5| Was man so alles an einem Abend erfahren kann

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Pat steuerte direkt auf den nächsten Strandzugang zu und ich folge ihm. Ich meine klar, Strände sind immer schön (außer vielleicht an der Ostsee, dort ist es viel zu kalt für Strandfeeling) aber Jesolo hat einen besonderen Reiz. Zumindest für mich.
Als wir den betonierten Bereich verließen, zog ich meine Schuhe aus und folgte Pat barfuß weiter. Der angenehm kühle Sand berührte meine Füße und ich musste unbewusst aufseufzen. Überrascht zog Pat eine Augenbraue hoch.

„Zum ersten Mal am Strand?" fragte er mich. Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und schüttel sie ein wenig auf. „Nee, das erste Mal dieses Jahr hier am Strand. Man, hab ich das vermisst." seufzend setzte ich mich hin. Pat sieht mich ein wenig skeptisch an, lässt sich aber dann ebenfalls unweit von mir in den Sand nieder.

Langsam lasse ich die beige Menge durch meine Finger laufen. Man, ich hatte das so vermisst.

„Wo kommst du her?" fragte mich plötzlich Pat. Kurz überlegte ich. Ob er das kleine, Verzeihung, Kaff im Osten kennt? Ich entscheide mich auf Nummer sicher zu gehen und sage: „Dresden. Du?"

Pat denkt ebenfalls einen Moment nach, bevor er antwortet: „Passau. Ähm, das ist zwar megapeinlich, aber wo genau liegt Dresden? Ist das eine Stadt im Ruhrgebiet? Sorry, ich bin in Geographie echt eine Null." Verlegen sieht er mich an. Ich stutze. Da macht man es ihm schon einfach und sagt die Landeshauptstadt des Bundeslandes, und er weiß immer noch nicht, wo es liegt. Frustriert fahre ich mir durch die Haare. Wieso wohne ich nicht in einer schönen deutschen Stadt? Wieso Sachsen?

„Dresden liegt in Sachsen. Und Sachsen ist ein deutsches Bundesland." antworte ich ihm. Er sieht mich entschuldigend an. Für eine Weile ist es wieder still, ich spiele sogar kurz mit dem Gedanken, einfach zurück ins Hotel zu gehen. Doch dann würde ich Pat wahrscheinlich nie wieder sehen. Und er war einfach zu interessant, um einfach zu verschwinden. Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und werfe einen Blick auf die Uhr. Um zehn. Also noch kein Grund, zu gehen.
„Wie lange bleibst du noch?" fragte mich Pat. „Drei Wochen." antworte ich ihm. Nun holt auch er sein Handy heraus und entsperrt den Bildschirm. Dann drückte er mir sein Smartphone in die Hand. Verwirrt sehe ich erst auf das Display und dann zu ihm. „Deine Nummer. Tipp sie mal ein." sagt er.

Zuerst wollte ich ihm das Handy zurückgeben. Ganz ehrlich? Ich kannte den Typ nicht mal zwei Stunden und er wollte schon meine Nummer? Es gibt vielleicht Menschen, die für meine Begriffe schnell ihre Handynummer verschenken, doch zu diesen gehöre ich nicht.

Doch andererseits war mir Pat sympathisch. Und er würde mir vielleicht ein guter Freund werden. Das wollte ich wiederum nicht aufs Spiel setzten. Deshalb tippte ich ihm die 12 Zahlen ein und reichte ihm sein iPhone zurück. Er fügte noch meinen Namen hinzu und steckte es dann wieder ein.

Ärzte also. Warum eigentlich?" fragt Pat mich. Ich sehe an mir herunter und mir fällt das T-shirt wieder ein. „Keine Ahnung." antworte ich ihm wahrheitsgemäß. „Eigentlich habe ich mir vor zwei Jahren nur eine CD von denen gekauft, um meine Eltern zu ärgern. Aber mir hat die Musik so gut gefallen, dass ich dann noch eine und noch eine und noch eine... gekauft habe. Tja, und jetzt..." schloss ich. Pat sah mich erstaunt an, dann hob er sein T-shirt ein wenig und legt eine Tätowierung frei. An seiner linken Seite standen ein paar Wörter. Da es dunkel war, musste ich erst auf meinem Handy die Taschenlampe anschalten, um überhaupt lesen zu können.
Symbol der Nichtidentifikation ~ Rebell stand da. Ich schmunzelte. Pat ließ sein T-shirt wieder sinken und sieht mich an. „Cool" sage ich und schalte mein Handy wieder aus. Ein Grund mehr, Pat zu mögen.

Leider konnte ich nicht mit einem solchen Tattoo mithalten. Auch wenn ich mir nach dem Urlaub auf jeden Fall eins stechen lasse. Pat sieht mich eine Weile an, bevor er mich wieder etwas fragt: „Und warum blaue Haare?"

Hier musste ich eine Weile überlegen. Meine Haarfarbe hatte sich nun schon ein paar geändert. Sie werde ich das Gesicht meiner Mutter vergessen, als ich zum ersten Mal mit bunten Haaren vor ihr stand. Ich dachte einen Moment wirklich, sie würde mich erwürgen. Damals habe ich sie knallrot gefärbt.

„Ich weiß nicht. Das habe ich spontan entschieden. Wahrscheinlich gefiel mir die Frau auf der Verpackung. Und jetzt finde ich sie richtig gut. Blau ist so anders und doch so geheimnisvoll. Das gefällt mir." antworte ich ihm. Pat schmunzelt und nimmt eine handvoll Sand. Den lässt er dann ganz langsam durch seine Finger rieseln.

Wieder saßen wir eine ganze Weile nur da und sahen uns die Leute an, welche hier am Strand spazieren. Ein paar sehen mich wegen meiner Haare geschockt an und ein paar Kinder fragen ihre Eltern, ob sie auch blaue Haare haben können. Ich schmunzel. Das passiert mir andauernd. Mit der Haarfarbe ist das auch nicht verwunderlich.

„Wie lange bist du eigentlich noch da?" frage ich Pat. Der sieht mich an und antwortet mir: „Drei Tage" Drei Tage. So ein Mist. Warum reisen sympathische Menschen im Urlaub immer gleich nach ein paar Tagen wieder ab? Und warum lebt man mit unsympathischen die ganze Zeit zusammen?

„Schade" sage ich und seufze. Pat nickt und schaut auf sein Handy. „Ich muss zurück ins Hotel. Meine Geschwister brauchen Betreuung und meine Eltern wollen heute Abend ihre Ruhe haben." sagt er und steht auf. Ich tue es ihm nach. Schweigend laufen wir zum Strandausgang, und zurück auf die Fußgängerzone. Dort bleibt Pat stehen und dreht sich zu mir um. „Tja, dann. Ich schreib dir heute noch." Mit diesen Worten dreht er sich um und läuft in eine Richtung davon. Verdattert blieb ich stehen. Was war den das gerade?

Ich glaube nicht wirklich, dass er wegen irgendwelchen Geschwistern zurück ins Hotel musste. Da war etwas anderes. Ziemlich sicher.

Ganz in Gedanken versunken lief die Straße hinab, zu meinem Hotel. Der Portier begrüßte mich freundlich und hielt mir die Tür auf. Geistig anwesend laufe ich zum Fahrstuhl und drücke den Knopf.

„Mia Charlotte Becker! Wo kommst du jetzt noch her?" Die nervige und schneidende Stimme meiner Mutter schalt durch die Eingangshalle. Schon wieder unendlich genervt drehe ich mich um. „Ich hab nen Typen kennengelernt, wir haben Eis gegessen. Danach haben wir es am Strand miteinander heftig getrieben. Ungeschützt, versteht sich. Danach haben wir uns einen Joint angesteckt und ich hab ihm von meinem Leben erzählt. Morgen wollen wir das ganze genauso noch einmal machen. Wir hatten schließlich beide eine Menge Spaß." erzähle ich gelangweilt meiner Mutter, während ich auf den Fahrstuhl warte.

Meine Mutter quitscht nur erschrocken auf. „Hoffentlich hast du nicht unsere Namen mit genannt. Nicht, dass irgendetwas davon im Internet landet." Habe ich schon erwähnt, dass ich meine Mutter hasse? Sie glaubt das auch noch! Ernsthaft, nach dieser Geschichte ist ihre größte Sorge, dass etwas über die ach so tolle Familie Becker im Netz steht?

„Tja, kann schon sein, dass was drin steht. Ich weiß nicht, was der Typ zu dem Nacktfoto von mir beim Sex geschrieben hat. Wir werden es sehen." mit diesen Worten steige ich in den Fahrstuhl und schließe die Türen. Willkommen in meiner Welt.

RebellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt