Kapitel 10: Unbekannt

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"Du machst Witze!", ruft Kimberly und wirft mir von vorne einen halb bewundernden, halb ungläubigen Blick zu.

"Dein Ernst?", hakt Matt stirnrunzelnd nach und ich nicke.

Es ist ein fast gänzlich schöner Montag Morgen. Die Sonne, die warm und freundlich strahlt und der babyblaue, wolkenlose Himmel kündigen einen der schönsten Herbsttage des Jahres an. Wären da nicht die beiden komplett übergeschnappten besten Freunde mit im Auto, die mich bis auf jedes winziges Detail über den beinahe-Kuss mit Nate von vorgestern ausquetschen. Ich sagte ja, ein fast schöner Montag Morgen.

"Ja, das ist mein Ernst und nein, ich mache keine Witze.", gebe ich matt zurück und lasse mich wieder in den Rücksitz fallen.

"Und wie hat er sich danach verhalten?", fragt Kimberly begierig und ich seufze.

"Das ist das merkwürdige daran. Er hat einfach so getan, als wäre rein gar nichts passiert.", antworte ich zögernd und Matt zuckt mit den Schultern.

"Ich schätze mal, er will das Ganze einfach vergessen.", gibt Matt zu bedenken, "Ist jetzt nicht böse gemeint, aber du bist jetzt nicht wirklich sein Typ und außerdem könnt ihr euch eh nicht ausstehen."

Ich nicke stumm.

"Matt hat Recht. Ich bin ohnehin nicht sein Typ.", überlege ich, habe dabei aber dennoch das unvermittelte Gefühl, dass mich Matt's Worte auf irgendeiner Weise verletzten. Wie als würde ich plötzlich vor einer massiven Backsteinmauer stehen.

"Und er hat sonst nichts mehr gestern darüber gesagt?", will Kimmy nach einer kurzen Still immer noch komplett ungläubig wissen und ich schüttle den Kopf.

"Aber du bist doch jetzt nicht enttäuscht, dass ihr euch nicht geküsst habt oder, Jen-Jen?", mischt sich Matt plötzlich wieder ein und ich sehe auf zu der breitschultrigen Gestalt auf dem Sitz vor mir und denke zum ersten Mal seit Samstag Abend wirklich darüber nach, ob ich denn gewollt hätte, dass Nate mich küsst.

"Hätte ich es?", überlege ich, "Vermutlich schon. Aber heißt das, dass ich traurig darüber bin, dass es nicht passiert ist?"

Nein, traurig bin ich nicht. Ich meine, ich darf nicht traurig sein, weil das dann Kimberly's und Matt's Theorie darüber, dass ich tatsächlich in Nate verliebt bin, bestätigen würde und ganz abgesehen von meinen eigenen Gefühlen, will ich den beiden einfach nicht diese Genugtuung schenken, nicht einmal in meinen eigenen Gedanken.

"Nein.", sage ich und spüre einen kleinen Stich in meine Magengrube.

Obwohl ich nicht auch nur den blassesten Schimmer habe, wie oder was ich im Moment fühle, da den Eindruck habe, als hätte man die kleine Box mit den ordentlich gestapelten Gefühlen in meinem Kopf oder wo auch immer genommen und rücksichtslos ausgeleert, sodass jetzt ein heilloses Chaos in mir herrscht, weiß doch ein kleiner, ein winziger Teil in mir, dass ich gerade gelogen habe.

"Sicher?", hakt Matt nach und ich nicke langsam.

Ich schiebe die Gedanken an Nate bei Seite, schließlich habe ich viel wichtigeres zu tun, als mir den Kopf darüber zu zerbrechen, ob ich jetzt traurig darüber bin oder nicht, dass ein arroganter, selbstverliebter Junge mir nicht meinen ersten Kuss geraubt hat.

Beispielsweise mein Referat, das ich in circa zehn Minuten vor der Klasse halten werden. Ein Gefühl von Aufregung, aber auch Vorfreude durchzuckt meinen gesamten Körper und ich bekomme eine leichte Gänsehaut.

Auch das ist eine Eigenschaft, die mich ziemlich sicher von sehr sehr vielen Anderen unterscheidet: Wenn es um Prüfungen, Referate oder dergleichen geht, bin ich fast nie nervös, sondern eher ... glücklich. Ich liebe das Gefühl, wenn ich ganz genau weiß, dass ich mich besser mit einem gewissen Thema auskenne als der Rest der Klasse und mit etwas Glück besser als selbst der Lehrer. Ich liebe es, wenn ich den Fragebogen abgebe und weiß, dass ich auch hier wieder ein A+ gelandet habe. Ich liebe es, wenn ich genau weiß, dass ich perfekt vorbereitet bin und dass mich rein gar nichts aus der Bahn werfen kann. Wäre da nur nicht ... Nate.

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