." Ich sehe ihn eine Weile lang nur an, hebe dann aber die Arme, was er mit einem Grinsen quittiert. Er nimmt den Saum meines Pullis und zieht ihn mir aus. "Was ist mit deinem Körper passiert?", fragt Marco leicht verwundert. Ich funkle ihn wütend an und reiße ihm meinen Pulli aus der Hand, ehe ich sauer, enttäuscht, wütend, traurig - was auch immer - über seine Reaktion aus dem Bad gehe.

Das Mädchen von der StraßeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt