Es war einmal ein kleines Mädchen, das ganz aufgeregt von der Schule nach hause kam. Sofort rannte sie in das Arbeitszimmer ihres Vaters & fragte ihn, ob er ihr bei den Hausaufgaben helfen könnte. "Was musst du denn machen?", fragte er aufmerksam & seine Augen glitzerten voller Liebe zu ihr. "Eine Geschichte schreiben", antwortete das Mädchen. Darauf lachte der Vater & fragte sie, warum sie dann nicht einfach schreiben würde, mit ihren 7 Jahren besaß sie nämlich unheimlich viel Fantasie. "Mir fällt nichts ein", antwortete sie geknickt, worauf hin der Vater ihr eine geheimnisvolle Geschichte über einen sternefressenden König & einem jungen Mann erzählte, der auf einem Drachen fliegen konnte. Mit Begeisterung schrieb das Mädchen alles auf. Am Abend konnte es nicht einschlafen. Da kam ihr Vater wieder zu ihr & sagte zu ihr: "Wenn du nicht schlafen kannst, dann spiel doch einfach so lange mit deiner Fantasie, bis du müde wirst." Dabei zwinkerte er ihr zu & ließ die Tür einen Spaltbreit auf, sodass noch etwas Licht ins Zimmer fiel, um sie nicht ganz in der Dunkelheit zu verschlucken. So erschuf sich das Mädchen das erste Mal eine kleine Welt & Nacht für Nacht wurde sie stabiler & zu einer kleinen Festung. Zwei Jahre später, als das Mädchen 9 war, schneite es an Ostern. Sie hatte bei ihrer Oma geschlafen & war am Morgen sehr früh aufgewacht, weil sie spürte, wie etwas fehlte, einfach wegbrach & für immer verschwand. Als ihre Mutter kam, wusste das Mädchen es bereits, doch trotzdem sagte die Mutter, dass ihr Vater in der Nacht verstorben sei. Das Mädchen weinte nicht. In der Nacht konnte es wieder nicht schlafen & jeder Versuch, sich in die rettende Schlafwelt zu spielen scheiterte. Da setzte sich plötzlich ein kleiner Junge an ihr Bett, lächelte sie an & sagte: "Hey. Wenn irgendwas ist, ich bin für dich da." So erzählte ihm die kleine Halbwaise alles & spielte in dieser Nacht zum ersten Mal die traurige Geschichte des kleinen Jungen. 6 Jahre später saß das kleine Mädchen, das inzwischen zu einem launischen Teenager geworden war, in ihrem Zimmer & hämmerte auf die Tastatur eines Laptops ein. Sie musste an ihren Opa denken, der starb, als sie 8 war. Oder an ihren anderen Großvater, der vergangenes Jahr verstorben war. An ihre Oma, die einen Herzinfarkt erlitten hatte. An ihre Mutter, die jeden Tag arbeiten ging, für nichts, & an ihre andere Oma, die zur Zeit im Krankenhaus lag. & immer wieder an ihren Vater, an den sie sich kaum erinnern konnte. Noch immer spielte sie nachts mit ihrer Fantasie, hatte beschlossen, ihre Geschichten aufzuschreiben. Sie war einsam. In einer Woche würde die Schule wieder losgehen, der Alltag würde zurückkehren, ein weiteres Jahr verstreichen. Ihre Mitschüler werden von ihrem tollen Urlaub erzählen, von den ganzen schönen Dingen, die sie in den Ferien erlebt hatten, während sie vor ihrem Laptop saß und ihre Geschichte schrieb. Plötzlich spürte sie kalte Finger auf ihrem Arm & blickte in die blaugrauen Augen des Jungen, der neben ihr stand. "Dafür hast du etwas, das kein Anderer besitzt", lächelte er. Da lächelte das Mädchen auch & schrieb an den Anfang ihrer Geschichte 'Für Papa'.
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Lost in thoughts
PoesíaManchmal sind Erinnerungen das Einzige, das uns in der Realität gefangen hält.