Kapitel 15

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Müde öffnete Rosaleen die Augen und gähnte hinter vorgehaltener Hand. Ihr Blick viel auf Joyces Gesicht. Wie süß sie war! Sie ähnelte...Nein, Rosaleen. Hör auf damit! Du musst ihn hinter dir lassen!
Bevor sie wieder in schönen Erinnerungen - die sicher traurig enden würden - versank, kroch sie aus dem Bett und machte sich fertig für den kommenden Tag. Beim Anziehen des Kleides bekam sie das kalte Medaillon samt dem Ring zu fassen. Fest umschloss sie die beiden Gegenstände, die an einer Kette hingen, mit einer Hand. Dies waren die einzigen Dinge die sie noch an die Vergangenheit erinnerten. Nun stand sie mitten in dem Zimmer und ihre Gedanken wanderten in die Ferne.
Schon wieder schalt sie sich. Rosaleen! Du hörst jetzt sofort damit auf! Du musst dich beherrschen. Joyce braucht ein sicheres Umfeld. Nicht eine Mama die andauernd nur in der Vergangenheit lebt.
Mit einem Ruck ließ Rosaleen die Kette unter ihrem Kleid verschwinden.
Joyce bewegte sich in dem breiten Bett und öffnete schließlich ihre Augen. Ein süßes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht und sie streckte die Hände nach Rosaleen aus. Rosaleen hob Joyce auf ihren Arm und sagte: „Joyce, wir beide werden in die Zukunft sehen. Nach vorne, nicht in der Vergangenheit schwelgen." Eine kleine Träne löste sich aus ihrem Auge und rann ihre Wange herunter. Ihre Stimme wurde nur noch zu einem Flüstern als sie sagte, „Wir müssen stark sein. Ein neues Leben anfangen und...Joseph als ein Geschenk und nicht als unseren verstorbenen Papa undEhemann ansehen." Einen kurzen Moment schwieg sie, bis sie noch hinzufügte:
„Die schönen Erinnerungen sind in meinem Herzen. Und die kann auch Jacob mir nicht nehmen."

                   ***

Rosaleen pustete sich eine gelockerte Haarsträhne aus ihrem Gesicht und bewegte ihre Hände weiter auf dem Waschbrett. Neben ihr stand Abigail und hing die Wäsche auf die Wäscheleine hinter dem Haus. Es war schon kurz nach Mittag und sie standen jetzt schon einige Stunden hier, um die Wäsche zu reinigen. Darunter waren auch einige von Rosaleens und Joyces Kleidern, die auf der Reise einiges durchgemacht hatten. Bei dem Anblick dieser Kleider musste Rosaleen sich wieder an den Vorfall erinnern. Dieser Tag, dieser Moment hatte ihr ganzes Leben verändert.
Ihre Hände bewegten sich ein wenig schneller auf dem geriffelten Brett und sie zwang sich wieder in ihr altes Tempo zu verfallen, da Abigail sie schon ein wenig besorgt ansah.
Sie erinnerte sich noch genau daran, wie Tillie ihr zum Schluss noch die frisch gewaschenen Kleidungsstücke in die Hand gedrückt hatte.
Wütend über sich selbst seufzte Rosaleen. Wieso bekam sie es einfach nicht hin, das Geschehene zu vergessen? War es denn so schwer?
Mit einem kurzen Blick auf Joyce versicherte sie sich, dass ihre Tochter noch immer neben ihr auf dem warmen Erdboden saß und beschäftigt war. In ihren kleinen Händchen hielt sie eine Stoffpuppe, die Abigail noch irgendwo hatte auftreiben können.
Um sich abzulenken wandte Rosaleen sich Abigail zu.
„Abigail, sie führen hier ja sozusagen ihre eigene kleine Pension. Und...nehmen Sie dafür auch etwas?...ich mein, sie ersetzten ja das Hotel und-" „Ach, einige Familien zahlen auch, wenn sie hier ankommen und genug Geld dafür haben. Doch es reicht mir auch, wenn mir im Haushalt geholfen wird. Sehen sie, wir sind mit der Wäsche schon bald fertig. Nur noch bügeln und wir haben es geschafft. Bei diesem Wetter werden die vielen Stoffe sicher schnell trocknen.
Alleine wäre ich jetzt noch nicht mal bei der Hälfte." Bedeutungsvoll sah sie Rosaleen an und trat, nachdem sie mit ihr die Sachen wieder an Ort und Stelle gebracht hatten, durch die Hintertür wieder ins Haus.
Mit Joyce an der Seite folgte Rosaleen ihr und trocknete sich im gehen die Hände an ihrer Schürze ab.

                             ***

Die Hände, mit denen von Abigail und Joyce zusammengefasst, senkte Rosaleen ihren Kopf und schloss die Augen. Als es jedoch den Anschein machte, als würde Abigail nichts sagen, blinzelte Rosaleen und schaute Abigail fragend an. Mit einer Kopfbewegung gab diese ihr zu verstehen, sie solle beten.
„Lieber Vater im Himmel, ich danke dir für dieses köstliche Essen, dass du uns geschenkt hast und auch, dass ich in Abigail eine so gute Freundin gefunden habe. Segne du diese Mahlzeit. Amen."
Für Joyce zerkleinerte sie die Kartoffeln und schnitt auch den Rest in kleine Stückchen. Rosaleen wollte sich gerade ihrem eigenen Essen widmen, als sie bemerkte, dass Abigail nur in ihrem herumstocherte und nicht aß.
Besorgt, über die bedrückte Art, die sie garnicht an Abigail kannte, fragte sie vorsichtig: „Geht es ihnen nicht gut, Abigail? Haben sie keinen Hunger?"
"Es ist nur...ich habe Kopfschmerzen. Irgendwie bekomme ich nichts runter." Entschuldigend sah sie Rosaleen an. „Aber sie müssen doch etwas essen, Abigail! Ein paar Bisse wenigstens." Als sie Abigails zweifelnde Mine sah, fügte sie noch schnell hinzu: „Den Rest geben wir den Hühnern. Sicher werden sie sich darüber freuen."
Abigail wirkte wirklich blass auf Rosaleen und sie machte sich nun ernsthaft Sorgen. Was wenn sie krank wird?
Erleichtert, über das Nicken wandte sie sich wieder ihrem eigenen Essen zu. „Mama?" Die zarte Stimme von Joyce holte sie wieder aus ihren Gedanken. Die Kleine hatte ihren Mund sperrangelweit aufgerissen und wartete anscheinend darauf, dass Rosaleen ihr eine volle Gabel in den Mund schob. Lächelnd ging sie ihrer Aufforderung nach und fütterte sie weiter.
„Hier, trinken sie das." Sie goss Wasser in ein Glas und reichte es Abigail. Dankbar nahm diese das Glas an und trank einige Schlucke.
Erstaunt und auch ein wenig erleichtert, stellte Rosaleen fest, dass Abigail anscheinend doch vor hatte, den ganzen Teller leer zu essen, da er schon mehr als halbleer war.
„Legen sie sich doch ein wenig hin." Direkt als Rosaleen diese Worte über die Lippen gebracht hatte, schüttelte Abigail vehement mit dem Kopf. Abrupt hielt sie jedoch inne. Sie musste wirklich an starken Kopfschmerzen leiden.
„Nein, nein, nein. Kommt garnicht in Frage. Die Wäsche muss noch gebügelt-" „Das kann ich doch auch alleine, Abigail. Ich bin ohne Mutter aufgewachsen. Diese Aufgabe beherrsche ich im Schlaf." Ein kleiner Vorwurf lag in Rosaleens Simme,den sie gerne wieder zurück genommen hätte. „Dann lassen sie mich wenigstens den Tisch abräumen."  Widerstrebend gab Rosaleen nach. Solange sie nicht die ganze Zeit stehen und bügeln musste, konnte sie gerne den Tisch abräumen.
„Aber abspülen werde ich." Fest entschlossen nicht nachzugeben, drehte Rosaleen sich zum Herd um, um ihr keine Möglichkeit zu geben, wieder zu protestieren. Als sie ein leises Seufzen hinter sich hörte, musste sie schmunzeln. Sie wusste jetzt schon, dass sie sich wunderbar mit Abigail verstehen würde.
Die Holzscheite, die sie in dem Korb neben dem Ofen fand, warf sie in die Klappe am Herd und entzündete sie mit Streichhölzern. Die zwei Bügeleisen aus Eisen, die sie in dem Keller gefunden hatte - wie Abigail ihr gesagt hatte - legte sie auf den erhitzten Herd und holte die Wäsche.
Sie pumpte Wasser in eine Schüssel und begann das Geschirr zu waschen. Da ertönte wieder die Stimme von Abigail: „Und die Kleider? Die müssen doch auch noch genäht werden! Sie können doch nicht immer in ihren paar Kleidern rumlaufen!" Als Rosaleen den Kopf wandte, sah sie, wie Abigail aufgebracht die Hände in die Hüften stützte. Joyce kicherte. Anscheinend fand sie die ganze Situation hier lustig. Sie saß immer noch auf ihrem Stuhl und sah belustigt zu Abigail auf. Bei den Anblick ihres glücklichen Kindes, durchströmte Rosaleen ein Gefühl von Dankbarkeit und Freude.
Danke Vater! Ich glaube, ohne dich wären wir lange nicht hier.
„Abigail, gehen sie sich ausruhen! Sie müssen ja auch nicht den ganzen Tag verschlafen. So viel Arbeit ist das auch nicht,als dass ich keine Zeit zum Nähen heute mehr hätte."
Abigail seufzte noch einmal und erwiderte Rosaleen mit den Worten „Na, wenn sie es so wollen. Sagen sie mir aber nicht, ich hätte sie nicht vor der Anstrengung gewarnt", bevor sie sich ihrem Zimmer, welches auf dieser Etage lag, zuwandte. Dieses mal unterließ Rosaleen es, sie darauf hinzuweisen, dass sie diese Anstrengung gewohnt war.
Bitte mach das sie nicht krank wird, Herr!
Rosaleen hatte mittlerweile zu Ende gespült und das Geschirr neben das Waschbecken gelegt.
Jetzt breitete sie die Wäsche - welche sie vorher schon von der Wäscheleine genommen hatte - auf dem Tisch aus, ergriff ein mittlerweile aufgewärmtes Bügeleisen und begann die Wäsche zu bügeln, während sie versuchte Joyces Gebrabbel zu verstehen.

...Weil ich dich liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt