»Chapter Eleven

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Auch Tage später konnte ich immer noch nicht glauben, dass Steve mich tatsächlich in der Wohnung gelassen hatte und ich nicht wieder in seinen Fängen war. Oft hatte ich mir vorgestellt, was passieren würde, wenn Steve wüsste wo ich war, wenn er kommen würde und ich wieder zurück in dieses schreckliche Haus nach England müsste. Und jetzt, wo es fast passiert wäre, wusste ich nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. Zu viele Fragen schwirrten in meinem Kopf herum, raubten mir nachts den Schlaf und ließen mich in der Schule unaufmerksam sein.

Der vierte Tag begann und ich zerbrach mir immer noch den Kopf über das Erscheinen meines Stiefvaters. Alle um mich herum bemerkten das. Mit Jamie aß ich morgens schweigend mein Frühstück und auch die kurze Autofahrt bis zur Schule verlief ruhig. Jerome kam mittags für eine oder zwei Stunden vorbei, verbrachte Zeit mit mir in dem er Geschichten aus seinem Leben erzählte, wir zusammen Fernseh schauten oder er mir zeigte, wie man ein Handy richtig benutzte. In der Schule ging ich Aiden und Tommy so gut wie möglich aus dem Weg. Sie hatten zwar niemandem von meinem verunstalteten Körper erzählt, aber ich bemerkte die Blicke, die sie mir zuwarfen oder Violetts prüfende Augen, als wir uns im Flur begegneten. Nach Aidens Auftauchen in meiner Wohnung hatte ich ihn mit einer lahmen Ausrede abgeschüttelt, doch ich hatte nicht vor ihm die Wahrheit zu sagen. Ich konnte und wollte ihm nicht erzählen, dass der Mann, der mich so zugerichtet hatte, in meiner Wohnung erschienen war. Auch mit Mr Lee war ich nicht mehr in Kontakt getreten und die Öffentlichkeit mied ich sowieso so gut es ging.

Es war Freitag, als ich irgendwie das Gefühl hatte, dass heute etwas passieren würde. Schon beim Aufstehen machte sich ein mulmiges Gefühl in mir breit, doch ich ignorierte es. Ich zog mich an, wusch mir das Gesicht und gesellte mich dann zu Jamie an den Tisch.

Jamie blickte von seinem Teller auf. "Wir müssen uns unterhalten, Leah."

Innerlich zuckte ich zusammen. "Ich wüsste nicht wieso. Ist etwas passiert?"

Jamie spannte sich an. "Irgendetwas ist passiert, nachdem du diesen Typ weggeschickt hast. Du verhälst dich komisch, redest kaum noch und ziehst dich immer mehr zurück. Was ist passiert?"

Nachdem ich Aiden am Montag abgewimmelt hatte, war Jamie gerade nach Hause gekommen. Ich wusste, dass er mich schon an diesem Tag fragen wollte, was passiert war, doch er hielt sich zurück. Offensichtlich konnte er sich heute nicht mehr zurückhalten.

"Rede mit mir." Jamies Stimme war zwar fordernd, doch es wirkte nicht, als wolle er mich drängen.

Ich zögerte. Wie würde es sein, Jamie die ganze Wahrheit zu erzählen? Ihm sagen, was ich hatte durchmachen müssen, schildern, welche Schmerzen ich empfunden hatte und ihm dann zu gestehen, dass ich fest davon überzeugt war, diesen Mann in seiner Wohnung gesehen zu haben? Ich hatte Angst, dass es das Verhältnis zwischen uns verändern würde. Ich mochte Jamie, er war der Bruder für mich, den ich nie hatte.

"Leah." Sanft legte mir Jamie eine Hand auf den Arm. "Du musst es mir nicht sagen, aber ich will, dass du weißt, dass ich immer für dich da bin. Du kannst mit mir reden, wenn dich etwas bedrückt. Okay?"

Langsam nickte ich. "Danke, Jamie." Ich war noch nicht so weit, ihm die Wahrheit zu sagen, aber vielleicht würde ich es eines Tages sein.

Nachdem mich Jamie wieder zur Schule gefahren hatte, machte sich wieder das komische Gefühl in mir breit, dass heute etwas anders war. Mit langsamen Schritten betrat ich das Schulgebäude, erwartete... Ja, was erwartete ich eigentlich? Das wusste ich nicht so genau, aber es war alles immer noch genau so wie davor. Die Gänge waren voll, die Leute redeten laut, niemand scherte sich um mich.

Ich hatte jetzt Geschichte und machte mich so auf den Weg zu dem kleinen Klassenzimmer. Es gab zwei Möglichkeiten, in dieses Klassenzimmer zu gelangen - einmal den Umweg über zwei weitere Gänge und einmal durch den Gang des Rektors. Die meisten entschieden sich für den Umweg, nur, damit sie nicht am Büro des Schulleiters vorbei mussten. Ich hielt das für Quatsch und so befand ich mich kurz darauf in besagtem, fast leeren Flur. Es liefen nur noch ein paar andere Schüler hier durch.

Die Tür zum Büro von Mr. Lee stand offen. Ich wollte nicht hinein schauen, immerhin ging es mich nichts an, doch meine Augen taten es wie von selbst.

Als ich realisierte, welches Bild mein Gehirn da gerade verarbeitete, erstarrte ich. Mr. Lee war nicht allein in seinem Büro. Neben ihm stand ein Mann, größer und breiter, auf den der Schulleiter intensiv einredete.

Ich trat näher, obwohl ich am liebsten weggerannt wäre und mich irgendwo verkrochen hätte, doch ich wusste, dass das nicht ging. Ich musste wissen, warum Steve und Mr. Lee sich kannten und dieser Mann nun bei dem Direktor meiner neuen Schule im Büro stand.

"Steve, verdammt, ich habe dir doch gesagt, dass du sie nicht aufsuchen sollst!" Mr. Lees Blick verdunkelte sich und ich fragte mich, wie ich mich nur so sehr in ihm hatte täuschen können.

"Es wäre alles glatt verlaufen, Adam, wärst du nicht aufgetaucht! Ich hätte Leah mitgenommen und fertig!" Mein Stiefvater fuhr sich frustriert durch die Haare.

"Gar nichts wäre glatt gelaufen! Du kannst froh sein, dass ich aufgetaucht bin und dich mitgenommen habe, sonst hätte dich der kleine Warren gefunden und dann wärst du am Arsch gewesen." Mr. Lee streckte drohend den Zeigefinger in Steves Richtung. "Pass verdammte Scheiße nochmal auf, dass dich niemand dabei erwischt wie du sie schlägst oder so was in der Art. Was machst du überhaupt schon so früh hier? Du solltest doch erst nächste Woche herkommen."

Steves Blick verdunkelte sich - so hatte er immer geschaut, bevor er mich geschlagen hatte. "Leah ist mein Eigentum und es geht mir wirklich gegen den Strich, dass sie hier ist, bei all den anderen Menschen. Sie gehört verdammt nochmal nach England in mein Haus und in meinen Keller. Das kleine Miststück hat es nicht verdient eine Schule zu besuchen oder andere Leute kennenzulernen - sie hat gar nichts verdient!"

Ich schluckte. Einerseits machte es mich rasend vor Wut, dass Mr. Lee mich gelinkt hatte und ich auf ihn reingefallen war, doch da war auch der Schmerz und die bittere Enttäuschung in mir und wieder einmal wurde mir klar vor Augen geführt, was für Schweine die Menschen eigentlich waren und dass man ihnen nicht vetrauen durfte.

Bevor ich jedoch Mr. Lees Antwort hören konnte, tippte mir jemand auf die Schulter und ich vernahm ein leises "Leah?" hinter mir.

Erschrocken fuhr ich herum. Violett stand vor mir, die Hände in die Hüften gestemmt und sah mich düster an. "Wir müssen reden, Smith."

Ich warf einen letzten Blick über meine Schulter in Mr. Lees Büro (die beiden Männer führten immer noch eine heikle Diskussion), dann wandte ich mich ab und setzte meinen Weg fort. "Ich wüsste nicht wieso", antwortete ich Violett, die mir folgte.

"Sicher? Denn ich glaube schon, dass du das ganz genau weißt. Zum Beispiel interessiert es mich-"

"Leah!" Violett wurde durch Aidens Stimme unterbrochen und kurz darauf bog der dunkelhaarige Junge um die Ecke und stellte sich vor mich. "Violett, kannst du uns bitte mal kurz alleine lassen? Ihr könnt euer Gespräch später weiter führen." Aiden warf Violett einen bittenden Blick zu, woraufhin das Mädchen frustriert ausatmete und Aiden und mich dann alleine ließ.

"Was willst du, Aiden? Falls es um meine Arme oder die Sache in der Wohnung geht - ich werde nicht darüber reden." Jedenfalls jetzt nicht mehr. Heute Morgen, beim Betreten der Schule hatte ich den Gedanken, Aiden, Tommy und Violett alles zu erzählen, sogar in Erwähnung gezogen, doch jetzt, wo ich Mr. Lee und Steve zusammen gesehen hatte, verwarf ich den Gedanken sofort.

Aiden schüttelte den Kopf. "Darum geht es nicht, Leah. Es geht um Mr. Lee und den Mann, der bei ihm im Büro war."

~~~

Waaas glaubt ihr hat Aiden mit Steve und Mr. Lee zu tun? :D Ist der kleine Warren vielleicht auch böööse? :o

Ich hoffe es hat euch gefallen und sorry, dass ich mal wieder so lange gebraucht habe .-.

Isch liebe eusch♡

A x.

MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt