Kapitel 22

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Enttäuscht wischte sich Rosaleen eine Träne aus dem Augenwinkel.
Die Vorstellung, diese süßen Kinder zu unterrichten, ihr Vorbild zu sein und ihre Liebe zu gewinnen, war einfach zu schön gewesen, um so schnell zu zerplatzten. Jetzt, wo die Möglichkeit so nahe gewesen war, wurde Rosaleen so plötzlich und unerwartet wieder abgeschoben und als 'Ersatzlehrerin' gesehen. Sie hatte es nie zugeben wollen, doch Lehrerin zu sein war ihr Kindheitstraum gewesen. Jedoch mit einem armen einfachen Mann als Vater war es ihr von Anfang an klar gewesen, dass diese Wunschvorstellung nie wahr werden würde. Sie hätte sich nie den nötigen Abschluss - den man in einer Stadt wie New Orleans brauchte, um als Lehrerin zugelassen zu werden - finanzieren können. Und als sie dann geheiratet hatte, war es sowieso zu spät gewesen ein Studium anzufangen.
Joseph war der einzige gewesen, der gewusst hatte, dass einer ihrer Träume war, Lehrerin zu werden.
Aber hier - in dieser kleinen abgelegenen Stadt - hätte sie mit Leichtigkeit diesen Job bekommen können. Gott, hilf mir, der Dame aus Vancouver nicht eifersüchtig zu sein. Es gibt sicher etwas anderes in meinem Leben, dass noch besser zu mir passt. Fast hätte Rosaleen Gott gefragt was sie jetzt tun solle, doch sie erinnerte sich noch im letzten Moment an das Versprechen, welches sie sich gegeben hatte. Ich schaffe das schon. Ich finde meinen eigenen Weg.
Wie um es sich selbst zu beweisen, nickte Rosaleen leicht mit dem Kopf und hob ihr Kinn ein wenig an.
Kurz entschlossen überquerte sie die staubige Straße und folgte dem Weg, welcher in die entgegengesetzte Richtung von Abigails Haus verlief.
Schon am Stadtrand traf sie dann endlich auf die Kirche und das danebenliegende Haus des Reverends.
Sie betrat den gepflegten Garten von Mr. Mason und wartete, nachdem sie geklopft hatte, bis ihr geöffnet wurde.
„Guten Tag, Madam. Sie müssen Mrs. Laster, die neue Witwe sein, stimmts?"
Schon bei ihrer Bezeichnung als Witwe durchfuhr Rosaleen der Schmerz der Liebe.
„Ja die bin ich. Ist ihr Mann, Reverend Mason, da? Ich würde ihn gerne kurz sprechen." Mrs. Mason wischte ihre Hände an ihrer Schürze ab und schloss die verblüffte Rosaleen einmal herzlich in die Arme. „Kommen Sie doch rein." Sie geleitete Rosaleen in das Wohnzimmer und bat sie Platz zu nehmen. Dann verschwand sie kurz, um ihren Ehemann zu holen. Als sie zurück kam setzte sie sich neben Rosaleen auf das flauschige Sofa und nahm ihre Hand in die ihre. „Als ich von ihrem Zustand gehört habe, wollte ich am liebsten sofort zu ihnen laufen, doch mein Mann meinte, ich solle sie erstmal ein wenig in Ruhe lassen und ihnen Zeit geben sich einzurichten.
Sie tun mir ja so schrecklich leid. Die erste Liebe zu verlieren ist sehr schwer. Meine Schwester, sie wohnt im Osten, hat auch ihren Mann an einer Epidemie verloren und konnte es nie verkraften. Bis heute lässt sie keinen Mann mehr an sich ran." Ihr Blick trübte sich ein wenig und sie drückte noch einmal Rosaleens Hand. „Aber ich sollte sie jetzt nicht verzagen, sondern ihnen lieber Mut machen. Mit Gottes Hilfe kann sich doch alles wieder zum Guten wenden." Mrs. Mason lächelte Rosaleen aufmunternt zu.
Wenn das nur so einfach wäre. Dachte Rosaleen bedrückt. Gott war es doch, der zugelassen hat, dass der Zorn in Jacob überhand gewann und er sich nicht mehr halten konnte.
Sie hatte jedoch nicht Zeit weiter darüber nachzudenken, da nun Reverend Mason das gemütliche Wohnzimmer betrat. Sie erhob sich und begrüßte ihn freundlich.
Er war genauso anziehend und liebevoll wie seine Frau, wodurch Rosaleen das Ehepaar sogleich in ihr Herz schloss.
Nachdem sie Reverend Mason ihr Anliegen vorgebracht hatte, strahlte er freudig auf. „Aber sicher. Ich habe immer einen kleinen Vorrat von Ihnen. Warten sie einen Moment, Mrs. Laster. Ich hole gleich mal eine für sie." Schon einige Sekunden später drückte er ihr eine schöne in Leder gebundene Bibel in die Hand. Rosaleen bedankte sich freudig bei Ihm und plauderte noch eine kurze Weile mit Ihnen.
Mrs. Mason bot ihr auch ein Stückchen Rosinenkuchen an, den sie frisch gebacken hatte. Aufgeschreckt, dass es schon so spät war, lehnte sie jedoch dankend ab und verabschiedete sich von Ihnen.
Die Bibel fest in den Arm geschlossen, verließe das Haus.

***

Um wieder klaren Kopf zu bekommen, sattelte Luke Black Beauty und schwang sich in den bequemen Sattel. Er entschied sich für die rechte Richtung der staubigen Straße und ritt an den Gebäuden vorbei. Er liebte es, in der freien Natur auszureiten und die Schöpfung Gottes zu genießen.
An diesem Dienstagvormittag waren die Straßen recht ruhig, da die Stadtbewohner ihrer Arbeit nachgingen oder anderwertig beschäftigt waren. Er ließ Black Beauty entspannt antraben, als er eine schlanke Gestalt ausmachte. Bei näherem Hinschauen erkannte er die zarten Gesichtszüge von Mrs. Laster. Da fiel Luke wieder ein, dass er noch hatte mit ihr sprechen wollen, um ihre möglichen Informationen, über eine Verbrecher Bande - oder sogar mehrere, zu erfahren. Er beschloss jedoch, das auf ein anderes mal zu verschieben, da sie gerade noch so aufgebracht gewesen war.
Beim Vorbeireiten tippte er an seinen Hut und nickte leicht mit dem Kopf. Sie schenkte ihm ebenfalls ein bemühtes Lächeln und wandte sich wieder dem Weg zu. Auch Luke tätschelte seinem hübschen Quarter Horse den Hals.
Da stutzte er plötzlich.
Um sich zu versichern drehte er sich noch einmal mit seinem Oberkörper um und kniff die Augen konzentriert zusammen. Doch nein, er hatte sich nicht getäuscht. Auch dieses Mal konnte er ein in Leder gebundenes Buch in ihren Armen erkennen. Die goldene Innschrift mit den Worten "HOLY BIBLE" hatte er zuvor noch auf dem Umschlag ausmachen können.
Luke wusste genau, dass Reverend Mason sich selbige Bibeln aus dem Osten zuschicken ließ, um sie denen zu geben, die keine eigene Bibel besaßen und trotzdem auch an ihrem Glauben interessiert waren.
Mrs. Laster hütete ein Geheimnis, das wurde Luke wieder einmal klar. Das plötzliche Auftauchen von ihr und ihrem Kind, die wenigen Habseligkeiten und trotzdem ein teurer Ring und nun auch noch die Bibel von Reverend Mason, die sie sich besorgt hatte.
Sie war am Sonntag auch in der Kirche gewesen und die Lieder waren ihr nicht unbekannt gewesen. Doch sie hatte keine Bibel gehabt, sondern holte sich eine von dem Reverend.
Luke hing so seinen Gedanken nach und fiel ins Galopp. Je mehr er über sie herausfand, desto geheimnisvoller wurde sie in seinen Augen.
Bitte, Herr! Wandte Luke sich nun an seinen stetigen Begleiter. Schenk mir klare neutrale Augen, die sie nicht verurteilen oder sich ihre eigene Geschichte spinnen. Gib, dass ich sie nicht zu Unrecht in etwas hineindenke. Vielleicht ist es auch garnicht wichtig und es geht mich nichts an. Aber zeige auch ihr was sie tun soll. Und schenke ihr bitte eine nötige Hand, wenn sie Hilfe braucht.

...Weil ich dich liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt