Teil 27

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Linda hatte sich immer aufgeregt, wenn ich nachts aufgestanden war, um etwas, das mir durch den Kopf ging, aufzuschreiben. Es gab eine Zeit, in der ich fast jede Nacht aufgestanden bin und geschrieben habe. Im Gegenzug dazu habe ich den halben Tag verschlafen. In einer Nacht hatten wir uns gerade geliebt, als ich direkt danach aus dem Bett sprang und den PC anmachte. Das war der bekannte Tropfen. Linda flippte aus.

„Warum habe ich mir einen Künstler herausgesucht? Du schreibst und sitzt den ganzen Tag vor dem Scheiß-Computer und starrst auf den Bildschirm und du verdienst nichts. Glaubst du wirklich, dass du irgendwann damit Erfolg haben wirst? Du flüchtest und musst dich nie der Realität stellen. Du Kind!"

Mit wütendem Schweigen warf sie sich einen Mantel über und schlug die Tür hinter sich zu. Und ich nur mit Boxershorts bekleidet hinterher. Es muss so drei Uhr morgens gewesen sein. Wären wir in Stuttgarts Innenstadt gewesen, wäre auf den Straßen noch viel los gewesen. Doch hier am Stadtrand hallten die nackten Füße einsam auf dem Asphalt. An einer Straßenecke erwischte ich sie.

„Linda! Was machst du?"

Linda sah mich böse an, dann schrie sie.

Kein Angstschrei, kein Aufschrei, sondern ein lang anhaltender Schrei. Bis ich ihr den Mund zuhalten konnte, gingen in den Stockwerken verschiedener Häuser an der Ecke die Lichter an. Linda funkelte mich an, doch jetzt war es eher verschmitzt als wütend.

„Ich würde sagen, wir verschwinden."

Wir rannten los. Hand in Hand. Lachend kamen wir bei der Wohnung an, nur um festzustellen, dass weder sie noch ich an den Schlüssel gedacht hatten. Lindas Wohnung befand sich im ersten Stock und auch wenn Fenster offen waren, kam man kaum an sie heran. Wir umrundeten das Haus und fassten den Entschluss, dass ich an der Regenrinne hochklettern musste.

„Du hast uns das hier ja eingebrockt."

Ich wollte den Frieden zwischen uns nicht gleich wieder brechen. Also erklomm ich in Boxershorts die Regenrinne und kletterte durch das offene Fenster in die Küche. Ich öffnete Linda und wir verschwanden deutlich unterkühlt im Bett.

Aufgekratzt durch das nächtliche Rennen, schliefen wir ein weiteres Mal miteinander. Meine Idee, wegen der ich in der Nacht aufgestanden war, hatte ich längst vergessen.

Ich ging die Treppe herunter und klopfte an Tas' Türrahmen.

„Was machst du heute noch?"

„Ich treffe mich später mit ein paar Freundinnen."

„Ich gehe jetzt ein bisschen spazieren, möchtest du mit?"

„Ich kann nicht."

Das Bedauern in ihrer Stimme war echt.

„Ich muss noch arbeiten. Aber treffen wir uns heute Nacht im Wohnzimmer? Um eins?"

„Spätestens."

Sie schickte mir einen Luftkuss, den ich auffing. Wir hatten nun Nachmittag und ich hoffte, noch einmal mit Motivation schreiben zu können. Auf dem kürzesten Weg ging ich in den Schlossgarten.

Früher saß ich gerne hier und ließ mich von den Ereignissen um mich herum begeistern. Und auch heute kann ich im Garten am besten denken. Meine Gedanken kreisten um Tas. Der Moment im Türrahmen. Ich hätte ihr beinahe einfach alles erzählt. Ich denke, wenn sie in diesem Moment mitgekommen wäre, dann hätte ich ihr alles gebeichtet. Ich blieb stehen. Mitten auf einer Kreuzung. Ein älterer Herr mit Hund musste ausweichen. Ich musste umdrehen. In das Haus stürmen und ihr alles erzählen, bevor es noch komplizierter wurde.

„William Wayfarer."

Ich drehte mich um. Vor mir stand Maja. Ich hatte sie bestimmt fünf Jahre nicht gesehen und nun war sie plötzlich da. Obwohl die letzten Ereignisse mit ihr nicht schön waren, konnte ich nicht anders, als mich zu freuen. Ich habe Maja nie lange böse sein kein können, auch wenn ich manche Male allen Grund dazu hatte. Jetzt kam sie auf mich zu, nahm mich in den Arm und meine Nase füllte sich mit dem alten vertrauten Geruch ihrer Haare. Sie ließ mich wieder los und strahlte mich an.

Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem TürrahmenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt