Kapitel 34

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   Rosaleen zog den Schlüssel aus ihrer Tür und überprüfte noch einmal kurz, ob sie wirklich abgeschlossen war. Es war kein warmer Tag, in der Nacht hatte es durchgeregnet und auch jetzt ließ der Nieselregen nicht nach. Die matschige Straße gab bei jedem Passieren unter den Rädern, Hufen oder Füßen schmatzende Geräusche von sich. Der Himmel war von schweren und grauen Wolken bedeckt, wodurch die Sonne sich auch nicht blicken ließ.
   Rebecca hatte Rosaleen überredet, dass Joyce bei Ihnen übernachten dürfe, da die Jungen sie am Donnerstag Abend unbedingt bei ihren Tätigkeiten dabeihaben wollten, sodass Rosaleen schließlich eingewilligt hatte. Joyce fühlte sich bei den Sherwoods mittlerweile so heimisch und wohl, dass Rosaleen sich glücklicherweise auch keine großen Sorgen machen musste, ob sie es der netten Familie schwer machen und nachhause wollen würde.
   Rosaleen hatte sich ein Tuch über die Schultern gelegt, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. Sie ging die paar Stufen vor ihrer Haustür herunter und wandte sich zum Schulhaus.
   Schon bei ihren ersten Schritten entdeckte sie ein paar Männer sich betrunken am Straßenrand unterhalten. Sie standen direkt neben der Schule und redeten sehr grob miteinander, während sie sich gerade noch so auf den Beinen halten konnten. Stirnrunzelnd schüttelte Rosaleen den Kopf und entschied sich dazu, Ihnen nichts zu sagen, da sie keine Probleme mit unbekannten, betrunkenen Männern haben wollte.
   Sie hatte noch ein paar Minuten, bevor es Zeit war, die Schulglocke zu läuten. Die Fenster ließen die frische Luft und den Duft des nassen Waldes in den Klassenraum ein, als Rosaleen sie ein Stückchen öffnete und sie begann leise zu summen, als dann auch noch das Gezwitscher der Vogel ihren Start in den Tag - trotz des Wetters - versüßte.
   Heute war Freitag und langsam begann Rosaleen sich an das Schulleben zu gewöhnen und je besser sie die Kinder kennenlernte, desto mehr schloss sie jedes einzelne von ihnen in ihr Herz. Allerdings hatte sie da auch so einige kompliziertere Fälle, doch Rosaleen spürte, dass diese Aufgabe ihr gut tat und es war eine schöne Erfüllung. Ihre früheren Pflichten als Schwiegertochter, Ehefrau und Mutter waren ganz andere gewesen und sie genoss es, auch etwas im Leben anderer bewirken zu können und die Zukunft der Kinder zu erleichtern, indem sie ihnen so viel Wissen, wie sie nur konnte, mitgab. Natürlich fehlte ihr ihre kleine Tochter am Vormittag, doch dafür freute sie sich umso mehr darauf, wenn sie das helle Lachen ihrer Tochter wieder hören durfte.
   Nach dem Schulgong füllte sich der Klassenraum ziemlich schnell und mit einem Lächeln beobachtete die Lehrerin die vielen Kinder, welche sich an dem nassen Wetter kaum störten und so wild und lebendig waren, wie immer. Sie ließ Ihnen noch etwas Zeit und wollte sie gerade zur Ruhe bringen und mit dem Unterricht beginnen, als auf einmal die Tür aufging, Ruth hereinschlüpfte und die Tür fast vergaß hinter sich zu zu machen. Ihr Kleid zeugte von dem Regen draußen, der nicht aufzuhören schien. Rosaleen begann sich Sorgen zu machen, als sie die nassen Spuren von Tränen auf Ruths Gesicht sah, die sie erkennen konnte, als Rosaleen schnell zu ihrer kleinen Schülerin eilte. Die anderen schienen ihre soeben gekommene Mitschülerin nicht zu bemerken, denn die Lautstärke blieb beibehalten.
   Ruth sah ihre liebgewonnene Lehrerin auf sich zukommen und vergrub ihren Kopf in den Falten von Rosaleen, während sie etwas nasses an sich drückte. Für ein paar Sekunden legte Rosaleen die Hände auf Ruths Rücken, drückte die kleine Gestalt an sich und ging dann in die Hocke, um ihr in die Augen zu blicken.
   „Nicht weinen, Liebes. Es wird alles gut.
Was ist denn los, Ruth? Hast du dich verletzt?" Rosaleens Augen untersuchten kurz ihren Körper, doch sie konnte keine vermeintliche Stelle auf Verletzung oder Schmerzen aufweisen.
   Ein kleines Schluchzen brach aus der Kleinen und sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich...ein...der Mann, neben der Schule...er...", begann sie stotternd, doch es kamen keine ganzen Sätze aus ihr heraus. Schließlich streckte sie ihre Arme aus und hielt Rosaleen ein triefend nasses und zerfetztes Heft vor das Gesicht. „Der böse Mann vor der Tür hat...er hat mich aufgehalten und mir mein Heft aus der Hand gerissen. Darin steht doch der Aufsatz...ich habe mir so viel Mühe bei ihm gegeben, Mrs. Laster.", sagte sie leicht jammernd. „und er hat ihn mir einfach aus der Hand gerissen, mich ausgelacht und...und ihn in den Matsch geworfen. Dann hat er aber so gewankt und hat auch noch mit seinen Füßen darüber getreten." Erneut bildeten sich Tränen in Ruths Augen und sie war dank der Angst vor dem betrunkenen Mann - Rosaleen vermutete, dass es einer war, den sie davor auch vor der Tür hatte stehen sehen - und dem Schock seiner Grobheit ganz aufgelöst.
  Wut stieg in Rosaleen auf, doch sie versuchte sie, so gut wie es mir ging, nicht zu zeigen. Sie wandte sich an eines der älteren Mädchen, welches soeben zu ihr getreten war, um zu sehen, ob sie helfen könne: „Holly? Wärest du so lieb und würdest du ein Auge auf deine Mitschüler werfen? Ich werde schnell Ruth nachhause bringen, sie wohnt schließlich hier in der Stadt, werde aber so schnell wie möglich wieder hier sein."
   Nach der Einwilligung von Holly, holte Rosaleen schnell ihr Tuch und legte es um die zitternde Ruth, um dann wieder in den Nieselregen hinauszutreten. Sie musste sich vollends anstrengen, den Mann nicht anzusprechen, der ihre Schülerin so verängstigt hatte.
Ruth wechstelte schnell die Seite von Rosaleen, als sie wieder an den angetrunkenen Männern vorbeikamen und schon bei dem ersten Blick erkannte Rosaleen, wer derjenige war, vor dem Ruth sich besonders fürchtete. Der Mann verfolgte sie mit einem dreisten, grinsenden Blicken und lehnte sich an einen Baum, der direkt an den Schulhof grenzte. Die Hände in die Hosentaschen geschoben, scharrte er ein wenig mit den Füßen im Matsch und sein großer Bierbauch schien Rosaleen und Ruth nur so anzustarren. Dann wandte der Mann im mittleren Alter seinen höhnenden Blick wieder von Ihnen ab und begann sich mit den anderen Männern zu beschäftigen.
„Mrs. Laster?"
„Ja Ruth?"
"Ich habe Angst vor dem Mann. Ich mag ihn nicht." Sie blickte mit großen, unschuldigen Augen zu Rosaleen auf. Ihre einfache Schlussfolgerung war mehr als berechtigt und Rosaleen drückte sanft ihre Hand, an der sich Ruth immer noch festklammerte.
Wieso gibt es nur solche Menschen? Fragte sich Rosaleen nicht zum ersten Mal. Einem kleinen Mädchen solch eine Angst einzujagen!
Wieder stieg in Rosaleen die Empörung hoch und sie hatte das unbändige Gefühl, sich, so gut wie sie nur konnte, für Ihre Schüler einsetzen zu müssen.
Auf dem Rückweg zum Schulhaus, als Ruth sich bereits wieder Zuhause befand, konnte Rosaleen sich jedoch nicht mehr zurückhalten. Mit allem Selbstbewusstsein, das sie aufbringen konnte, ging sie auf den Mann zu, von dem sie wusste, dass er es gewesen war.
„Wie können sie es nur wagen, einem jungen Mädchen, welches sich noch nicht einmal trauen würde an ihnen vorbeizugehen, wenn ihr Schulweg nicht genau hier entlang gehen würde, solch einen Schrecken einzujagen und ihr so grob ihre Schulsachen wegzunehmen, Sir?"
Der Mann allerdings schien ungerührt zu sein und zu Rosaleens großer Verärgerung ließ er als Sahnehäufchen auf der Torte auch noch seinen provozierenden Blick an ihr herunter gleiten.
„Es ist mehr als die Höhe eines hohen Gipfels, wenn sie außer acht lassend aller höflichen und zurückhaltenden Formen anderen den Morgen zerstören, nur aus dem einfachen Grund, dass sie mal den Drang zu solch einer Tat hatten und keinen überwiegenden Grund fanden, ein junges Mädchen auf dem Weg zur Schule in Ruhe zu lassen. Die Tochter der Jennison's hat mit Mühe und großem Eifer einen Aufsatz geschrieben, um den ich sie und die anderen Schüler gebeten hatte, der jedoch nun leider nicht mehr zu gebrauchen ist. Ich würde Sie bitten, Sir, sich demnächst etwas mehr zurückzuhalten und sich nicht einen Spaß mit unschuldigen, wehrlosen Kindern zu erlauben."
Rosaleen hatte sich ganz in Rage geredet. Nach dieser Rede, bei der sie einige Passanten und die Kumpanen des ihr gegenüberstehenden Mannes auf sich aufmerksam gemacht hatte, blickte sie noch einmal in seine schwarzen Augen, die sich bei ihren Worten immer mehr verfinstert und verengt hatten, drehte sich dann auf dem Absatz um und verschwand im Schulgebäude.
Obwohl Rosaleen schon immer der Meinung gewesen war, solche Standpauken wären nicht ihre Stärke, war sie doch glücklich, dass sie diesem ungehobelten Mann die Stirn geboten und ihm mal einiges gesagt hatte. Ein kleines, zufriedenes Lächeln schlich sich in ihr Gesicht und sie konnte endlich mit dem Unterricht beginnen.

***

Wutentbrannt schnaubte Hank Bolden und sah der jungen Lehrerin hinterher, die hoch erhobenen Hauptes im Schulhaus verschwand. Was bildete sie sich nur ein, ihm, dem niemand, außer dem Sheriff, jemals etwas sagte, solche Sachen an den Kopf zu werfen und ihn vor den anderen Leuten so bloß zu stellen.
Seine Augenbrauen wanderten immer weiter nach unten und Hank nahm einen weiteren Schluck aus der Whiskeyflasche, die er in seiner Hand hielt. Seinen Kumpels, die schon ansetzten ihn etwas aufzuziehen und deren Grinsen Hank anekelte, warf er einen Todesblick zu und schob sich den Hut weiter in die Stirn. Wenigstens gingen die Neugierigen, die sogar einen Moment stehen geblieben waren, wieder weiter und wagten nicht eine Reaktion von Gefühlen oder ihrer eigenen Meinung zu zeigen.
Dieser Lehrerin, welche viel zu viel von sich hielt, würde er schon noch zeigen, dass man sich nicht mit Hank Bolden anlegte und ihn vor all den Leuten bloßstellte, ohne ohne weiteres davon zu kommen. Er würde ihr schon noch zeigen, wie er mit denen umging, die ihm auf die Nerven gingen.

***

„Vielen Dank, Holly. Du warst mir wirklich eine sehr große Hilfe, als ich Ruth kurz nachhause gebracht habe." Rosaleen stand an der Tür und verabschiedete sich von den hinausströmenden Schülern. Auch wenn die Schule für Rosaleen ein schöner Ort war, freute sie sich doch auf das Wochenende und die Zeit mit Joyce.
Holly nickte lächelnd, sagte dann leicht besorgt. „Seien sie vorsichtig, Mrs. Laster. Hank Bolden, von dem ich vermute, dass er der Mann war, mit dem sie geredet haben, ist ein stolzer Mann. Legen sie sich besser nicht noch einmal mit ihm an.
Rosaleen war bei dem Gedanken jedoch nicht groß besorgt und freute sich nur, dass sie am Ende hoffentlich doch noch etwas erreicht hatte.
Gähnend begab sie sich wieder zu ihrem Pult, als der Klassenraum sich geleert hatte, und begann noch einiges zu korrigieren und den nächsten Unterricht vorzubereiten. Der Regen hatte aufgehört und sie konnte es kaum noch erwarten nach draußen, an die feuchte und frische Luft zu kommen.
Es begann schon zu dämmern, als Rosaleen, wieder ihr Tuch um sich gelegt, die Schultür hinter sich zuzog und den Schlüssel im Schloss umdrehte. Sie sog einmal tief die Luft ein und schloss die Augen, um das Gefühl von abgehakten Pflichten zu genießen.
Die Schulsachen hatte sie nicht mitgenommen und so wollte sie den kleinen Spaziergang von der Schule zu dem Lehrerhaus genießen. Joyce würde sie gleich abholen und sie freute sich schon darauf, Rebecca und ihre Familie wieder zu sehen.
Da nahm Rosaleen überraschenderweise ein unbekanntes Geräusch im Gebüsch, in der hinteren Ecke auf dem Schulhof war und beschloss kurzerhand nachzusehen, was sich dort verbarg. Als sie näher kam erspähte sie die Bewegung eines kleinen Tieres und neugierig versuchte sie einen Blick auf das Tier zu werfen, welches so interessante Töne von sich gab.
Gerade wollte sich Rosaleen schon wieder abwenden und den Weg nachhause einschlagen, als sie plötzlich ein weiteres Rascheln vernahm. Eine schweißige Hand legte sich auf ihren Mund und der andere Arm legte sich beängstigend fest und willensstark um sie, sodass ihr für einen Moment die Luft wegblieb. Rosaleen riss ihre Augen groß auf und versuchte sich zu wehren, doch das war bei dieser Stiereskraft kaum möglich.
„Halt's Maul, Weib!" Die Stimme klang hart und grimmig, sodass Rosaleen eine Gänsehaut über die Haut lief. Sie wurde an einen stämmigen Körper gepresst und nahm den kaum erträglichen Geruch von Whiskey, Schweiß und Zigarrenrauch wahr. Ihr wurde schwindelig, doch mit aller Kraft versuchte Rosaleen bei Sinnen zu bleiben. Ein Wimmern entkam ihr, denn sie wusste kaum was mit ihr geschah und sie würde alles dafür tun, dem Mann zu entfliehen, der sie so grob, fest und unnachgiebig hielt. Ihren Kopf drückte er jetzt mit aller Gewalt an seine Schulter und Rosaleen spürte den Arm um Ihren Bauch geschlungen, der ihren Rücken eng an die Brust des kräftigen Mannes drückte.
Er wollte ihr gerade etwas ins Ohr röcheln, als Rosaleen es doch irgendwie schaffte ihm in die Hand zu beißen und ein etwas lauterer Hilferuf entkam ihr.
Der Mann fluchte und sie spürte einen kaum auszuhaltenden Schmerz in ihrem Kiefer, als die Hand sich noch fester auf ihren Mund legte und ihr mit unermesslicher Kraft den Kopf nach unten drückte, sodass sie kaum imstande war etwas zu tun.
Im nächsten Augenblick, wurde sie wie ein Sack über den Rücken des Mannes geworfen und ihr wurde schwarz vor Augen. Das einzige, was sie noch mitbekam, waren gedämpfte Schritte, die sich auf raschelndem Untergrund bewegten.
Ohnein...dazu liegt das Schulhaus auch so abgelegen. Hilfe...Hilfe.
Rosaleen entfuhr das nächste Wimmern, doch dann verließ sie alle Kraft und ein furchtbares Gefühl von hilfloser Kälte breitete sich in ihrem Körper aus. Ihr Kopf wackelte bei jedem Schritt und nach einigen Metern war ihre Angst so groß, dass sie sich selbst einfach fallen ließ und ein Gefühl von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Starre sie überfiel.

...Weil ich dich liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt