Kapitel 29

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„Ich habe gute Neuigkeiten für sie, Mrs. Laster." Luke holte tief Luft, um ihr die Nachricht zu überbringen. „Die Dame aus Vancouver, sie hat dort jemanden kennengelernt und ist nun verlobt. Allerdings beabsichtigt sie, dort zu heiraten und auch dort zu bleiben." In ihren Augen konnte Luke die aufkeimende Hoffnung aufleuchten sehen. „Ich habe schon früher an Mr. Bradfords und meiner Entscheidung gezweifelt und wahrscheinlich soll es so sein, dass sie unsere Lehrerin werden. Die Stadt wäre Ihnen sehr dankbar, wenn sie diesen Posten annehmen würden." Es war ihm etwas unangenehm zu bezeugen, dass sie nun plötzlich doch qualifiziert für die Lehrerinnenstelle war, doch seine Empfindungen halfen ihm bei dem Problem auch nicht weiter. „Ich verstehe, wenn sie noch etwas Zeit zum überdenken brauchen, doch ich will ihnen nochmal sagen, dass ich nicht daran zweifle, dass sie ihren Job gut machen würden,...auch wenn das zu Anfang nicht so ausgesehen hat."
Jetzt war es raus und Luke musste nur noch auf die Antwort von Mrs. Laster warten.
  „Das ist jetzt etwas unerwartet, Mr. Corner, aber ich denke, sie können mit mir rechnen."
Erleichtert, dass sie ohne wenn und aber - und ohne lange nachzudenken - zugesagt hatte, verlagerte Luke sein Gewicht. „Sie können dann so bald wie möglich anfangen. Die meisten Materialien, die sie für den Unterricht benötigen werden, sind noch vorhanden." Sogleich fühlte Luke sich besser. Sein Gefühl sagte ihm, dass dieser Weg der richtige war. Vielleicht auch mein Herz?
„Wie geht es Abigail? Sieht man noch keine Verbesserung?", fragte er.
„Oh, doch!" Ihre Augen begannen zu strahlen. „Es geht langsam aber sicher bergauf mit ihr! Sie wird wieder kräftiger und behält auch das Essen wieder bei sich. Ich denke sie ist endlich über den Berg."
Luke konnte deutlich die Erleichterung in ihrem Gesicht sehen.
„Da kann man Gott nur dankbar sein." Kurz verwirrt beobachtete er, wie ein seltsamer Ausdruck in ihre Augen trat, den er jedoch nicht deuten konnte. „Ich melde mich dann für Näheres bei Ihnen." Luke tippte sich an seinen Hut und stieg mit erleichtertem Herzen auf sein Pferd.

                                   ***

Auf dem Bett lag schon das neu genähte Kleid bereit und wartete nur darauf, getragen zu werden. Der dunkelrote Stoff war zu einem schönen Kleid vernäht worden und der abgerundete, dreieckige Ausschnitt ließ ein wenig Luft zum Atmen. Aufgeregt schlüpfte Rosaleen in den bequemen, schicken Berg aus Stoff und zupfte einmal hier und einmal dort etwas zurecht. Dann stellte sie sich vor den Spiegel und begann sich ihr welliges Haar etwas unterhalb der Mitte ihres Kopfes hochzustecken.
Sie war so glücklich, dass es Abigail wieder gut ging. Schon fest hatte sie damit gerechnet, sich bald ihre eigene Wohnung zu suchen und wieder allein da zu stehen. Ganz zu schweigen davon, dass sie dadurch eine ihrer besten Freundinnen verloren hätte. Und dann auch noch die Aussicht, auf die Lehrerinnenstelle. Rosaleen hätte hüpfen können, vor Freude!
Was hatte Mr. Corner noch vor ein paar Tagen gesagt? Man könne Gott dankbar dafür sein. Doch konnte sie das wirklich? Ich habe sie doch gepflegt! Gott sieht mich nicht mehr. Er lässt einfach alles geschehen und wie das Ende ist, lässt er offen. Daraus muss ich dann etwas machen. Erschrocken zog Rosaleen die Luft ein. Seid wann dachte sie so über Gott? Es stimmt doch! Er lässt mich hier mit Joyce allein und wir müssen dann selber zusehen, wie wir zurecht kommen.
Eine einsame Träne löste sich aus Rosaleens Auge, doch ehe sie die Wange hinunterlaufen konnte, hatte Rosaleen sie sich schon verärgert weggewischt. Sie hatte schon genug Tränen in den letzten paar Monaten vergossen - doch sie fühlte sich so schrecklich einsam. Eine tiefe Leer hatte sich in ihrem Innern breit gemacht und sie wusste nicht, wie sie sie wieder füllen konnte.
Bevor ihre Gedanken noch ihren ganzen Kopf einnehmen konnten, konzentrierte Rosaleen sich wieder auf ihr Aussehen. Zuletzt steckte sie sich ihren Bordeaux, passend zum Kleid ausgesuchten, modischen Hut mit den Hutnadeln fest und kniff sich einmal in ihre Wangen, um mehr Farbe in ihr blasses Gesicht zu bekommen.
Bei einem ausführlichen Blick in den kleinen Spiegel über der Wasserschüssel, stellte sie mit Schrecken fest, dass ihre Sommersprossen sich anscheinend vermehrt hatten. Sie waren gleichmäßig auf ihre Nase und den Bereich daneben verteilt worden. Ich war wohl zu oft draußen, in den letzten paar Monaten.
Rosaleen griff nach ihrer kleinen, runden Handtasche in Form eines Stoffbeutels.
Jetzt fühlte sie sich wie eine Dame. So wie früher, als ich noch Mrs. Joseph Jillson war. Nur, dass ich jetzt Mrs. Laster bin.
Bevor Rosaleen diesen Gedanken weiterführen konnte, stieg sie die Treppe herunter. Sie versicherte sich, dass alles in Ordnung mit Abigail und Joyce war, bevor sie die Verandatür öffnete.
  Die Sonne brannte noch warm auf sie herab, als sie sich auf den Weg zu Sofie's Café machte. Die Handtasche schwenkte sie übermütig neben sich her und ihre leichten Schritte drückten ihre Erleichterung aus, die sie nun - nach den guten Ereignissen der letzten Tage - verspürte. Sie hatte Mr. Corner garnicht böse sein können. Entscheidend war ja, dass sie es jetzt geschafft hatte!
  Das Café war fast leer und so war es ihr ein leichtes den Sheriff zu finden. Er ging schon an einem kleinen Tisch rechts in der Ecke umher. Rosaleen lächelte Miss Clark zu und begrüßte dann Mr. Corner. Er zog ihr freundlicher Weise den Stuhl zurück und nahm schließlich selber Platz.
  Sein frisches Hemd war ordentlich gebügelt und seine braunen, lockigen Haare lagen alle auf ihrem Platz - bis auf eine widerspenstige Haarsträhne, die in seine Stirn hing. Im Schein des Sonnenlichts, welches durch das Fenster fiel, bemerkte Rosaleen zum ersten Mal das Grübchen in seinem markanten Kinn.
Rosaleen, Schluss jetzt! Das ist ein reines Geschäftsessen!
Sie ließ ihren Blick schnell wieder zu seinen brauen Augen wandern, in der Hoffnung, er hätte nicht gesehen, wie sie sein Äußeres in Augenschein nahm.
  „Ich habe mir bereits erlaubt für sie die Bestellung aufzunehmen, damit sie nicht so lange warten müssen."
  „Vielen Dank, Sheriff." Rosaleen schenkte ihm ein freundliches Lächeln.
  Da trat auch schon Miss Clark zu Ihnen und überreichte zwei Teller. Als Rosaleen die Speisen darauf erblickte versuchte sie ihren Gesichtsausdruck zu kontrollieren. Auf dem Teller war eine übergroße Menge zu sehen, die sie nie und nimmer hinunter bekommen würde. Vor allem, nachdem sie in der letzten Zeit nicht sehr viel zu sich genommen hatte.
  Die Stimme des Mannes ihr gegenüber schreckte sie aus ihren Gedanken: „Wollen wir beten?" Er streckte ihr seine beiden Hände entgegen und schaute ihr fragend ins Gesicht. Eine leichte Röte stieg Rosaleens ins Gesicht und sie reichte ihm schnell ihre Hände, die er mit seinen umfasste.
  „Danke Vater, für dieses köstliche Essen, das vor uns liegt und für Abigails Genesung. Hilf uns, dass wir alle wichtigen Dinge klären können und segne diesen Abend. Amen."
  Rosaleen zwang sich ein leises „Amen" von den Lippen und entzog ihm hastig ihre Hände. Wieso hatte sie nur keine Handschuhe angezogen? Ihre Handflächen kribbelten noch von der Berührung.
  Wieso denken alle nur, GOTT habe Abigail gesund gemacht?
Sie fühlte sich jetzt schon satt, wenn sie das nahrhafte Essen ansah. Hör auf dich zu beschweren, Rosa, und iss jetzt. Sei dankbar, dass du etwas hast und beschwer dich nicht, dass es zu fiel ist!
Irgendwie tat es gut, sich in Gedanken mit Josephs Kosenamen für Sie anzusprechen. Dabei wurde sie an die guten alten Zeiten erinnert und sie begann die Liebe, die Joseph ihr geschenkt hatte, immer mehr zu schätzen. Jetzt, wo er nicht mehr da war, vermisste sie die Zuneigung und Aufmerksamkeit sehr. Diese Art von Liebe war zu einem Teil ihres Lebens geworden und nun einfach nicht mehr da. Sie würde die Liebe, die eigentlich für Joseph bestimmt war, an Joyce und ihre Freunde weitergeben. Doch obwohl dies eine gute Absicht war, blieb die Leere im tiefsten Innern.
  Sie stach mit ihrer Gabel in ein Tomatenstückchen, das dem Salat zugeordnet war und atmete tief ein.
Langsam musste sie die Vergangenheit hinter sich lassen und die Zukunft in Angriff nehmen. Deswegen war sie doch jetzt auch hier!

...Weil ich dich liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt