Teil 12

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Durch seine Zimmertür hörte ich ihn sprechen. Ich klopfte leise an und schlich herein. Das Telefon zwischen Hand und Ohr schickte er mich wieder raus.

„Das ist Tabea, ich komme, wenn ich fertig bin."

Ich ging in mein Zimmer. Es war Samstag und ich hatte noch vier Tage, bis ich einen weiteren Porno abgeben musste. Angesichts der Tatsache, dass ich meinen schlechten innerhalb einer Nacht geschrieben hatte, sollte ich in vier Tagen doch auch einen guten Porno schreiben können, oder? Doch ohne Motivation und Idee fühlte es sich unmöglich an. Ich setzte mir für diese Nacht das Ziel, zumindest die Idee gefunden zu haben. Dann könnte ich am nächsten Tag anfangen zu schreiben.

Eine halbe Stunde später war mein Bildschirm immer noch leer und Martin anscheinend noch nicht fertig mit Telefonieren. Ich schlich die Treppen hoch, nur um gleich wieder herunter zu schleichen. Er telefonierte tatsächlich noch. Ich könnte meinen Porno mit einem Telefonat anfangen. Er verwählt sich und kommt bei „ihr" heraus. Danach „verwählt" er sich öfter.

Zu romantisch. Es sollte etwas ohne Liebe sein. Es sollte mehr um Sex gehen. Sie könnten sich im Fahrstuhl treffen. Sie beide allein, der Aufzug bleibt stecken und nachdem klar ist, dass sie die ganze Nacht über hier bleiben, fallen sie übereinander her.

Zu einfallslos. Fahrstühle, das passiert täglich, es sollte etwas Außergewöhnliches sein. Im Freibad? Im Auto? Im Wald? Umkleidekabine? Flugzeug? Oder gar in der Kirche? Friedhof? Im ersten Moment hörte sich das schon fast makaber an. Doch im Grunde war das doch alles schon mal da. Und zwar nicht nur in Pornos, sondern auch hier in unserer Realität. Das heißt, ich sollte meine Fantasie gewaltig anstrengen, um den Wünschen meines Chefs gerecht zu werden. Ich saß wieder eine Stunde herum und es war schon lange nicht mehr Spätabend, sondern früher Morgen. Wieder schlich ich zu Martin und wieder schlich ich alleine herab. Nun denn, dann würde ich wohl noch weiter überlegen. Was wäre etwas Neues? Oder wenn nicht Neues, dennoch etwas Spannendes? Oder besser noch Erregendes? Seitensprung? Flotter Dreier? Swinger Club? Mutter der Freundin? Schwester der Freundin? Freundin des besten Freundes? Jemand Unbekanntes? Alte Jugendliebe?

Ich musste an Penny denken.

Wie sie ihrem Exfreund etwas heimzahlen wollte und mit mir zusammenkam. Tiefe braune Augen. Wenn man solche Augen sieht, weiß man nicht mehr, was man denken soll. Man stolpert und fällt in diese Augen, bekommt keine ganzen Sätze mehr geformt und muss weggucken, um weiterzureden. Doch eigentlich will man den Blick gar nicht von diesen Augen nehmen. Dazu die langen dunklen Haare, die das Gesicht umrahmen. Und ein Lächeln, das einfach nur unbeschreiblich ist. Und ihr Temperament, genial, wie sie durch das Leben geht und im Bett erst. So eine Frau war Penny. Sie hatte mich an der Angel gehabt. Schneller als ich gucken konnte, verbrachte ich glückliche Wochen mit dieser Frau. Nur mit dieser Frau. Irgendwann fiel mir auf, dass ich weder für Sam noch für andere Menschen oder gar für das Schreiben Zeit fand. Darüber redete ich mit ihr. Doch sie stellte genau diesen Anspruch, dass ich immer für sie da sei. Und ich brachte nicht die Kraft auf, mich dagegen aufzulehnen.

Als Penny eines Abends nicht da war, wollte ich Sam besuchen gehen. Dort fand ich sie. Sie wiederholte das, was sie bei dem Typen vor mir auch gemacht hatte. Sie verletzte mich und verschwand dann. Sam war in dem Moment nur Mittel zum Zweck. Auch wenn er es bestimmt nicht unfreiwillig tat.

Da hatten wir es also, Freundin des besten Freundes.

Es klopfte an der Tür und Martin kam herein. Es war halb Zwei in der Früh.

„War aber ein langes Telefonat."

„Lang und toll."

„Erzähl."

Ich klappte den Bildschirm zu und Martin setzte sich auf mein Bett.

„Ich muss dir dann noch das alles davor erzählen. Gestern Abend war ich ja mit den drei Mädchen unterwegs, obwohl ich nur mit Lena was machen wollte. Heute Morgen hat mir Tabea eine SMS geschrieben, wie es mir geht und dass sie den gestrigen Abend schön fand. Dann haben wir immer hin und her geschrieben und dann telefoniert. Vier Stunden."

„Ich dachte, du magst die andere?"

„Lena. Ja, tu ich ja auch. Das war einer der Gründe für unser langes Gespräch. Ich hab Tabea erzählt, dass ich das Verhalten von Lena nicht so gut finde. Und sie hat mir dann Lenas Verhalten erklärt und mir etwas die Angst genommen. Dann haben wir noch über uns geredet und uns gefreut, dass wir uns kennen gelernt haben. Und wir haben uns versprochen uns auch noch zu kennen, wenn das mit Lena und mir nix wird."

Zwei Monate später war er mit Tabea zusammen. Doch in dieser Nacht unterhielten wir uns noch über Lena, das Mädchen, das er aus der Schule kannte. Sie war in seiner Parallelklasse. Er erzählte mir seine eigene, jeder anderen Jugendliebe ähnelnde Geschichte.

Wenn wir jung sind, gehen wir davon aus, dass unsere Geschichte eine besondere ist, dass nur uns so was passiert. Oder dass nur uns eben nichts passiert. Und vielleicht ist gerade dieser Fakt das Interessante daran. Dass wir etwas außergewöhnlich finden, obwohl es im Grunde alltäglich ist. Vielleicht ist es das, was uns im restlichen Leben fehlt. Die Fähigkeit, Alltägliches außergewöhnlich zu sehen. Und so hörte ich Martin zu. Doch ich hörte weniger darauf, was er sagte, als darauf, wie fasziniert und enthusiastisch er es sagte.

Ich erzählte ihm auch meine Mädchengeschichten und nach Drängen seinerseits erzählte ich ihm auch von Maja. Doch nur grob. Erst in einem späteren Gespräch, in dem wir auch über die Pornos redeten, vertraute ich ihm an, was auf dieser Party passiert war, nach der seine Mutter ihrem Bruder nicht mehr vertraute.


Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem TürrahmenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt