Teil 19

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Bevor ich ins Bett ging, strich ich mit meinen Fingern über die Stelle an der Wange, an der mich ihr Finger berührt hatte. Auf meinem Bett fand ich einen Zettel, den Martin geschrieben hatte.

„Sam hat angerufen, du sollst dich morgen melden."

Ja, das würde ich tun, aber zuvor würde ich von Tas träumen.

Das Klingeln des Telefons riss mich aus dem Schlaf.

„Wayfarer?"

„Hey Will, hier ist Sara."

„Guten Morgen, Schwester."

„Kommst du gerade aus dem Bett?"

„Keine Angst, ich hab den Kindern das Frühstück gemacht. Ich habe mich danach nur noch mal ins Bett gelegt, weil ich so müde war."

„Was hast du denn gestern gemacht?"

Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich mit einer Frau unterwegs gewesen war. Und schon gar nicht, dass diese Frau die Ballettlehrerin von Emma und Violet war. Also gab ich der Wahrheit ein neues Gewand.

„Ich bin in letzter Zeit oft bis Nachts wach und arbeite. Ich habe einen Job bekommen."

„Und was ist das für eine Arbeit?"

„Ich schreibe Groschenromane."

„Oh, eine ehrenvolle Arbeit."

Ich schwieg betroffen. Und Sara merkte es.

„Entschuldigung, ich wollte dich nicht verletzen. Gut, dass du eine Arbeit gefunden hast. Bekommst du trotzdem alles andere geregelt?"

„Ja, bis jetzt klappt alles wunderbar."

„Gut, ich wollte nur hören, wie es den Kindern... wie es euch geht. Ich weiß immer noch nicht, wann ich zurückkomme."

„Ja, uns geht's gut. Hier ist alles super."

Nachdem Sara aufgelegt hatte, rief ich Sam an.

„Wer stört so früh am Morgen und die noch größere Frage ist: Bringt er Kummer und Sorgen?"

„Wo hast du den Spruch denn her?"

„Habich in irgendnem Film gesehen. Hallo Goofy."

„Hey Sam. Wie geht's dir?"

„Lea macht mir etwas Sorgen."

„Warum?"

„Ich hab mit ihr Schluss gemacht, sie ist zusammengebrochen und hat mir gedroht, sich umzubringen. Ich muss aufpassen."

Das waren Worte, die man nicht oft von Sam hörte.

„Aha. Martin hat mir geschrieben, dass ich mich bei dir melden soll."

„Oh ja! Bob Tail hat bei mir ganz aufgeregt angerufen. Er ist begeistert von deiner Geschichte, sie wird schon lektoriert und geht morgen, nein das ist ja schon heute, also heute in den Druck. Du hast wie gehabt bis Dienstag Zeit, Nummer zwei abzuliefern."

Ich war stolz auf mich. Dieser Porno war bisher das längste, was von mir gedruckt worden war. Doch der Zwang, direkt einen neuen schreiben zu müssen, dämpfte die Euphorie. Was sollte ich denn in meinem nächsten Porno verarbeiten?

Emma und Violet spielten draußen, als ich bei Martin klopfte.

„Ich wollte dich noch fragen, wie es gestern war."

„Es war cool. Wir haben Emma und Violet zu Bett gebracht und Tabea hat ihnen noch eine Geschichte vorgelesen. Sie war ganz begeistert von den Kleinen. Dann saßen wir in meinem Zimmer und haben uns über Kinder und Eltern und Familie unterhalten. Sie hat mich gefragt, wie es ist, ohne Vater aufzuwachsen. Und ich konnte ihr nicht richtig antworten. Denn ich wusste ja nicht, wie es ist, mit Vater aufzuwachsen. Sie meinte, sie stelle es sich voll schlimm vor ohne Vater. Und ich antwortete, für mich ist es normal, ich kenne ja nichts anderes."

Bei Sara und mir war es damals etwas anders gewesen. Wir hatten am Anfang noch einen Vater und dann plötzlich mussten wir ohne ihn klarkommen. Ich ließ ihn wieder allein und widmete mich meinem nächsten Porno. Aber nach einer Stunde und einem virtuellen vollen Mülleimer voller schlechten Ideen gesellte ich mich nach draußen zu den Kleinen. Sie hatten mit ihren Spielsachen einen Parcours aufgebaut und fuhren jetzt mit Fahrrädern und Rollern und Dreirädern hindurch. Emma nahm eine Schikane zu schmal, rammte den Baggerarm und stürzte samt Rad ins Gras. Erst lachte ich, dann rannte ich zu ihr.

„Alles okay, Emma?"

Sie japste nach Luft.

„Nur zu stürmisch Fahrrad gefahren."

Ich packte sie und hob sie hoch. Sie zappelte wie ein Fisch und packte mich am Hals.

„Hilfe!"

Lachend kam Violet ihr zu Hilfe und zog an meiner Hose, die ohne Gürtel schnell tiefer hing. Breitbeinig stand ich da, die eine auf dem Arm, die andere an meiner Hüfte sah ich Martin am Fenster stehen und grinsen. Ich lachte zurück und bedeutete ihm, herunterzukommen. Doch er bedeckte sich mit einer Hand die Augen und schüttelte dann den Kopf.

Nach dem Abendessen brachte ich die Kleinen ins Bett. Meine Geschichte, die ich ihnen in dieser Nacht vorlas, handelte von der Entstehung des Schnees.

Sam hatte mehrere Flaschen Sekt kaltgestellt. Und die tranken wir jetzt zu zweit. Ich erzählte ihm von meiner neuen Sorge, dass ich keine Inspiration für eine neue Geschichte hatte. Sam sprang auf.

„Komm, wir gehen."

„Wohin?"

„Inspiration suchen."

„Wo?"

„Irgendwo, im Bett oder im Zwölfzehn oder in der Schräglage. Wir werden schon was finden. Wir feiern deinen ersten gedruckten Porno und schauen, dass wir Material für den nächsten finden."

Eigentlich eine bescheuerte Idee, so im Nachhinein. Als ob es nicht viel einfacher gewesen wäre, gemeinsam meine Vergangenheit nach der nächsten passenden Episode zu durchforsten. Aber Alkohol macht aus vielen bescheuerten Ideen gute.


Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem TürrahmenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt