Kapitel 32

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Der sanfte Regen war eine schöne Abkühlung, jetzt, wo keiner auf dem Feld arbeiten musste und die letzten Tage so trocken gewesen waren. Rosaleen hob ihre Hände und der Wärme Regen wusch ihr den dünnen Schweißfilm von den Handflächen.
   Während des Gottesdienstes hatte sie sich deutlich unwohl gefühlt. Es war, als hätte Reverend Mason gewusst, was für einen Kampf sie im Inneren kämpfte. Seine Worte hatten sie sehr angesprochen, auch wenn Rosaleen das nicht gerne zugab. Öfters hatte sie sich gewünscht, sie wäre heute nicht zum Gottesdienst gegangen, da sie einfach noch dazu bereit war. Im Inneren sträubte sich alles dagegen an einen Gott zu denken, der ihren geliebten Joseph sterben lassen hatte und sie nun hier alleine mit ihrer noch nicht einmal zwei Jahre alten Tochter zu lassen. Zwar hatte sie Abigail und auch Rebecca war ihr eine große Unterstützung. Der Sheriff nahm ihr gerne mal etwas von der Arbeit ab, doch sie war noch nicht bereit sich mit ihrer Wut Gott gegenüber auseinander zu setzten. Sie würde sich hüten jemandem von ihrer leichten Verbitterung zu erzählen. Es würde doch keiner verstehen und sie nur zu etwas drängen, wozu sie nicht bereit war. Noch nicht. Rosaleen hatte fast das Gefühl ihre Wut zu Gott machte es ihr leichter die Trauer, die ihr Herz auch jetzt noch bluten ließ, zu unterdrücken und keine Acht darauf zu geben.
   Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als Daniel in ihr Sichtfeld trat. „Tante Rosaleen? Ma möchte dich mal sprechen. Sie steht dort unter dem Dach." Er fasste ihre Hand und zog sie hinter sich her.
   Rebecca versuchte gerade einen Flecken von Jerrys weißem Hemd zu entfernen, den er sich wahrscheinlich beim rumtoben geholt hatte.
   Als sie Rosaleen sah, wies sie ihn an: „Geh schon mal zu Pa. Er ist im Hinterhof und spannt die Pferde schon an." Mit einem süßen Lächeln, das Jerry Rosaleen zuwarf, enfernten er sich schnell von seiner Mutter und ihren Säuberungsversuchen.
   „Es tut mir leid, Rosaleen, aber ich wollte nicht dort im Nieselregen stehen, da sich mein Kleid so schnell mit Matsch vollzogt und es mir dazu auch noch etwas lang ist." Sie warf einen kritischen Blick auf ihr Kleid.
   „Das macht doch nichts. Ich wollte nur für einen kurzen Moment die leichte Abkühlung genießen."
   „Wo ist denn deine Joyce?" Rebecca blickte sich suchend nach dem kleinen Mädchen um.
   „Sie ist direkt zu Abigail gelaufen, als sie sie gesehen hat."
   „Ah!" Rebecca schmunzelte. „Die Jungen vermissen sie auch schon, wie ich schonmal erwähnt habe. Einen kleinen Sonnenschein hast du in ihr, Rosaleen." Sie machte eine kleine Pause. „Benjamin, die Jungen und ich würden uns sehr freuen, wenn du und Joyce uns beim Mittagessen heute Gesellschaft leisten würdet."
Erfreut über die verlockende Einladung, sagte Rosaleen:„Wir kommen natürlich gerne. Danke für das Angebot."
„Ihr könnt direkt mit uns kommen. Wir finden schon noch zwei Plätze in unserem Einspänner."

                                   ***

   Fröhlich pfeifend erklomm Luke die Verandastufen des hölzernen Farmhauses. Kurz darauf hörte er auch schon gedämpfte Fußtritte und die Tür wurde aufgerissen.
   Daniel vergeudete die Zeit erst garnicht mit einer Begrüßung und die Frage, die ihn wahrscheinlich die ganze Zeit gequält hatte, schoss Luke entgegen: „Gehst du mit uns angeln, Luke?"
   Grinsend hob Luke seinen Arm, in dem er seine Angel hielt, hoch und lehnte sie schließlich an die Hauswand.
   Begeistert drehte Daniel sich um und zog Luke an dem Arm hinter sich her, sodass Luke es nur noch flüchtig schaffte, die staubigen Stiefel am Teppich abzuklopfen. Er hörte schon das Scheppern verschiedener Kochutensilien und zwischendurch zwei angeregte Frauenstimmen. Bevor er sich groß darüber Gedanken machen konnte, wer wohl noch als Gast hier war, außer ihm, befand er sich schon im Geschehen. Das erste, worauf sein Blick gelenkt wurde, war Jerry, der stolz einen kleinen Blecheimer vor sich hielt und somit versuchte das kleine, dunkle Mädchen zu beeindrucken.
   „Ich glaube kaum, dass du so ihr Interesse wecken kannst, Jerry." Luke grinste und begrüßte seinen besten Freund, dem Vater der beiden Jungs, der auf dem Sessel vor dem Kamin saß. Mittlerweile war ihm klar geworden, dass es Mrs. Laster war, die sich mit Rebecca unterhielt. Er nahm neben Benjamin auf der nächstbesten Sitzgelegenheit Platz und beugte sich zu dem kleinen Jungen hinüber. „Da warst du aber fleißig, Cowboy. Die Würmer werden sich gut als Köder für die Fische machen." Er wuschelte Jerry mit der Hand durch die Haare und lehnte sich dann auf seinen Stuhl zurück.
   „Wie sieht die Ernte dieses Jahr bei dir aus, Ben?" Luke streckte seine Beine aus und ließ den Kopf auf die Stuhllehne sinken.                        
  „Ganz gut, eigentlich. Es hat dieses Jahr viel mehr geregnet als vorheriges Jahr und entsprechend haben wir auch mehr gewinn. Jetzt, am Ende, wird alles wieder etwas trockener, doch ich denke nicht, dass das jetzt noch großen Schaden anrichten kann." Er machte eine kurze Pause und fragte dann: „Und dein Testament ist immer noch unauffindbar?" Er runzelte unzufrieden Stirn. 
   Auch Lukas Stirn legte sich bei diesem Gedanken in Falten. Er wusste schon gar nicht mehr, was er tun sollte, da er schon alles getan hatte, was hatte getan werden können. „Ich weiß einfach, dass es gestohlen wurde und im Moment bin ich ratlos, was ich tun soll. Ich denke, Gott wird mir schon noch einen Hinweis dalassen, aber ich habe ihn einfach noch nicht entdeckt." Er zog die Beine wieder zurück und stütze seine Ellbogen auf den Knien ab. „Ich habe schon aufgehört mir darüber den Kopf zu zerbrechen, da es einfach nichts mehr bringt. Es wird schon alles so kommen, wie es kommen muss. Dessen bin ich mir sicher."
   „Sicher wird es wieder auftauchen, Luke. Noch hast du nicht die Asche von dem Dokument gefunden." Benjamin klopfte ihm ermutigend auf die Schulter und erhob sich. „Ich glaube das Essen ist fertig." Er winkte auch seinen Söhnen zu und kurz darauf hatten sie sich alle am Tisch versammelt.
   Luke begrüßte die Damen freundlich und dabei ruhte sein Blick etwas länger auf Mrs. Laster, als nötig. Es war schön sie zu sehen. Sein einer Mundwinkel hob sich leicht, als er sah, dass sie bemerkte, wie er sie betrachtete und verhalten ihren Rock richtete. Schließlich senkte Luke ein Lachen unterdrückend den Kopf.
   Ben sprach ein kurzes Gebet und sie ließen sich auf ihren Stühlen nieder. Luke stieg ein wunderbarer Duft von warmen Essen in die Nase, den er davor kaum wahr genommen hatte, und er häufte sich seinen Teller direkt bis auf den Rand mit den verschiedensten Köstlichkeiten voll, nachdem er Mrs. Laster, die ihm gegenüber saß, die unterschiedlichen Schüsseln mit Essen gereicht hatte.
   Er musste zugeben, dass ihn die Gesellschaft von ihr und ihrer süßen Tochter freute. Schon in der Kirche hatte er sich das Lächeln zurückhalten müssen, da er sehr erfreut gewesen war, sie dort anzutreffen. Luke hatte mehrere Reihen hinter ihr gesessen und somit nur zugut sehen können, wie angespannt sie den ganze Gottesdienst über gewesen war. Sie hatte sich gut unter Kontrolle gehabt, das musste er wohl oder übel zugeben, doch mittlerweile hatte er genug Zeit mit ihr verbracht, um wenigstens einen Anflug von Unbehaglichkeit a ihrem Verhalten zu erkennen. Außerdem war es sein Beruf, die Menschen genauestens unter die Lupe zu nehmen.
   Die Stimme von Rebecca riss in aus seinen Gedanken und er riskierte einen kurzen Blick zu Mrs. Laster, um sicher zu gehen, dass sie nichts von seinen Gedanken mitbekommen hatte. Schon im nächsten Moment schüttelte er seinen Kopf über sich selbst und schob sich die nächste gehäufte Gabel in den Mund.
   „Ich bin dir wirklich sehr dankbar, Luke, dass du dich bereit erklärt hast mit den Jungen angeln zu gehen. Sie reden schon tagelang von den Ausflügen mit ihrem Dad und dir." Rebecca warf einen mahnenden Blick auf ihren jüngeren Sohn, der witzige Grimassen schnitt, um Joyce zum Lachen zu bringen und lächelte Luke dann dankbar an. „Du hast die Köder sicher bereits zu Gesicht bekommen, die Jerry fleißig gesammelt hat. Gleich für seinen Bruder welche mit."
Protestierend stellte Jerry sein Glas mit einem absichtlich lauten Geräusch auf den Tisch und sah seine Mutter tadelnd an. „Aber Ma, ich werde alle Köder für mich brauchen. Du wirst schon sehen, wie viele Fische ich am Ende mit ihnen angelockt haben werde." Er nickte bekräftigend.
   Luke konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen, als er den verzweifelten Blick von Benjamins Ehefrau sah. Sie schien doch manchmal etwas überfordert mit den Spitzbuben zu sein und da war Ben, der seinen Söhnen gerade schelmisch zuzwinkerte, auch keine große Hilfe bei.
   Da meldete sich Mrs. Laster zu Wort: „Ich bin mir sicher, Jerry, dass deine Mutter weiß, was für ein hervorragender Angler du bist. Sie wüsste nur nicht, was sie mit den vielen Fischen machen sollte, deswegen ist es, so denke ich, eine gute Möglichkeit, wenn du und Daniel sich deine Köder teilen."
„Da hast du wohl recht, Tante Rosaleen." Sagte Jerry nach kurzem Überlegen und legte den Kopf leicht schief, auch wenn er mit dieser Antwort wohl doch nicht so glücklich schien.
   Daniel seufzte verzweifelt, da ihm das Essen viel zu lange dauerte und sah seine Ma bittend an. „Können wir bitte aufstehen, Ma? Jerry und ich packen dann schonmal unsere Sachen zum Angeln zusammen." Noch ehe Rebecca ihren Kopf vom senken wieder gehoben hatte, um ihre Einverständnis zu geben, war Daniel schon aufgesprungen und zog seinen kleinen Bruder direkt hinter sich her.
   Als die Jungen sich vom Tisch verflüchtigten, begann auch Joyce unruhig zu werden und so tapste sie ihren neuen Freunden fröhlich plaudernd hinterher.
   „Morgen ist ihr erster Schultag, Mrs Laster?", fragte Luke und nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee, den Rebecca ihm zuvor eingegossen hatte.
   „Oh ja, da haben sie Recht. Joyce werde ich in der Zeit bei Abigail lassen. Sie hat es mir freundlicherweise angeboten, damit ich mich voll und ganz auf meine Schüler konzentrieren kann." Ihre Augen strahlten Vorfreude aus und Luke genoss es, dass ihr Lächeln ihm galt.
   Er überlegte noch einen Moment, ob er ihr wirklich den Vorschlag unterbreiten sollte, doch schon bei dem Gedanken, sie würde zusagen... „Darf ich sie morgen begleiten, wenn sie zu Rebecca gehen? Es würde mir eine große Freude bereiten, Ihnen bei diesem kleinen Spaziergang Gesellschaft zu leisten und sie könnten diese Gelegenheit sogleich nutzen, von ihrem ersten Schultag zu erzählen." Innerlich fragte er sich, nachdem er ihr diese Frage gestellt hatte, ob es eine gute Idee war, doch als er ihre freudig überraschten Augen sah, wusste er, dass seine Bedenken unbegründet waren.
   „Oh...ich...ich werde auf sie warten. Dankeschön, das ist sehr freundlich von Ihnen, Sheriff." Mrs Laster faltete ihre Hände im Schoß und warf ihm ein dankbares Lächeln zu.
   Luke ignorierte geflissentlich die Blicke, die Ben und Rebecca sich zuwarfen, die sich in den soeben geführten Wortwechsel nicht eingemischt hatten. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er an Morgen dachte.
  Später, als er mit seinen kleinen Freunden und Ben angeln gewesen war und sich bereits zuhause befand, dachte er auch nicht mehr an sein Testament oder jegliche andere Probleme, die ihm sonst den Kopf zermalmten. Er bekam das Lächeln einfach nicht mehr aus dem Kopf, das er genießen durfte, als sie auch weiter noch etwas über die Schule gesprochen hatten und das sie dabei auf den Lippen getragen hatte, während sie ihm einen vorsichtigen und kurzen Blick zugeworfen hatte.
Bitte Herr. Bat Luke in einem kurzen Gebet. Hilf ihr morgen, bei ihrem ersten Tag in der Schule. Sie wird eine gute Lehrerin sein. Das weiß ich...irgendwie.
Und...Danke, dass ich sie auf dem Weg zu Abigail begleiten darf.

...Weil ich dich liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt