Zwanzig Minuten später habe ich Vanessa immer noch nicht gefunden. Mittlerweile sitze ich an der Bar und hoffe auf ein Wunder. Pat hat mir freundlicherweise eine Cola light hingestellt, ist aber zu beschäftigt, um sich länger mit mir zu unterhalten. Aus Langeweile habe ich mir meine Haare zu einem Zopf geflochten und wieder geöffnet, die Leute gezählt, die schon sturzbetrunken sind und meine Coladose einmal komplett durchgelesen. Alle Inhaltsstoffe auf italienisch.
„Wie kann man den ein so hübsches Mädchen hier allein sitzen lassen?" fragt mich jemand von hinten. Ich drehe mich um und sehe einen Typen ohne T-shirt vor mir. Meine erste grobe Altersschätzung schätzt ihn auf 27. Er grinst mich an und lehnt sich neben mir an den Tresen. Plötzlich fühle ich mich verdammt unwohl. Ich überlege mir gerade eine Ausrede, um von ihm wegzukommen, da taucht Vanessa aus der Menge auf. „Hey Charly! Wo warst du denn die ganze Zeit? Oh, hey Chris!" Vanessa schien schon eindeutig etwas getrunken zu haben. Sie stellt sich zwischen mich und Chris und strahlt uns an. „Hi Vanessa. Wollen wir nicht langsam gehen?" frage ich sie vorsichtig. Sie schüttelt den Kopf und nimmt meine Coladose. Bevor ich protestieren kann, hat sie auch schon davon getrunken. Der Typ, der anscheinend Chris heißt, dreht sich um und bestellt sich etwas. „Wo warst du die ganze Zeit?" zische ich Vanessa zu. Sie sieht mich ziemlich irritiert an und sagt dann: „Bei so Leuten. Einer hieß Chris" sie deutet auf den Kerl neben sich, „und eine hieß Magda. Die anderen hab ich vergessen." Ich verdrehe die Augen und frage sie weiter: „Und wo sind die jetzt?" Sie schaut sich suchend um und sagt dann: „Draußen am Strand. Wir kommen aber immer wieder rein, wenn wir den Stempel hier haben." Sie zeigt mir ihr Handgelenk. Ich nicke. Den habe ich mir vorhin auch geholt. Chris dreht sich zu und um und drückt uns je ein Glas in die Hand. „Geht auf mich. Kommt ihr mit zu den anderen?" sagt er. Vanessa prostet ihm dankend zu und nippt an dem Glas. Chris nimmt sein Getränk und läuft los, durch die Massen. Vanessa folgt ihm. Und ich? Was blieb mir schon übrig? Notgedrungen und leicht verärgert folge ich meiner Freundin.
Chris führt uns zu einem Seitenausgang. Gentleman-like hält er uns die Tür auf. Wir laufen schweigend durch den Sand zu dem nahen Wellenbrecher. Vor sah ich schon von weiten ein paar Jugendliche, die mit ihren Handys dort saßen. Chris half Vanessa auf die Steine. Das Mädel war schon so fertig, dass sie kaum noch gerade laufen konnte. Ich kletter hinter den beiden auf die Steine und nippe nun auch einmal an meinem Getränk. Und spuckte es sofort wieder aus. Das war höchstwahrscheinlich ein Gin-Tonic.
Versteht mich nicht falsch, es ist nicht so, dass ich noch nie in meinem Leben Alkohol getrunken habe, aber seit dem vermaledeiten Tag mit 12 Jahren, an dem ich so viel Alkohol in mich gekippt habe, wie ich konnte, lass ich das lieber. An dem Tag vor über sechs Jahren bin ich im Krankenhaus gelandet. Und da will ich nie wieder hin.
Um nicht unhöflich zu wirken, schütte ich einen Schluck auf die Steine. So sieht es wenigstens so aus, als würde ich etwas trinken. Vanessa saß neben diesem Chris und schien sich sichtlich zu amüsieren. Ihr fast leerer Becher deutete auf die unterstützende Wirkung des Alkohols. Vorsichtig taste ich mich zu ihr und setzte mich neben sie. „Hallo Mädchen mit blauen Haaren und schwarzen T-shirt." begrüßt mich ein Junge. Ich winke ihm und schaue einmal durch die Runde. Mehrere Jungen und ein paar Mädchen befanden sich hier, insgesamt aber nicht mehr als zehn Personen. Die meisten waren so um die zwanzig Jahre als, Vanessa und ich schienen die jüngsten zu sein. Ein Mädchen mit langen, blondierten Haaren spielt Musik von ihrem Handy ab. Die Stimmung ist sehr locker, alle unterhalten sich und trinken hin und wieder von ihren Bechern. Ein paar Flaschen liegen ebenfalls rum, aus denen sich die Jungs immer mal wieder etwas in ihre Becher kippen.
Vanessa hat nun ihren Drink ebenfalls ausgetrunken und lehnt sich zu mir herüber: „Willst du gar nichts trinken?" Überrascht sehe ich auf meinen Becher. Den „Schluck", den ich bis jetzt genommen habe, sieht man kaum. „Ich habe doch schon ein bisschen getrunken." sage ich zu ihr und deute auf meinen Becher. Vanessa verdreht die Augen. „Ich habe doch gesehen, wie du ein bisschen weggekippt hast, als wir auf dem Wellenbrecher geklettert sind. Willst du ihn nicht trinken?" Ich schüttel den Kopf. Nein, ich werde mich heute nicht betrinken. Vanessa tauscht ihren Becher mit meinen aus und nimmt einen Schluck von ursprünglich meinem Drink. Chris hat die ganze Situation beobachtet und fragt nun: „Trinkst du gar nichts?" Ich verneine und sehe weg. Ein paar andere Jugendliche sehen mich neugierig an. Genervt verdrehe ich die Augen und schüttel dann den Kopf. Die Wasserstoffblondine kichert. Jap, jetzt hab ich mir meine Meinung zu dem Haufen hier gebildet. „Bist du so jemand, der nichts verträgt?" fragt mich jemand. Tja, was soll ich jetzt sagen? Ihnen meine Alkoholgeschichte erzählen? Nein, auf gar keinen Fall. Unruhig rutsche ich auf meinem Platz hin und her.
Eigentlich würde ich jetzt gerne gehen, aber Vanessa sah nicht so aus, als würde sie mitkommen. Ihr schien das hier Spaß zu machen. Zumindest lag sie mit ihrem Kopf in Chris' Schoß und schien sich nicht unwohl zu fühlen. Aber sie zurücklassen konnte ich ja auch schlecht. In dem Zustand? „Also, warum trinkst du nichts? In dem Alter? Wie alt bist du? 18, 19?" fragt mich dieser Typ wieder. „18" antworte ich ihm. Mehr möchte ich nun wirklich nicht sagen. Ich stubse Vanessa mit dem Fuß an und sehe sie auffordernd an. Diese verdreht aber nur die Augen und reagiert nicht. Na super. Vanessa will also hier bleiben. „Kommt jemand mit zurück in den Klub? Ich will mir noch was holen." fragt ein Mädchen von weiter weg. Ich hebe meine Hand. Sie nickt mir aufmunternd zu und erhebt sich. Ich tue es ihr nach. Zusammen klettern wir von den Steinen herunter. Als wir außer Hörweite der Gruppe waren, sagt sie zu mir: „Ich hoffe, ich hab die damit einen Gefallen getan." Dankbar nicke ich. Ein Stück laufen wir schweigend nebeneinander her, bis wir am Eingang der Bar ankamen. Beide zeigen wir unsere Handgelenke und dürfen dann eintreten. „Ich hol mir nur schnell was und geh dann zurück. Kommst du mit?" fragt sie mich. Unsicher sehe ich sie an. Eigentlich wollte ich nur noch zu meiner Gitarre in meinem Hotelzimmer. Andererseits konnte ich Vanessa wohl kaum allein lassen. Ich bezweifel stark, dass sie allein zurück zum Hotel findet. Das Mädchen schien das zu sehen und sagt dann: „Ich bring deine Freundin nach Hause. Ihr wohnt, so weit ich weiß, im Hotel neben meinem. Wenn du mir deine Handynummer gibst, schreib ich dir, wenn wir da sind und du nimmt sie dann in Empfang." Das klang nach einem vernünftigen Vorschlag. Schnell bahnten wir uns einen Weg durch die Menge zur Bar. In groben Umrissen erkläre ich Pat die Situation. Er versprach mir, nach ihr die Augen offen zu halten und mich im Notfall anzurufen. Das beruhigte mich ein wenig. Von Pat lieh ich mir einen Kulli, mit dem ich dem Mädchen meine Handynummer auf die Hand schrieb. Sie nickte mir zu und verschwand mit einer Dose Fanta aus meinem Blickfeld. Ein wenig beunruhigt verlasse ich die Bar ebenfalls, nachdem ich mich von Pat verabschiedet habe. Langsam und gedankenverloren laufe ich zurück zum Hotel. Dort gehe ich zielstrebig auf mein Zimmer und schalte mein Handy auf laut. Nicht, dass ich es dann nicht höre, wenn Vanessa kommt.
Ein wenig nervös lege ich mich auf mein Bett und spiele ein wenig Gitarre. So verging eine ganze Weile, bis mein Handy klingelt.

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Rebell
Teen FictionMia Charlotte Becker: blaue Haare, schwarze Klamotten und laute Musik. Ihre Eltern haben mit ihrer Tochter abgeschlossen, sie konzentrieren sich mehr auf die anderen Kinder. Der diesjährige Urlaub soll Mias Leben ändern. Sie will ihren Platz im Leb...