Kapitel 11

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Rosaleen wusste, dass es egoistisch war, doch sie vermisste Joyce jetzt schon. Sie brauchte jemanden um sich, den sie kannte.
Entschlossen etwas zu tun schlug sie die weiche Daunendecke beiseite und schwang ihre Beine über die Bettkante. Das Bettgestell war aus einfachem Holz geschnitzt, welches aus den naheliegender Wäldern stammte.
Die Teetasse mit dem grünen Kräutertee dampfte und verströmte einen angenehmen Duft in dem Zimmer, ich welchem Rosaleen sich eigentlich ausruhen sollte.
Die Tür wurde knarrend geöffnet und Mrs. Lorese trat ein. Ihre Haare waren schon schwer ergraut was sie älter wirken ließ als sie wahrscheinlich wirklich war. Doch ihre blauen Augen funkelten umso mehr und flogen mehrmals über über Rosaleens Gesicht. Die Witwe war Rosaleen sofort sympathisch und sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie sah wie Mrs. Lorese missbilligend, aber trotzdem fürsorglich den Köpf schüttelte. „Sie sollten sich doch ausruhen, Kindchen! Ich habe Ihnen frische Eier gebracht, die ich gerade erst aus dem Hühnerstall geholt habe. Sie sind sogar noch etwas warm, das kann aber natürlich auch davon kommen, dass ich sie gerade gekocht habe!" Sie zeigte lachend auf die Eier und zwinkerte schelmisch.
„Das Brot ist leider noch von gestern abends, da ich heute keine Zeit hatte noch eins zu backen. Ich hoffe das stört sie nicht." Mrs. Lorese warf Rosaleen einen fragenden Blick zu, doch noch bevor diese antworten konnte, redete die muntere Dame auch schon weiter. „Und das hier ist..., ach sie wissen ja selber wie was aus sieht." Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, um der Bedeutung ihrer letzten Worte die Wichtigkeit zu nehmen.
„Ich bin ja so froh wieder Gesellschaft zu haben! Auf meine alten Tage noch mit jemand so jungen unter einem Dach zu wohnen!" Verwundert und ein wenig spitzbübisch schüttelte sie den Kopf. „Aber genug von mir und meinem langweiligen Essen.
Wollen sie nicht mal eine Runde schlafen? Luke erzählte mir, sie haben eine lange Reise hinter sich.
Aber was rede ich denn da? Sie müssen doch erstmal noch essen. Die Kleider sind ihnen schon viel zu breit und vor mir können Sie ihren Hunger nicht verstecken. Ich sehe doch ihren Blick auf das Essen." Mit ein paar Schritten war sie beim Bett angekommen. Sie lachte wieder und forderte Rosaleen mit einem strengen Blick auf, sich wieder ins Bett zu legen. Widerwillig gehorchte Rosaleen und lehnte sich sitzend in die weichen Kissen zurück. Zugegebener Maßen war es ein schönes Gefühl, wieder in einem richtigen Bett zu liegen.
Da knurrte ihr Magen schon wieder und das noch lauter als davor, so kam es Rosaleen jedenfalls vor. Verlegen senkte sie ihren rot angelaufenen Kopf und spielte mit dem Ärmel ihres Nachthemdes, welches Mrs. Lorese ihr bei ihrer Ankunft in ihr kleines Haus, gegeben hatte, nachdem sie Rosaleen warmes Wasser für ein ausgiebiges Bad in einem zur Badewanne umfunktioniertes Fass eingelassen hatte. Rosaleen war glücklich endlich wieder sauber und staubfein zu sein.
„Mrs, Lorese, ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, dass sie mich hier vorerst aufgenommen haben. Sie wissen garnicht wie viel leichter sie meine Ankunft hier machen. Ich werde mich natürlich nach einer neuen Wohngelegenheit umschauen, damit ich ihnen nicht weiter zur Last falle."
Rosaleen ergriff das Tablett mit essen, welches Mrs, Lorese ihr reichte und legte es auf ihrem Schoß ab.
„Na, na, na. Ich bin doch nicht eine feine Dame aus der Londoner Gesellschaft. Nennen sie mich ruhig Abigail! Alle nennen mich so und da ich denke, dass wir bald gute Freunde sein werden, wäre es doch angemessener mich mit meinem Vornamen anzusprechen. Das ist lange nicht so steif und förmlich."
Während sie sprach, fuchtelte Sie aufgeregt mit ihren Händen herum und ihre Stimme klang sehr energisch.
„Rosaleen,... Ich darf Sie doch Rosaleen nennen, nicht wahr?" Etwas verunsichert sah sie Rosaleen in die Augen, doch die machte ihr Einverständnis mit einem Nicken deutlich.
„Ach, und mit ihrer Wohnung müssen sie sich gar keine Sorgen machen! Ich freue mich über jede freundliche Seele der ich helfen kann! Da lassen Sie sich mal ruhig Zeit. Bald kommt ja auch noch ihr Kind, richtig? Wie eine kleine Familie werden wir dann sein!" Sie klatschte aufgeregt in die Hände.
„Aber nun lasse ich sie mal in Ruhe essen. Sie haben einen riesigen Hunger der gestillt werden muss." Mit diesen Worten und einem letzten herzlichen Lächeln verschwand Abigail in der Tür.
Rosaleen faltete die Hände zum Gebet und schloss die Augen.
Danke, Vater, dass du uns so liebe Menschen geschickt hast, die uns geholfen haben. Du weißt, dass ich ihnen nichts zurück geben kann und so vergelte du es Ihnen. Bitte beschütze auch Joyce wo sie jetzt ist.
Ich danke dir auch für dieses wunderbare Essen, welches ich wieder in meinen Händen halten und genießen darf. Amen.
Amüsiert lächelte Rosaleen vor sich hin und biss genüsslich in das knusprige Brot, welches mit einem Salatblatt und frischen Tomaten belegt war.
Während sie da so aß, dachte Rosaleen wieder daran, wie sie hier in dieses Haus gekommen war und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Als der etwa 35-jährige Arzt, Mr. Khelby, gekommen war, hatte er noch kurz mit dem Sheriff ein paar Worte gewechselt, bis sie ihr berichtet hatten, dass Abigail sie bei sich wohnen ließe.
Danach hatte es noch gefühlte fünf Minuten gedauert, bis Rosaleen den überaus fürsorglichen Sheriff davon überzeugt hatte, dass sie es allein zu den Einspänner, welchen Mr. Khelby vor der Arztpraxis abgestellt hat, schaffen würde.
Ohne, dass er sie trug.
Bei der Erinnerung, wie sie angeregt über solch ein unwichtiges Thema diskutiert hatten, entfuhr Rosaleen ein leises Lachen.
Ihre Gedanken wanderten weiter und blieben an ihrer Familie hängen. Wie es Joyce wohl ging? Ihr Herz blutete wenn sie sich vorstellte, wie Joyce weinend auf dem Boden saß und sich nach ihrer Mama sehnte.
Doch die Worte des Sheriffs hatten sie wieder etwas beruhigt.
Joyce würde sicher viel Spaß haben.
Mit dem Glas in der einen Hand hob Rosaleen ihre Hand zum Mund und trank einen Schluck des klaren Wassers.
Sie dachte an ihren verstorbenen Ehemann, welchen sie einfach so zurückgelassen hatte. Noch nicht mal ein Grab hatte er bekommen.
Es war ihr, als hätte er ein Teil Ihres Herzens aus ihrer Brust gerissen. Eine beängstigende Leer hüllte ihr Inneres in seinen Nebel ein. Wie sehr sie sich wünschte Joseph wäre jetzt bei ihr und hielte ihre Hand. Warum hatte Jacob ihn auch erschießen müssen? Eine Wut stieg in ihr auf und sie ballte die Hände zu Fäusten.
Mit dem Kopf hoch an die Decke gerichtet kämpfte sie mit sich selbst. Warum hast du das zugelassen, Gott?! Ich habe dir doch nichts getan!
Wir waren alle so glücklich, doch du reißt uns auseinander. Joyce braucht doch ihren Vater! Ich brauche meinen Ehemann!
Innerlich schrie sie zu Gott. Sie konnte und wollte es einfach nicht verstehen. Warum hatte Gott das getan? Warum? Warum!
Jacob war Schuld an allem! Wieso musste er auch so geldgierig sein? Sie würde es ihm so gerne heimzahlen, doch war das richtig?
Wieder kam ihr der Vers aus                  1. Thessalonicher 5,15 in den Sinn:
Seht zu, dass niemand einem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern strebt allezeit dem Guten nach gegeneinander und gegen alle!
Schließlich öffnete Rosaleen ihre Hände wieder und legte sie in ihren Schoß. Warum war das alles auch so schwer?!
Eine Träne löste sich aus ihrem Auge und kullerte ihre Wange hinunter.
Weitere Tränen flossen und sie schluchzte laut auf. Schließlich vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen. Die Anstrengung der Reise, der Schock über die geheimnisvollen Männer, der Tod... Alles überrollte sie mit einem Schlag und sie brach innerlich. Es war ihr, als steche jemand andauernd mit einem scharfen Messer ins Herz.         Es blutete.
Ihre dünnen Schultern bebten unter den heftigen Schluchzen und immer mehr Tränen bahnten sich ihren Weg, die Wange hinab. Sie weinte den vergangenen Wochen ohne Joseph nach. Und auch den Zukünftigen ohne ihn.
Auf einmal öffnete sich die Tür und Abigail trat ein. Sie hatte das Schluchzen gehört und war sofort herbei geeilt.
Ohne etwas zu sagen, setzte sie sich auf die Bettkante und nahm Rosaleen in die Arme.
Worte halfen jetzt nicht. Auch die Fragen, die Abigail auf der Zunge lagen schluckte sie runter.
Sanft streichelte sie ihr über den Rücken, bis ihr Schluchzen langsam verebbte.
Abigail blieb so lange sitzen, bis Rosaleen in ihren Armen in einen traumlosen Schlaf fiel.

...Weil ich dich liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt