Vorspiel

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„Ich will Sex. Wilden, hemmungslosen Sex. Ein Höhepunkt pro Minute. Mindestens! Schweißtriefenden Sex. Sex auf Motorhauben. Sex unter dem Küchentisch. Sex zwischen Sträuchern."

Ich starrte auf die Rückseite eines pompösen, ledernen Bürostuhls. In den Pausen zwischen den Sätzen stiegen Rauchwölkchen hinter dem Sessel auf. Dann drehte sich der Sessel und ein kleiner Mann erschien zwischen den Armlehnen, in denen er fast versank. Der erste Eindruck erinnerte an Danny DeVito, der zweite Eindruck ernüchterte und zeigte mir einen kleinen, dicklichen Mann mit einer billigen Zigarre in der Hand.

„Verstehen Sie mich?"

Ich nickte, so viel gab es bisher nicht zu verstehen.

„Wir produzieren keine Weltliteratur. Unsere Bücher haben keine Chance auf den Nobelpreis und werden auch nicht in den Bestsellerlisten oder in teuren Bücherregalen stehen. Unsere Bücher liest man nachts, im Stillen. Unter der Bettdecke, im kleinen Kämmerchen oder auf dem Klo. Über unsere Bücher redet keiner, aber alle kennen sie. Unsere Bücher erfüllen die intimsten Träume des Bauarbeiters, aber auch die des Topmanagers oder des Superstars. Je weniger über sie geredet wird, desto besser sind unsere Bücher."

Er nahm einen Zug von der Zigarre und ich erinnere mich daran, dass ich mich fragte, wie oft er diesen Monolog schon vor Menschen wie mir gehalten hatte. Dann zeigte er mit der Glutseite seiner Zigarre auf mich. Während er weiterredete, kam der Rauch aus seinem Mund wie aus dem Maul eines zu klein geratenen Drachen.

„Und Sie sollen diese Bücher schreiben."

Wieder nickte ich.

„Samuel sagte, Sie könnten schreiben und Sie hätten Ideen. Das ist gut. Mehr brauchen Sie nicht. Eigentlich brauchen Sie nicht einmal so viel. Sie müssen nicht schreiben können. Unseren Lesern geht es nicht darum, wie, sondern was Sie schreiben. Ihre Einfälle müssen sie erregen können. Es geht um Ihre Ideen. Und die sollen ausgefallen sein und sich um Sex drehen. Können Sie das bewerkstelligen?"

Ein drittes Nicken, diesmal etwas zögerlicher. Der kleine Mann drückte den Rest seiner Zigarre aus. Er zog ein Blatt aus einer Schublade des Schreibtisches und reichte es mir.

„Hier sind die Formalien, die Sie beim Schreiben beachten müssen. Schaffen Sie bis Dienstag einen 32er?"

Ich sah ihn fragend an.

„Können Sie bis Dienstag nächster Woche 32 DIN-A5-Seiten schreiben?"

„Ich weiß es nicht, ich kann es probieren."

Der kleine Drache lachte mit rauer Stimme.

„Ja, probieren Sie, am Anfang haben alle Probleme."

Er schlug mit den flachen Händen suchend auf das Durcheinander von Papieren auf seinem Schreibtisch, dann zog er eine kleine Holzschatulle hervor. Ich überlegte mir, wie ich am besten ablehnen könnte, ohne unhöflich zu erscheinen, aber er bot mir gar keine Zigarre an. Er nahm sich selbst eine heraus, warf die Metallhülse in den Mülleimer und schnitt die Zigarre mit einem Cutter an. Die ersten Rauchwolken zogen an seinem Gesicht vorbei und plötzlich sah mich der Dicke erstaunt an, als ob es ihn wunderte, dass ich noch da war.

„Sie können gehen."

Ich stand auf und verließ das Büro.


Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem TürrahmenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt