Kapitel 60: Versteckspiele

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Über die gesamte Autofahrt hinweg bis zu meinem Haus spreche ich kein einziges Wort. Physisch bin ich freilich hier, in Gedanken jedoch weit weit weg. Alles woran ich denken kann, ist Matt. Was würde passieren, wenn er Nate erzählt, was ich ihm und Kimberly im Vertrauen erzählt habe? Oder noch viel schlimmer, was wenn er direkt zur Polizei geht? Vielleicht hatte er es deshalb vorhin so eilig und hat mich auch nicht angesehen, weil er bereits wusste, was er tun würde. Was er mir antun würde.

„Ok, Jennifer.", sagt Nate so plötzlich, dass ich vor Schreck zusammenzucke.

Ich sehe ihn schüchtern an und versuche mir ein sorgenloses Lächeln abzuringen.

„D-Die Fahrt war wirklich-", aber ich komme nicht dazu, zu sagen, was die Fahrt wirklich war, denn Nate schneidet mir mit strengem Ton das Wort ab, sodass er mich stark an den früheren „nicht festen Freund" Nate erinnert.

„Sagst du mir endlich, was los ist?"

Ich schlucke und wende den Blick von seinen magnetisierenden grün leuchtenden Augen ab und sehe stattdessen auf meine Hände, die ich plötzlich fürchterlich spannend finde.

„Du siehst aus, als würde dich etwas belasten.", fügt er in sanfteren Ton hinzu und legt seine Hand vorsichtig auf die meinen.

Ich sehe auf und für eine Sekunde, will ich ihm alles erzählen.

„Ich habe nur nachgedacht.", antworte ich zögerlich.

„Bist du dir sicher?", hakt er skeptisch nach.

Ich bin nicht die einzige Person, die deine ganze Vergangenheit kennt. Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich meinen besten Freunden alles gesagt, was du mir erzählt hast, und dann ist Matt wegen der Tatsache, dass du Tess' Mutter umgebracht hast, komplett ausgerastet. Deswegen gibt es eine nicht einschätzbare Wahrscheinlichkeit, dass Matt dich bei der Polizei verpfeift. Ach, und wenn wir schon bei der Wahrheit sind: Ich habe es geplant, dass du mir endlich die Wahrheit über dich erzählst, indem ich dich durch Liam eifersüchtig gemacht habe, der nebenbei schwul ist und mit meinem Plan einverstanden war. Fiona und George haben übrigens auch eingestimmt, damit du nämlich doch zur Hochzeit kommst.

„Ja.", sage ich schließlich nach einer kurzen Pause.

Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn nicken.

Ich hasse es ihn anzulügen, aber ich kann nicht anders. Er darf es einfach nicht erfahren. Niemals. Er würde mir nie wieder vertrauen können.

Drrrrrr!

Zum zweiten Mal an diesem Tag zucke ich zusammen. Verwirrt blicke ich umher, bis ich schließlich die Ursache des nervtötenden Klingelns ausmache. Mit zitternden Fingern fische ich mein Handy aus meiner Tasche, drücke auf den grünen Knopf und halte es mir gegen das Ohr.

„Hey Kimmy. Was-", beginne ich, aber sie lässt mich nicht zum Ende meines Satzes kommen.

„Wie wäre es heute Abend mit einem Ausquetsch-Date mit deinem neuen Freund?", fragt sie ohne ihre Zeit mit einem einleitenden „Hallo" zu verschwenden.

„Heute?", wiederhole ich und werfe Nate einen kurzen Blick zu.

„Jap.", sagt sie knapp und ich seufze.

„Ich weiß nicht ... Ich meine, wir müssen ja nicht-"

„Doch genau das müssen wir.", sagt sie streng, aber ich rolle nur mit den Augen, was sie anscheinend bemerkt, denn sie fügt schnell an: „Wenn du willst, können wir auch ein Doppeldate daraus machen. Dann ist es nicht so offensichtlich, dass ich ihn nur ausfragen will. Ich könnte ja Matt-", sie bricht mitten im Satz ab und mein Magen fühlt sich plötzlich merkwürdig flau an, als hätte ich beim Treppabgehen eine Stufe verpasst.

„Frag ihn, ob er einen Freund mitbringen kann.", seufzt sie leise, in diesmal freundlicherem und weniger befehlerischem Ton.

„Ist gut.", murmle ich und werfe Nate, der mich gespannt betrachtet, einen kurzen Blick von der Seite aus zu.

„Er sitzt neben mir. Bleib kurz dran.", sage ich zu Kimberly ins Telefon und nehme es dann vom Ohr.

„Es ist Kimberly. Sie möchte wissen, ob wir uns heute Abend mit ihr treffen wollen, damit sie ... dich kennenlernen kann.", sage ich unsicher.

„Es wäre mir eine Freude.", erwidert er lächelnd.

„Gut.", gebe ich einigermaßen gezwungen zurück und schweige dann.

„Noch etwas?", fragt Nate neugierig nach, als ich mir das Handy nicht wieder ans Ohr gedrückt habe.

„Ehm ...", stottere ich unsicher, „Ja ... also ... wie wäre es mit einem Doppel-Date?"

Nate's Miene erhellt sich und er lächelt nun noch breiter.

„Damit ich auch Matt kennenlerne, oder?", fragt er fröhlich und bei der Erwähnung meines besten Freunds rutscht mir das Herz in die Hose.

„Nein.", erwidere ich gequält, „Wir haben irgendwie Streit ...", murmle ich ohne Nate dabei anzusehen, „Aber du könntest ja einen Freund mitbringen ..."

Ich werfe Nate einen raschen Blick zu, um zu sehen, wie er auf meinen Vorschlag reagiert. Er runzelt die Stirn und bevor ich es mir anders überlegen kann, oder überhaupt darüber nachdenken kann, was da gerade aus meinem Mund kommt, sage ich schnell:

„Alex zum Beispiel."

Sobald die Worte meinen Mund verlassen haben, bereue ich es augenblicklich.

Alex? Warum Alex? Unser Streit ist zwar lange her, genau genommen ein Monat, was mir jetzt, wenn ich so darüber nachdenke, wie eine Ewigkeit vorkommt und nicht nur wie ein Monat, aber dennoch haben Alex und ich seit dem nicht mehr geredet.

„Alex?", wiederholt Nate verblüfft und ich wende den Kopf, um ihn anzusehen, „Alex, als mein bester Freund, Alex?"

„Ja.", antworte ich etwas erschöpft, „Er ist dein bester Freund und außerdem ist unser Streit ewig her, es wird Zeit, dass ich mich mit ihm wieder versöhne. Alles im alles ist er schließlich kein schlechter Mensch."

„Besonders nach seiner Vergangenheit ...", denke ich, verkneife es mir jedoch, da Kimberly immer noch am Telefon ist und vermutlich alles mitbekommt, was wir reden.

„Du hast Recht.", murmelt Nate nachdenklich, „Wie wäre es, wenn ich ihn frage, ob er nicht eine halbe Stunde oder zwanzig Minuten früher zu dir kommt, damit ihr in Ruhe reden könnt?"

„Klingt ... toll.", sage ich zögernd und versuche zu lächeln.

Ich halte mir wieder das Handy gegen das Ohr.

„Er hat ja gesagt.", erzähle ich und höre einen kleinen Freudenschrei am anderen Ende.

„Perfekt!", jauchzt sie und auch ich kann nicht anders, als zu grinsen, „Schreib mir dann wo und wann, ja? Bis später!", trällert sie vergnügt und hat im nächsten Moment aufgelegt.

Ich seufze und sehe dann zu Nate.

„Sicher, dass du ... ich meine ... es ist ja schon heute ...", stottere ich, aber Nate schenkt mir ein beruhigendes Lächeln.

„Ich bin sicher, dass es spektakulär wird."

Ich lächle - diesmal jedoch ein mitleidiges Lächeln.

Nate hat nicht auch nur den kleinsten Schimmer davon, was ihn heute Abend erwarten wird. Aber vielleicht ist es auch besser so, es einfach gleich hinter sich zu bringen. Denn eins ist klar: Es wird das unangenehmste und merkwürdigste Date in der Geschichte von unangenehmen und merkwürdigen Dates sein.

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Ich hoffe, dass es euch gefallen hat! ♥︎

Bis bald, x Eliana

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