Kapitel 36

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Schluchzend klammerte Rosaleen sich an Luke fest und vergrub ihren Kopf in seinem Hemd. Ihre Kleidung war vom unablässigen Regen völlig durchnässt und sie zitterte am ganzen Körper, jedoch nicht nur vor Kälte. Sie hatte riesengroße Angst gehabt. In dem Moment, in dem sie erkannt hatte, dass es der Mann vom Vormittag war, der ihr nachstellte, hatte sie festgestellt, dass er unberechenbar war und vor nichts zurückschreckte. Wenn sie sich bloß vorstellte, was er mit ihr gemacht hätte, wenn Luke nicht gekommen und sie gerettet hätte...
„Luke..." Schluchzte Rosaleen. „Ich dachte schon, du kommst garnicht mehr."
   Sie spürte wie die innere Starre langsam bröckelte und einem überwältigendem Gefühl von Zerbrechlichkeit, Angst und doch übergroßer Dankbarkeit wich. Dieser Vorfall hatte das Gefühl von der langsam aufgebauten Kontrolle in ihrem Leben genommen und die Mauer von Unverletzlichkeit in ihr zum Stürzen gebracht. Es war, als wäre alles, was sie sich bisher aufgebaut hatte, mit einem Schlag zerstört und sie hätte den Halt verloren. Mittlerweile hatte Rosaleen gehofft, es würde sich in ihrem Leben noch einmal alles zum Guten wenden, doch sie merkte, wie ein Vorfall wieder all die Schwäche in ihr entblößte und ihr zeigte, wie leicht sie wieder ins Wanken geraten konnte.
Luke streichelte ihr nochmals sanft über den Rücken und Rosaleens Schluchzen ließ ein wenig nach. Langsam atmete sie den Duft von Pferd und herrlichem Wald ein, der in Lukes Hemd hing. Es fühle sich unglaublich gut an, von ihm in den Armen gehalten zu werden und sich so beschützt und geborgen zu fühlen. Seine starken Arme hielten sie fest und seine liebevolle Stimme beruhigte sie.
Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich winzige Schmetterlinge in ihrem Bauch auf und ein Kribbeln fuhr durch ihren ganzen Körper. Trotz der Angst, die ihr immer noch in den Knochen steckte, entspannte sie sich noch etwas mehr. Sie fühlte sich wohl in seinen Armen und die Gefühle, die ganz langsam an die Oberfläche ihres Bewusstseins drangen, überraschten und verunsicherten sie zugleich.
Vorsichtig hob Rosaleen ihren Kopf und trat einen Schritt zurück. Sogleich vermisste sie seine Wärme und seine starken Arme und sie schlang die Arme um sich.
„Bist...bist du verletzt?", fragte Luke und blickte ihr zweifelnd in die Augen.
Da ihr die Stimme nicht gehorchte, schüttelte Rosaleen nur verneinend den Kopf. Die Prellungen und ihr schmerzender Kiefer waren es nicht wert, genannt zu werden, wenn sie doch etwas so viel schlimmerem entkommen war.
„Danke, Luke. Ich...ich weiß nicht was ich sagen soll." Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie da die ganze Zeit sagte und die Röte stieg ihr ins Gesicht. „Oh, entschuldigen Sie, Mr. Corner. Ich...ich war etwas durcheinander."
Schnell senkte Rosaleen den Kopf, damit er die Röte nicht sehen konnte, die ihr aufgrund der persönlichen Anrede ins Gesicht gestiegen war und ihre nassen Haarsträhnen vielen ihr ins Gesicht. Bestürzt kam sie langsam wieder in das hier und jetzt und erneutes Entsetzen schlich langsam in ihr Gesicht. Wie furchtbar sie aussehen musste.
„Danken sie nicht mir. Ohne Gottes Hilfe hätte ich sie niemals so schnell gefunden und von Hank Bolden befreien können." Ein Funken von neu aufsteigender Wut spiegelte sich in seinem Gesicht wieder, als er diesen Namen erwähnte und seine braunen Augen verdunkelten sich leicht. „Bleiben wir doch bei dem Vornamen, Rosaleen. Ich denke, die Höflichkeitsfloskeln sind nun", sein Blick wanderte kurz zu dem auf dem Boden liegenden Bolden, „nicht mehr nötig."
Schon wieder traten Rosaleen die Tränen in die Augen. Sie konnte garnicht ausdrücken, was für eine große Erleichterung sie durchflutete. Gerade eben noch hatte sie keine Macht über ihren eigenen Körper gehabt und nun sprach sie schon über Höflichkeitsfloskeln. „Danke, Luke", flüsterte sie überwältigt.
Als sie ihren Blick wieder hob, versuchte sie ein leichtes, dankbares Lächeln aufzusetzen, doch die Tränen, die sich mit dem kalten Regen auf ihrem Gesicht vermischten, ließen es etwas kläglich erscheinen.
Ihre Blicke trafen sich und unweigerlich versank Rosaleen sogleich in seinen Augen. Das was sie in ihnen lesen konnte, beschleunigte unerwartet ihren Puls. Er schaute sie mit einem Blick an, in dem mehr als Besorgnis und Fürsorge stand. Etwas, das sie niemals erwartet hätte und das schon wieder die Schmetterlinge in ihrem Bauch aufleben ließ. Sie konnte es nicht deuten, doch es fesselte sie so sehr, dass sie ihren Blick nicht abwenden konnte. Dieser Blick verbarg ein Gefühl, das tiefer war und sie in seinen Bann zog. Etwas ähnliches wie Zärtlichkeit und...und noch etwas unerklärlichem lag darin.
Da räusperte sich Luke und wandte schnell den Blick ab. Er tat so, als untersuche er den Boden nach irgendwelchen Indizien und fragte: „Wo ist Joyce heute gewesenen?"
„Rebecca hat heute auf sie aufgepasst." Nach diesem kurzen Moment, dem ein besonderer Zauber inne gewohnt hatte, erschien ihr alles so stumpf und zitternd schlang sie die Arme um sich. Unaufhaltsam vermischten sich ihre salzigen Tränen mit dem Regen auf ihrem Gesicht, doch sie kämpfte gegen die Schwäche, die sich wieder über ihr ausbreiten wollte. Verunsichert stand sie nun da und wusste nicht, was sie tun sollte.
„Ich bringe dich zu Benjamin und Rebecca. Ich möchte nicht, dass du diese Nacht alleine bist. Ganz sicher wird Rebecca nichts dagegen haben, denn ich weiß, sie haben dich gerne um sich.", beschloss Luke, nachdem er seine Pistole in das Polster an seiner Hüfte gesteckt und zu Hank Bolden geblickt hatte.
„Ich möchte aber niemandem Umstände machen." Widersprach Rosaleen schwach, doch sie wusste, ihr Einlenken würde nichts nützen. Die Wut, die sie heute in seinem Blick gesehen hatte, hatte ihr bewiesen, dass er nicht umzustimmen wäre.
"Für dich würde ich alles machen." Luke lächelte sie tröstlich an und Rosaleens Mund formte sich zu einem erstaunten „Oh". Sie war zu überrascht, um etwas zu erwidern. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihrem Körper aus und Rosaleen senkte schnell den Kopf.
„Ich werde meinen Hilfssheriff gleich auf den Weg schicken, damit er sich um Bolden kümmern kann. Wir sollten uns beeilen, damit du nicht auch noch krank wirst." Mit einem letzten Blick auf den bewusstlosen Hank Bolden, legte er seinen Arm auf Rosaleens Rücken und wandte sich zum gehen. Doch er zögerte, als wäre im erneut etwas in den Sinn gekommen. Dann knöpfte er seine Jacke auf und legte sie Rosaleen, bevor sie überhaupt reagieren konnte, um die Schultern. „Rebecca wird dir eines von ihren Nachthemden leihen, morgen komme ich vorbei und wir holen die nötigen Sachen, damit du dort einige Tage bleiben kannst."
Rosaleen blieb instinktiv stehen und drehte sich zu Luke. „Aber...ich werde wieder zuhause-"
„Nein, ich möchte nicht, dass du alleine dort bist. Wenigstens das Wochenende nicht." Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Luke weiter und Rosaleen folgte ihm unweigerlich, da sein Arm immer noch tröstend auf ihrem Rücken ruhte.
Bei Lukes Pferd angekommen, ergriff er die Zügel und gemeinsam gingen sie Richtung Innenstadt, damit er den Hilfssheriff verständigen konnte.
Als die schließlich wieder umgekehrt waren und das Stadtende erreicht hatten, drehte er sich mit einem kurzen „Achtung." zu ihr, legte kurzerhand seine starken Hände um ihre Taille und schwang sie auf's Pferd empor.
Überrascht unterdrückte Rosaleen einen Ausruf und legte schnell ihre Hände um die Zügel. „Danke.", sagte sie, wobei ein Kribbeln durch ihren Körper fuhr und sie zurückhaltend den Blick auf den Sattelknauf vor sich senkte.
Gerade Mal hatte sie sich von dem ersten Schock erholt, als Luke sich hinter sie auf's Pferd schwang und sie somit erneut leicht aus der Fassung brachte. Für einen kurzen Moment spannten sich ihre Muskeln an, doch schnell entspannte sie sich wieder.
„Darf ich?", fragte er und schob vorsichtig seine Arme an ihr vorbei und ergriff die Zügel seines Hengstes. Er gab Black Beauty die Sporen und sie trabten los, Richtung der Farm der Sherwoods.
Rosaleen krallte ihre Finger um den Sattelknauf und bemühte sich, einen geraden Rücken zu halten, um sich nicht zu sehr an ihn zu lehnen. So fest wie sie sich vorher auch an ihn geklammert hatte, gab sie sich nun trotzdem Mühe, ihm nicht zu nahe zu kommen.
„Danke...Danke Luke", flüsterte sie und es kam von ganzem Herzen. Erschöpft schloss Rosaleen ihre Augen und eine leise Träne löste sich aus ihren Wimpern und vermischte sich mit dem Regen.

...Weil ich dich liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt