Kapitel 37

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   Langsam entfernten sie sich von der Stadt. Neben ihnen säumten hohe Birken den Weg, auf dem sie in die Richtung der Farmen ritten. Mittlerweile war es stockdunkel geworden, nur der Halbmond spendete noch genügend Licht, sodass Luke den ihm wohlbekannten Weg gut erkennen konnte. Die Lehrerin saß so gerade wie möglich vor ihm und hatte die Jacke fest um sich gewickelt. Pausenlos peitschte der Regen auf sie nieder und Luke runzelte besorgt die Stirn, da Rosaleen am ganzen Körper zitterte. Ihre Haare hatten sich mittlerweile vollends aus dem Knoten gelöst und Luke erlaubte sich einmal tief einzuatmen, um den angenehmen Vanillegeruch in sich aufzunehmen, der Rosaleen umgab.
   Luke griff nach seinem Hut und setzte ihn der Lehrerin auf den Kopf, um ihr bestmöglich Schutz vor dem Wetter zu gewähren.
   Rosaleen wandte sich widerstrebend zu ihm um, doch Luke kam ihr zuvor, bevor sie ihm widersprechen konnte. „Shh", machte er sanft.
   Behutsam legte Luke einen Arm um ihre Taille und zog sie etwas näher an sich, um sie so mit seiner Körperwärme zu wärmen.
Er konnte hören wie sie erschrocken nach Luft schnappte, doch erleichtert, dass sie sich nicht wehrte, nahm er die Zügel in eine Hand, um sie so besser halten zu können. Wenn er sie schon nicht vor dem Trunkenbold Hank hatte beschützen können, so konnte er jetzt wenigstens acht geben, dass sie nicht krank wurde und gar an einer Lungenentzündung erkrankte. Und zu seinem Erschrecken musste Luke auch zugeben, dass er es genoss, sie so nah an sich zu haben.
„Wie war es heute in der Schule?", fragte Luke, in der Hoffnung, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken und sie etwas zu beruhigen.
Einen kurzen Moment schwieg sie, da sie diese Frage überraschte. „Mein Herz wird jedes Mal auf's neue ein kleines Stück größer, wenn ich die Freude der Kinder über kleine Erfolge in ihren Augen sehe. Du solltest mal ihre Gesichter sehen, wenn sie sich über mein Lob freuen und wie sie die erfolgreich abgeschlossenen Aufgaben stolz ihren Sitznachbarn zeigen." Rosaleens Stimme klang von Wort zu Wort belebter, doch dann verdüsterte sie sich. „Umso größer ist jedoch auch ihre Enttäuschung, wenn sie...wenn ihre Arbeiten nicht wertgeschätzt oder...oder vernichtet werden! Ich...vielleicht war es dumm von mir, den-„
„Du musst dich weder erklären noch schlecht fühlen." Unterbracht Luke sie, bevor sie weiter reden konnte. „Jede gute Lehrerin, der das Wohl ihrer Schüler am Herzen liegt, hätte das getan. Es war mein Fehler, dass ich dich nicht gewarnt habe. Du musst wissen, dass Hank Bolden, dem du vor den anderen deutlich deine Meinung gesagt hast, schon lange Probleme macht und jedem, der ihm in die Quere kommt, das Leben schwer macht."
Wieder überfiel Luke die Wut über sich selbst, wie er nur so dumm hatte sein können und sie nicht aufklären können. „Ich hätte dich direkt warnen müssen, als ich erfahren hatte, was vor dem Schulhaus abgelaufen war. Ich muss mich ausdrücklich dafür entschuldigen, dass du dank meiner Unachtsamkeit in Schwierigkeiten wie diese gekommen bist."
„Geben sie...gib dir nicht die Schuld dafür."
Rosaleen seufzte und Luke überkam auf einmal der unglaubliche Wunsch, die vor im sitzende, zitternde Gestalt fest in die Arme zu schließen. Natürlich fühlte er sich schon jetzt geehrt, die junge Mutter auf dem Pferd vor sich sitzen haben zu dürfen. Doch jemanden so nahe zu sein, weil die Umstände es verlangten, oder ob man die Nähe des anderen suchte, weil man sich dort wohl fühlte und sich zu ihm hingezogenen fühlte, das waren zwei völlig unterschiedliche Dinge. Obwohl er Rosaleen erst ein paar Wochen kannte, fühlte er sich zu ihr hingezogen und die Gedanken an sie beschäftigten ihn vielleicht mehr als sie sollten.
Diese Frau verbarg etwas, er hatte ein Gespür dafür. Sie hatte sich nun schon etwas in der Stadt eingelebt und sogar Freundschaften geknüpft. Doch trotzdem wussten weder Rebecce und Jeremia noch er selbst etwas über ihre Vergangenheit und ihnen waren nur verschwommene Andeutungen bekannt. Die Tatsache, dass sie halb verhungert und mittellos hier angekommen war, ließ weitere Fragen aufkommen, auf die er keine Antwort hatte.
   Und wenn sie vor etwas auf der Flucht war, dann war es nun seine Aufgabe sie zu beschützen und ihre Vergangenheit von ihr fern zu halten.
   Vielleicht hatte Gott sie gerade zu ihm gebracht. Herr, bitte zeige mir, was du von mir erwartest, bete er innerlich.
   Aber was Luke wusste, war, dass in Rosaleen ein unglaublich großes Herz schlug, sie sich für Menschen, die sie liebte, einsetzte und eine unglaubliche Anziehungskraft auf ihn hatte.
   Er musste sich erschreckend stark beherrschen, sie nicht alle Zweifel über Bord werfend an sich zu ziehen und an sich zu drücken. Dass sie so zitterte, vereinfachte es ihm auch nicht gerade, diesem Drang zu widerstehen.
   Sein Pferd schleuderte den Schlamm des Untergrundes durch die Luft und plötzlich öffneten die Wolken verstärkt ihre Schleusen und der Regen peitschte noch erbarmungsloser auf sie herab, soweit das überhaupt noch möglich war. Jetzt wartete Luke keine Sekunde mehr, sondern zog Rosaleen noch näher an sich und schlang einen Arm um ihre Taille, um ihr mehr Wärme zu spenden und sie gleichzeitig bei sich zu halten. Diesmal äußerte sie sich nicht dazu und würde Luke es nicht besser wissen hätte er sogar gesagt, sie schmiege sich an ihn. Bei dem Gedanken machte sich ein leichtes Grinsen auf Lukes Gesicht breit und er wünschte sich fast, es wäre so.
Trotz des Regens, der sie beide bis auf die Haut durchnässte, wünschte Luke sich gerade nirgendwo anders hin, weil es sich unglaublich gut anfühlte, die zarte Gestalt vor ihm an sich zu drücken.
Nach ein paar Meilen erblickte Luke vor sich das Farmerhaus der Sherwoods und die angrenzende Scheune.
Es wäre ihm beinah lieber, der Weg wäre noch etwas länger, doch er musste Mrs. Laster schnell ins Trockene bringen.
Durch das Küchenfenster schien das Licht einer Lampe, Die Sträucher im Blumenbeet wiegten sich kräftig im Wind und die Pferde wieherten aus der Scheune.
Hier könnte er seine Rosaleen beruhigt lassen. Luke, hör auf damit. Sogleich schalt Luke sich für seine besitzergreifende Bezeichnung. Er hatte kein Recht auf diese Frau. Zumindest noch nicht, fügte er vorsichtig in Gedanken hinzu.

                                ***

Behutsam hob Luke Rosaleen vom Pferd und stellte sie auf dem durchweichten Boden ab. Sie ließ es mit sich geschehen und stand einen Moment hilflos im Regen. Auch Luke schwang sich vom Pferd und als er sie gerade auf die Veranda geleiten wollte, wandte sie sich um und blieb unsicher vor ihm stehen. Die Wolken gaben den Mond frei und Luke war sehr dankbar für die Stahlen, die es ihm ermöglichten, Rosaleen zu sehen.
   „Luke, ich...danke." Als Rosaleen dem Kopf hob, überrollten Luke plötzlich heftige Gefühle. Nasse Haarsträhnen ihres rötlichen Haares klebten an ihren Wangen, mehrere Schmutzflecken hatten Spuren auf ihrer Haut hinterlassen und mit großen, unschuldigen Augen blickte sie vorsichtig unter seinem ihr viel zu großen Hut zu ihm empor. Gerade noch rechtzeitig konnte Luke sich zurückhalten, seine Hand an ihre Wange zu legen und die dunkeln Tränenspuren wegzuwischen. Sie an sich zu ziehen und...
   „Ich weiß nicht, was ich ohne dich getan hätte. Du...ich bin dir zu großem Dank verpflichtet. Danke!" Neue Tränen bildeten sich in diesen grünen, leuchtend grünen Augen.
   Luke räusperte sich, um wieder Kontrolle über seine Gefühle zu gewinnen. „Das habe ich gerne für dich getan, Rosaleen." Luke lächelte sie an und wünschte sich, er könnte irgendwie ihre Tränen zurückhalten und den Mann in tausend Stücke zerreißen, der diese Tränenflut verursacht hatte.
Luke, benimm dich. Du hättest jeden aus einer solch misslichen Lage befreit, wenn es dir möglich wäre.
   Bevor ihm noch etwas passierte, was er später bereuen würde, legte er eine Hand an ihren Ellenbogen und führte sie zu der Tür.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 21, 2019 ⏰

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